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LS. Juni 18S6 DonneWag Nr. L41 Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Pret- für da» Vierteljahr t V, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. Zu beziehen durch alle Postämter des In- und Auslandes, sowie durch die Erpedmon in Leipzig (Querstraße Nr. 8). JnfertionSgebühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. -d- Deutsche Agmeim Zeitung Europa und Amerika, i. Leipzig, 18. Juni. Die englisch-amerikanischen Differenzen finden in der gesämmten europäischen Tagespresse so ausführliche Erörterungen, daß man Hillig vorauSsetzen muß, die Verhältnisse, um welche cs sich han delt, seien im Wesentlichen bekannt. Während die rentralamerikanische Frage, früher die brennendere, für den Augenblick mehr in den Hinter grund getreten ist, stehen die Konsequenzen der Werbungsangelegenheit auf der Genie. Der Wechsel der amerikanischen Gesandtschaft in London, wo mit man zur Arlt de» Paristr Friedens eine friedliche Ausgleichung des ganzen Handels gekommen glaubte, hat sich als indifferent erwiesen. Wäh rend England Hrn. Buchanan mit demonstrativen Versicherungen freund schaftlichster Gesinnung für die Union entließ und Hrn. Dallas mit noch emphatischern Liebesbezeigungen empfing, votirte der amerikanisch« Senat den Bau von 10 Kriegsschiffen, sendete da» englische Ministerium „Ver stärkungen der Garnison" nach Canada und kämpfte schon hier wie dort die Presst lebhafte Borpostengefecht«. Es ist wahr, die englischen Blätter spreche« mit einer fast mütterlichen Milde gegen das emancipirte und stark gewordrne Kind jenseit d«S Oceans. Aber just dieser Ton schien drüben einmal zu verwunden, weil er allerdings einen stark vormundschaftlichen Klang hatte; dann aber den Uebirmuth noch mehr zu reizen, weil er ver- rieth, daß England, ob auch nicht entkräftet, doch ermüdet das Schwert ruhen zu lassen wünschte. England hatte, namentlich in der WerbungSan- gelegenheit, überall nachgegcben und beschwichtigt, Amerika beharrte jetzt desto starrer auf der Federung, daß der angeblich durch sein früheres Der- halten compromittirte britische Gesandt« nebst einigen Consuln abberuftn werde. Und da England, nach so ausgiebigen factischen Concessioncn, sei ner staatlichen Würde und Selbständigkeit doch nicht auch noch diesen Schlag in< Antlitz versetzen konnte, sendete man zu Washington endlich Hrn. Cramp ton seine Pässe zu. Diese Verletzung wäre unter europäischen Verhältnissen allerdings ganz geeignet, eine Kriegserklärung zu provociren. Denn daß Hr. Dallas mit seiner Anzeige davon in Döwning-Street zugleich die Versicherung verband, er habe den Auftrag, die Sache gütlich beizulegen, ist eben nur eine Form. Die Herausfoderüng scheint nur prüfen zu wollen, wie weit bei England gegangen werden kann. England macht freilich nun auch pstichtschuldigst rin sehr ernstes Gesicht. Man spricht von Zusendung der Pässe an Hrn. Dallas, man schickt an die gerüsteten Kriegsschiffe Befehle, sich segelfertig zu halten, an andere, sich zu rüsten Eine ganze Flotille wird für die Ex pedition nach Amerika bezeichnet und die inspirirte Presse versucht sich eif rigst in den kriegerischen Melodien, welche seit dem Pariser Frieben gänz lich verstummt warm. Trotz alledem und alledem glaubt kein Mensch an einen bevorstehen den englisch-amerikanischen Krieg. Ganz England ist dagegen, wie allbe- kannt. Die officiellen Stimmen selbst haben für ihre kriegerischen Solo gesänge noch schwächere Kraft als für ihre Friedenshymnen vor ein paar Monaten, die sie auch vereinsamt genug vortrugen. Alles wird zu demon strativ gemacht, um glaubhaft zu sein. Glaubhaft ist blos, daß man eine zeitlang formell di« diplomatischen Verbindungen abbrechen wird, um sie «ndlich wiederaufzunchmen und Vergangenes zu vergessen. Und Frankreich? Die inspirirtcn Stimmen der schweigsamen Politik Napoleon's verheißen dem Alliirten natürlich alle denkbare moralische und politische Unterstützung. Aber daß Frankreich, wenn cs zur Waffenent- schridung kommen sollte, auch seine Waffen mit den englischen vereinigen würde, Hal vorläufig keinerlei Wahrscheinlichkeit für sich. Warum nicht? Napoleon hat einen Frieden gemacht, da er ihn gerade brauchte. Aber sein HcrrschaftSprineip wird die Ablenkung der Interessen der Franzosen von ihren heimischen Angelegenheiten auch in Bälde wieder brauchen. Und der NapoleonismuS würde für Erreichung diese-Zwecks sicherlich auch einen Krieg nicht scheuen, wenn er Erfolg verspräche. Aber ein Krieg mit Nord amerika verspricht keinen Erfolg. Bis zu einem gewissen Punkte unan greifbar oder richtiger unbrauchbar als Kriegsterrain, kann Amerika vom Krieg« wol ermattet, aber nicht erobert werden. Man kann seine Häfen blsckiren, aber Europa und namentlich England würde fast mehr dar- unter leiden al« die Union. An solchem Kriege der thatlosen gegenseiti gen Ermattung theilnchmcn, wäre für dm NapoleonismuS die höchste Ge fahr. Es könnte damit, selbst wenn. Amerika zuerst ermattete, nicht ein mal der Preis errungen werden, der aus dem orientalischen Kampfe und dem Pariser Frieden so glänzend hervorging : Frankreichs Großmachtsstcllung wieder auf jene Höhe zu heben, von der sie seit der bourbonischen Nestau- ration herabgeglitten war. Sollten aber andere europäische Staaten sich irgendwie veranlaßt sehen, thatkräftig auf Englands Seite zu treten? Gewiß noch weniger. Frank- reich wird schon nur ganz indircct, nur aus mögliche Eventualitäten hin, nur gleichsam aus zweiter und dritter Hand von den jetzigen Differenzen be rührt, die andern Staaten bleiben vollkommen indifferent. England steht faktisch vollkommen isolirt, wenn auch seinem Verhalten — zum ersten male seit langer Zeit — von allen Parteien Europas diesmal übereinstimmende Bil ligung zutheil wird. Aber eine solche „moralische Unterstützung", die blos die „öffentliche Stimme" und keine materielle Macht hinter sich hat, man weiß es, macht sicherlich in Amerika nicht den geringsten Eindruck. Sie wird ebenso wenig in Europa hindern, daß irgendeine Politik an irgendei ner Stelle etwa ihre Plane vertage, wenn deren Ausführung durch die Concentration der Aufmerksamkeit Englands auf den transatlantischen We sten begünstigt werden könnte. Handelt nun die officielle Politik recht mit ihrer vollständigen Indif ferenz? Handelt sie klug? Recht fällt in der großen Politik stets mit Klugheit zusammen, wenn auch das Recht seine Normen nicht im Kate chismus findet und die Klugheit sich fast niemals mit Taubenunschuld zu schmücken veripag. Europa aber handelt weder klug noch recht, wenn es diesen Differenzen, sobald sie sich zu einem Kriege entwickeln, mit in den Schoos gelegten Händen zusicht. Ja, cs liegt heute bereits in der Pflicht jeder Großmacht, aufs bestimmteste zu documentiren, daß sie die händel süchtige Provocation Englands durch Amerika entschieden misbilligt, nach dem England in der mittelaMcrikanischen Angelegenheit ein Schiedsgericht vorgeschlagen und in der Werbungsfrage die vollste Genugthuung geboten hat. Denn ob rS sich für den Augenblick auch nur um eine amerikanisch englische Differenz handle, sie ist nur ein Theil der großen amerikanisch- europäischen Frage, welche zu entscheiden hat, ob auch fernerhin Europa die Weltgeschichte bestimmen oder von den Einreden und Eingriffen der nordamcrikanischen Union in den Gang der europäischen Angelegenheiten ge leitet werden soll. Deutschland. Preußen, t Berlin, 17. Juni. Auf die bevorstehenden Zollcon- ferenzen zu Eisenach sind gegenwärtig die Blicke gerichtet. Der Vertreter Preußen«, Geh. Oberfinanzraih Henning, ist bereits nach Eisenach abge- reist. Wir haben schon angedcutet, daß preußischerseit« der frühere wich- lige Antrag wegen der Eisenzölle den jetzigen Berathungen nicht vorgelegt werden dürfte, weil für ein Durchdringen dieses Antrags wenig Aussicht vorhanden ist. Bon vielen Seiten spricht sich in den hiesigen Handelskrei- sen aber der Wunsch au«, daß Preußen diesen so sehr berechtigten Antrag dennoch abermals wiederholen und ihn solange verlegen möge, bis «S die in demselben enthaltenen durchaus begründeten Wünsche zur Geltung ge bracht habe. Manche gehen so weit zu verlangen, daß Preußen in dieser tiefgreifenden Frage seine ganze Kraft anwendcn solle, wenn der Zollverein, der ohnedies dem preußischen Handel so viele Fesseln anlege, darüber schließ- lich auch zur Sprengung kommen sollte. Diese handelspolitischen Heiß sporne möchten indessen daran zu erinnern sein, daß bei Behandlung der Zollvereinsfragen seitens Preußens nicht allein die rein handelspolitischen Gesichtspunkte maßgebend sein können, sondern auch die höhere politische Seite, welche der Zollverein in Bezug auf die Behauptung der Stellung Preußens in Deutschland darbietet, wesentlich in Betracht gezogen werden muß. Bei dem gewaltigen Andrängen Oesterreichs, sich auch auf dem Han- delsgebiete eine mächtige Stellung in Deutschland zu erringen, ist eine all- seitige Beleuchtung der ZollvcreinSfragen für Preußen umsomehr eine ge bieterische Nothwendigkeit. Was die Eisenzölle anbelangt, so sind allerdings die Gründe für die gänzliche Aufhebung derselben schon so oft dargcthan worden, daß man nur das bündige Gutachten Turgol's gegen das Fortbe stehen der Eisenzölle hier kurz anzuführen braucht. „Das Eisen", sagt er, „ist Has zur Ausübung aller Künste, ohne Ausnahme, nothwendige Mit tel; es ist da- Rohmaterial für alle Manufakturen und Fabriken sowie für den Ackerbau, und ist die unentbehrlichste Waare. Wenn man deshalb auch das System der Schutzzölle annehmen sollte, so darf ihnen, gerade im Sinne ihrer Vertheidiger, das Eisen niemals unterliegen; denn Verbote sollen nur die zum Verbrauch fabricirtcn Waaren treffen, nicht aber die Waacen, welche die Mittel zur Fabrikation find, wie alle Rohstoffe und die dazu erfoderljchen Werkzeuge. Wer eiserne Instrumente für seine Fa- brik kauft oder für seinen Landbau, der muß gerade an allen den Privile gien theilhabcn, welche die Grundsätze des Schutzzollsystems dem Verkäufer gegen den einfachen Verbraucher gewähren." Der belangreiche Gegenstand dürfte ohne Zweifel bald wieder zur lebhaftesten Erörterung kommen, wenn auch kein Antrag seilen- der diesseitigen Negierung bei den eiscnacher Zoll- conferenzen erhoben wird. — Wenn bekanntlich über die Handhabung des