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Nr. 14S. 28. Juni I8S6 Deutsche Mgmeine Zeitung «Wahrheit und Recht, Freiheit und Scseh!» !>' Zu beziehen durch all« Postämter de« In- und Auslandes, sowie durch di« Erpedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Preis für da» Vierteljahr 1V, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. Jnsertiontgebühr für den Raum einer Zeil« 2 Ngr. Sonnabend. DeiHSHib« Die Zeitung erschein! mit Ausnahme des Montag« täglich und wird Nachmittags -1 Uhr au«- gegeben. Deutschland. Preußen. * Berlin, 26. Juni. Das größte Aussehen macht äugen, blicklich sowol in Ansehung der Person als der Sache der Proceß der Prival- docenten vr. ^jur. Edygrd Schmidt. Tiefe Entrüstung theilt stch Jedem mit, der den Zusammenhang der Verhältnisse verfolgt, welche zur Anklage gegen 0r. Schmidt geführt haben. Er steht wegen wissentlich falscher Denuncia- tion vor den Schranken und das Publicum erwartet mit Ungeduld den Schluß der Verhandlungen, um das rächende Schuldig über ihn ausgespro chen zu hören, vr. Schmidt ward im Jahre 1845 mit der Vormundschaft über die zwei Kinder der Witwe B. betraut. Agnes und Otto wohnten bei ihm, hatten aber schlimme Tage, und Schmidt s Gattin ihat nichts, ihnen ihre Lage zu erleichtern. Im Jahre 1847 etwa trug Schmidt bei der Behörde darauf an, beide Waisen in die Anstalt sür verwahrloste Kin der zu bringen. Es geschah. Nach einer Zeit fiel den Armen eine Erb schaft von 10,000 Thlrn. zu. Schmidt machte sie jedoch nicht mit diesem Glückswechsel bekannt, sondern überredete nur Agnes, wieder in sein Haus zu ziehen. Otto ward Gärtnerlehrling. Gleich einer Magd wurde das Her anwachsende junge Mädchen behandelt; sie mußte in der Küche schlafen, bekam dürftige- Essen und ohne Grund so furchtbare Stockprügel, daß das Schmidt'sche Dienstmädchen einst beim Anblick einer solchen Scene in Ohn- macht fiel. Agnes entlief endlich dem Hause der Qual, flüchtete zu einer mitleidigen Frau ihrer Bekanntschaft, ging auf Zureden von neuem in den früher« Aufenthalt, und nicht lange darauf denuncirte vw Schmidt seine Mündel bei der Polizei, durch sie sei er entschlich bestohlen, aber nicht ein mal, sondern seit Jahren, denn er verdiene jährlich 1600 Thlr., verzehre mit feiner Frau nur 800 Thlr., müsse in fünf Jahren also 4000 Thlr. erübrigt haben; diese seien verschwunden; wer könne der Dieb sein als Agnes und Otto B. ? Auch wollte er bei einer Harzreise, welche die Kin der mitgemacht, um 300 Thlr. bestohlen sein. Vor der Behörde, die er zu scharfer Untersuchung auffoderte, erklärte er, alle kleinern Verluste gar nicht mit in Rechnung bringen zu wollen, wenn ihm aus dem Vermögen der B.'schen Kinder nur ein Ersatz von 4000 Thlrn. gezahlt würde (1500 Thlr. hatte er schon früher für angegebene Auslagen au- der Masse de- CapitalS erhalten). Und wie bewies er den Verdacht gegen die Waisen? Er hatte Agnes zur Anlegung eines Tagebuchs genöthigt, wo sie das Ein- geständniß kleiner und größerer Entwendungen niedergeschrieben. Mündlich wiederholte sie vor Polizeibeamten und in Schmidt's Gegenwart ihr Be- kcnntniß, flehte aber, sobald Schmidt sich entfernt hatte, dieselben Beamten kniend um Rettung an, betheuerte ihre Unschuld, sie sei durch schreckliche Mi-Handlungen und noch ärgere Drohungen zu all den falschen Aussagen gezwungen worden. Sowie Schmidt wieder ins Zimmer trat, nannte sich die Unglückliche in Allem schuldig, was ihr vorgchalien wurde. Ihr psy chischer Zustand soll so gefoltert gewesen sein, daß sie auf Schmidt's Frage gewiß sogar da- Schrecklichste eingeränmt haben würde. Die Unwahrschein lichkeiten der von Schmidt gegen Agne- und Otto erhobenen Beschuldigun gen stießen allen Untcrsuchungsbeamten sofort auf. Die Zeugenvernehmung spricht durchaus zu Gunsten der beiden Waisen nnd gegen Schmidt. Die Geschwister haben ihre Aussagen beschworen. Schmidt hat neue Anklage- punkte wider sic aufgeworfen und zwar — das Haar des Hörers sträubt sich — Blutschande, welche Bruder und Schwester miteinander als Kinder getrieben haben sollen, in welchen Frevel auch noch andere (jetzt erwachsene und theil» verheirathete) Personen verwickelt gewesen seien, die er (Schmidt) sämmtlich angeben wolle. Da- Gericht wird ihm den Mund wol zu ver- bieten wissen. Ucbrigens scheint auch diese gräßliche Beschuldigung gegen Agnes und Otto falsch. Das Aeugenverhör Hal sie ganz davon entlastet, obgleich Schmidt di« Atteste eines verstorbenen Arzte- und eines Apothe- kcr« für seine Behauptung beigebracht hat. Der Grund, den Schmidt zur Tyrannisirung der Armen gehabt, wem ist er zweifelhaft? Der StaatSanwalt hat drei Jahre Haft gegen ihn beantragt. Wie viel Jahre aber, wenn die irdische Themis nicht milder wäre als die göttliche Nemesis, wie viel Jahre würde der Mann im Zuchthause nach Fug und Recht abzubüßen haben, der eben diese gemishandelten, gepeinigten, verfolgten beiden Geschwister durch ehe brecherischen Umgang mit ihrer Mutter selbst gezeugt hat? Dieses Verhält- niß von ihm zu den Kindirn hat sich durch übereinstimmende Angaben ver schiedener Personen, die wol darum wissen können, herausgestellt! Wer be greift solche Seelenmetamorphose, wie sie in Schmidt seit circa sechs Jahren vorgegangen? Im Jahre 1848 ein energischer Demokrat im edeln Sinne des WorlS, mit festen, chrenwerchen Grundsätzen, feurigem Rechtsgefühl und gediegener, ja seltener Rhetorik; seit 1850 einlenkend, heuchelnd, fröm melnd, jetzt Pietist in solchem Grade, daß er nahe au religiösen Wahnsinn streift. (In der Criminaluntcrsuchungssache gegen den Privatdocentcn an der hiesigen Universität vr. Schmidt ist heute vom Gerichtshof das Urtel ge- ! fällt worden; Schmidt ist zu 2'/r Jahren Gefängnißhaft und 500 Thlr. Geldbuße oder zu noch 6 Monaten Haft verurtheilt; dagegen ist über die Frau das Nichtschuldig ausgesprochen.) — In der bekannten Proceßsache gegen den Bankier L. Meyer wegen VerratHS telegraphischer Depeschen wurde heute Mittag gegen denselben daS Nichtschuldig ausgesprochen. — „Wie cs heißt", sagt das berliner Correspondcnz-Bureau, „verlangt Oesterreich die Niedcrsetzung einer permanenten Zoll- und Handelsbc- Hörde, welche, aus Bevollmächtigten Oesterreichs und des Zollvereins ge» bildet, in Wien ihren Sitz haben soll, wie dies bereits in Bezug auf die Zolleinigung mit den italienischen Staaten der Fall ist. Bekanntlich besteht eine internationale Zollcommission, welche die aus dem Vertrage Oesterreichs mit den oberitalienischen Staaten zulässigen Verkehrserlcichterungen feststellt und deren Ausführung vorbereitet." — Die zwischen der preußischen und der russischen Regierung unter dem 20. Mai 1844 abgeschlossene Cartelconvention wegen Auslieferung der Ueberläufer und Deserteure erlischt vertragsmäßig mit dem 1. Aug. d. I. Für den Fall, daß die Verhandlungen wegen Erneuerung bcz. Abänderung der Convention in der Zwischenzeit noch nicht soweit gediehen sein sollten, um mit der Publikation des neuen Vertrags rechtzeitig vorgehen zu können, hat das Ministerium des Innern kürzlich an die BezirkSregierungen ein Circular erlassen, durch welches dieselben, davon in Kenntniß gesetzt werden, daß unter allerhöchster Genehmigung mit der russischen Regierung die Ver abredung getroffen ist, die bestehende Convention auch über den 1. Aug. d. I. einstweilen beiderseitig noch in Kraft zu erhalten und in Anwendung bringen zu lassen. (Pr. Cz.) — Der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegcnhei- ten hat an sämmtliche Provinzialschulcollegien folgende Verfügung über die gründliche Behandlung der alten Sprachen und Aneignung eine- ausreichenden Vokabelschatzes seitens der Gymnasiasten erlassen: ES ist i» den auf die Circularverfügnng vom 28. Nov. 1854 erstatteten gutacht lichen Berichten allgemein als Thatsache anerkannt worden, daß es auf den Gymna sien den Schülern auch der mittler» und oben, Classen häufig an derjenigen oopia vocnbulorum im Lateinischen fehlt, deren es besonders zu einem leichten und sichern Verständnis der Autoren bedarf. Infolge dessen wird die Neigung zum Gebrauch un gehöriger Hülfsmlttel, namentlich zur Benutzung gedruckter Uebersctzungen und zum Ueberschreiben der Vocabeln sowie der Abhängigkeit von dem auch in de» obersten Classen noch neben dem Autor liegenden Vocabelbuch, nicht selten «»getroffen nnd die eigene Befriedigung der Lernenden beim Lesen der Elassiker vermißt. Es soll nicht ver kannt werden, daß hierzu auch andere, nicht im Bereich der Schule liegende Nebel stände Mitwirken; umsomehr ist es aber ihre Pflicht, von den ihr zugcböte stehenden Mitteln der Gegenwirkung den sorgfältigsten Gebrauch zu machen. Die Schüler ter untern Classen bedürfen einer bestimmten Anleitung, wie sie beim Präpariren znwerke zu gehen haben; und die einmal erlernten Vocabeln müssen ebenso wie die Regeln Gegen stand wiederholter Repetition sein, bei der durch mannichfach wechselnde Fragweisen einem mechanischen Auswendiglernen vorgebeugt wird; bei den Versetzungen ist aus sichere Voca- belkenntniß ein größeres Gewicht zu legen, als gemeiniglich geschieht. Wenn auf diese Weise durch feste Einprägung der in der Grammatik und den Lesesiücken vorkommenden Vocabeln dem Bedürfnis der untersten Classen im Allgemeinen genügt werden kann, so ist doch außer dem, im Betracht der Nothwendigkcit empirischer Grundlagen beim ersten Unterricht und für die Zeit der größten Willigkeit des Gedächtnisses ein methodisches Vocabellernen sehr zu em pfehlen. Es ist nicht die Absicht, in dieser Beziehung eine bestimmte Anordnung oder die Ein führung'eine« der vorhandene» Vocabularien vorzuschretben; aber die Direktoren sind da, wo es noch nicht geschehen ist, zu veranlassen, den Gegenstand mit den betreffenden Leh rern in Berathnng zu nehmen und mit denselben ein gemeinsames Verfahren zu ver abreden. Am wenigsten empfiehlt es sich, Vocabeln nur nach der zufälligen Ordnung des Alphabets lernen zu lassen; bildend für das Sprachgefühl auch im ersten Knaben alter wird es nur geschehen, wenn das Zusammengehörige gruppenwcis und mich Ana- loaie gelernt wird, wobei sowol der reale wie der logische Gesichtspunkt, nach welchem z.B. auch die Opposita eingeprägt werden, Berücksichtigung verdienen. Geht ein streng etymologisches Verfahren über die Kräfte der Schüler in den untersten Classen hinaus, und eignet sich überhaupt für die Schule nur das in dieser Beziehung un zweifelhaft Feststehende zur Benutzung, so ist doch das Wesentlichste der Wortbildungs lehre, worin jetzt nicht selten eine große Unwissenheit «»getroffen wird, nach Maß gabe des Schulbedürfnisses, bei welchem es aus eine systematische Vollständigkeit nicht «»kommen kann, gehörigen Orts mitzutheilcn und einzunben. Der beabsichtigte Nutzen eines irgend geordneten VocabellernenS wird indessen nur daun mit Sicherheit erwar tet werden können, wenn es keine isolirte Gedächtnißübnng bleibt, sondern wenn, je nach den einzelnen Classenstusen, der erlernte Wortvorrath in mündlicher und schrift licher Hebung fortwährend zur Verwendung kommt und möglichst in lebendiger Ge genwärtigkeit erhalten wird. Hinsichtlich der griechischen Sprache findet ein ähnliches Bedürfnis; statt, weshalb auf dieselbe die obigen Bestimmungen mit der »öthigen Be- chränkung entsprechende Anwendung finden. Ich veranlasse das königliche Provinzial- chulcollegimn, den Gynniasialdirectoren seines Ressorts Vorstehendes zur Nachachtung nitzutheilen, und vertraue, daß dasselbe der zweckmäßigen Behandlung deS wichtige» Gegenstandes fortdauernd seine Aufmerksamkeit widmen werde. — Der Pastor Zöller in Greifenberg in Pommern, der vor kurzem trotz des Widerspruchs des Consistori'ums gegen die Zulässigkeit einer Ur- tcrsuchung von dem Kreisgcricht zu Greifenberg zu 50 Thlrn. Geld- oder vier Wochen Gcfangnißstrafe verurtheilt wurde, weil er die Behörden seiner