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Donnerstag - Nr. L35 12. Jnni 18S6. Dit Zeitung erscheint mit Ausnahme des Montags täglich und wird Nachmittag- 4 Uhr au-, gegeben. Pret» für da« Vierteljahr I >/, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. Dmtscht Mgmkim Zeitmig. -Wahrheit v»d Recht, Frerheit und Gesetz!» Zu beziehe« durch alle Postämter de« In- und Auslandes, sowie durch die Srpedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Jnsertlon-gebühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Deutschland. VVom Rheiq, 9. Juni. In d«r Diskussion über den westmächtlich- österreichischin Äprilvertrag sinh die inspirirten Federn der verschiede nen gouvernementalen Principien offenbar an der Grenze der Thatsachcn angelangt, deren TranSspiration da« Publicum als zulässig fand. Denn bekanntlich gibt «S für streitende Cabinet« immer Punkte, wo ihre Offen herzigkeit auch in Betreff des Gegners von den Rücksichten auf diesen be grenzt wird; die letzte Karte vor der Oeffentlichkut auszuspiele», hütet man sich beiderseits. Nur muß man nicht vom Publicum verlangen, daß dieses auf Commando ein Interesse fallen läßt, welches erst aus bestimm- ten Centralpunkten aufS lebhafteste angeregt und zur Diskussion gestellt wurde. Es ist daher mehr als eine irrthümliche Unrichtigkeit, wenn jetzt die Correspondenzen, welche,,öffentliche Meinung" signalisiren wollen, die Behauptung aufstellen, daß plötzlich vom Aprilvertrage nicht mehr geredet werde. Von seinen einzelnen Artikeln freilich nicht. Aber um deren For- mulirung hat sich das große Publikum überhaupt niemals gekümmert. Warum auch? Da nach den Versicherungen Lord Palmerston's kein gehei mer Tractat daneben besieht, so bleibt in ihnen von vornherein nicht die geringste Dunkelheit. Aber daß neben dem offenen Vertrage noch Ver abredungen und Vorbereitungen der Verbündeten auf gewisse Eventualitä- ten hin getroffen seien, ist mit jener Erklärung des englischen Premier keineswegs in Abrede gestellt. Und nach verschiedenen Angaben existiren sie wirklich, beziehen sie sich sogar sehr bestimmt auf die von Rußland zu er wartende Politik der Einwirkungen auf Griechenland re. Die Beurtheilung des Aprilvertrags vom deutschen Standpunkt ist nun bekanntlich von der «inen Seite sehr abfällig, wahrend von österreichischer Seite gern dessen na- tionale Bedeutung für Deutschland emphatisch betont wird. Schwerlich etwas Anderes als Staubaufwirbeln in beiden Lagern. Ursprünglich ward dabei an Deutschland umsoweniger gedacht, als es kaum zweifelhaft ist, daß der Aprilvertrag erst entschieden von Oesterreich betrieben wurde, nach- dem eS sich darüber vergewissert hatte, daß Preußen auf eine ähnliche, re lativ irrige Verlängerung des deutsch-österreichischen Garantievertrags vom April 1854 nicht eingehen werde. Wäre dies geschehen, so würde die ge- naue Präcisirung der beiden großen politischen Gruppen Oesterrcich-Wcst- mächte und Preußen-Rußland nicht so demonstrativ ins Werk gesetzt wor den sein, wie es eben geschieht. Erst mit dieser scharfen Trennung zwi schen beiden deutschen Großmächten in ihrer europäischen Politik trat von neuem, wie nach dem westmachtlichcn Friedensprogramm (vom August 1854) im orientalischen Kriege, die Frage um das übrige Deutschland ein. Da mals fand man ein Compromiß am Bundestage. Auch jetzt wird man es finden und ist bereits auf dem Wege dahin, nur würde wahrscheinlich eine Verpflichtung des Bundes zur Garantirung der österreichischen Gebiete in Italien auf sehr bestimmte Eventualitäten reducirt werden. Diese Frage bleibt indessen im politischen Ealcul der großen Cabincte mehr nebensächlich; die Hauptsache bleibt immer der breite Halbgürtel, mit welchem die neue Aprilallianz den europäischen Continent umzieht, und in welchem Vlos Südwestdeutschland mit der Schweiz, sowie Belgien eine geographische Lücke läßt. Die weitere Frage ist: wie werden sich die skandinavischen Staaten dazu stellen. Der Pyrenäischen Halbinsel hält sich der französisch-englische Einfluß versichert. Auch über Italien würde die österreichisch - französische Rivalität zu einem Compromiß gekommen sein, wenn nicht Sardinien so unbequem darin läge. Indessen scheint man auch hier einen Faden der Ucber- «instimmung gefunden zu haben. Und es stimmt damit ganz güt zusam men, daß ein Theil der inspirirten Presse plötzlich dort jede Aufregung in Abrede stellt, während ein anderer Deutschland so inständig warnt, sich von dieser Frage fernzuhalten. Preußen. -^Berlin, 10. Juni. Die Kaiserin-Witwe von Rußland tritt am 14. Juni die Reise nach Wildbad an. Ob sie sich später von Wildbad aus nach Italien begeben wird, ist noch nicht bestimmt. Es wird dies nach dem Ausspruch der Aerzte davon abhänge», wie ihr die Cur in Wildbad bekommt. Mit dieser Badereise der Kaiserin bringt man in sonst gutunterrichteten Kreisen eine abermalige Hierherkunft des Kaisers Alexander in Verbindung. ES heißt nämlich, daß der Kaiser seine Mutter von Wildbad entweder abholrn oder sie daselbst, im Fall sie nach Italien gehen sollte, vor ihrer Abreise nach dem Süden noch einmal besuchen werde. ES dürfte in dieser Beziehung wol auch an die Worte zu erinnern sein, mit welchen der Kaiser hier von seinem preußischen Ulanenregiment Abschied nahm: „Wir sehen uns bald wieder." Es heißt nun, daß im Spätsom mer oder im Beginn deS Herbstes eine Zusammenkunft des Kaisers von Desterreich und des Kaisers Napoleon auf dem Schlosse Arenenberg am 'Bodensee stattfinden dürfte. Bestätigt sich das erwähnte Gerücht in Ge- treff deS russischen Kaisers, so konnte eS sich leicht treffen, daß seine An wesenheit in Betreff der Zeit zusammenfiele mit der Anwesenheit des Kai sers Franz Joseph und deS Kaisers Napoleon am Bodensee. Wir können das Alles freilich nur als eine Möglichkeit hinstellen; dg aber die Gerüchte von einer beabsichtigten Zusammenkunft zwischen dem Kaiser Napoleon und dem Kaiser Alexander trotz aller Widerlegungen nichts weniger als verschwin den wollen, so ist von dieser Möglichkeit doch jedenfalls Notiz zu nehmen. — Am 7. Juni wurden die Redacteure der hiesigen Zeitungen auf das Pc- lizeipräsidium geladen, wo denselben infolge höherer Weisung Folgendes «- öffnet wurde: Die hiesigen Zeitungen pflegten über die Sitzungen des Staats- Ministeriums Mittheilungen zu bringen. Einmal enthielten diese Mitthei- lungen aber gewöhnlich viel Ungenaues und Falsches, und scdann seien die Berathungen der StaatSregierung überhaupt kein Gegenstand der Orffent- lichkeit, woraus folge, daß den fraglichen Mittheilungen immer eine Der- letzung des Amtsgeheimnisses zugrunde liegen müsse. Es würde deshalb, um dem in Zukunft in geeigneter Weise cntgegenzutretcn, die Veröffentli chung solcher Mittheilungen künftighin als eine Theilnahme an dem bezeichneten Vergehen angesehen und hiernach vorkommendenfalls durch Beschlagnahme der betreffenden Zeitungsnummcrn rc. dir nothwendige Verfolgung eingelcitet werden. Infolge dessen kann über die Sitzungen des StaatSministeriums in Zukunft nur noch Das mitgrtheilt werden, in den hiesigen Zeitungen wenigstens, was die Staatsregierung selbst veröffentlichen zu lassen für gut befindet — also nur Officielles. —- Vor einigen Tagen ist aus Rom der Prinz Joseph Bonaparte hier angekommen, der Sohn des Prinzen Lucian Bonaparte, des bekannten Präsidenten der römischen Nationalver sammlung von 1848. Jetzt ist nun auch von Paris der Prinz Karl Bo naparte, begleitet von dem Prinzen und der Prinzessin Gabrielli, hier ein- getroffen. ES scheint dieses Zusammentreffen kein blos zufälliges zu sein. — Der diesseitige Gesandte in Kopenhagen, Graf Oriolla, weilt seit vor gestern hier. Es steht die Hierherkunft desselben, dem Vernehmen nach, mit dem gegenwärtigen Stande der Verhandlungen über die Sundzollfrage in Verbindung. t Berlin, 10. Juni. In Betreff der Donaufürstenthümer neigt sich die Politik Preußens, dem Vernehmen nach, mehr der Anschauung der Wcstmächte zu, welche die Vereinigung der Moldau und Walachei unter einem und demselben Fürsten und die Verschmelzung derselben zu ei- nem Ganzen als das heilsamste Mittel erkennen, um den Donaufürstenthü- mern aus ihrem gegenwärtigen zerrütteten Zustande aufzuhelfen. Wie be kannt, sind Oesterreich und die Türkei mit dieser Ansicht nicht im Ein klänge und wirken der Verwirklichung derselben entgegen. Rußland hat die Vereinigung der beiden Fürstenthümer als den Wünschen und den Inter- essen derselben entsprechend erklärt. Mit Recht ist hervorgehoben worden, daß dieses Auftreten Rußlands sehr erklärlich sei, indem diese Macht durch Förderung der nationalen Bestrebungen und wirklichen Interessen am ersten hoffen könne, Zuneigungen und Ansehen in den Fürstenthümern wiederzu erlangen und sich zu erhalten, und dies umsomehr, al« die Pforte in be schränkter Politik Rußland darin den Vorsprung völlig überlassen zu wollen scheine. Man werde sich überzeugt halten können, daß, je weniger Hoff- nung auf ein günstiges Ergebniß der Verhandlungen über die Organisa tion der Fürstenthümer sich zeige, desto wärmere Fürsprache die nationalen Interessen in der Moldau und Walachei russischerseit« finden und desto gründlichere und gesundere Vorschläge zur Besserung der Zustände in die sen Ländern seitens Rußlands ausgehen werden. Die türkische und die österreichische Politik sei in Bezug auf diese Angelegenheit eine durchaus kurzsichtige. Wenn die Versicherung, daß Preußen sich in der bezeichneten Donaufürstenthümerfrage den Westmächten und Rußland mehr anschljeße, sich als wahr erweisen sollte, so würde eine solche Thatsache schon insofern eine gewichtige genannt werden können, als von den fünf europäischen Großmächten vier sich für die Vereinigung der Donaufürstenthümer aus sprechen. — Das berliner Correspondenz-Bureau vom 10. Juni enthält folgende Mittheilungen: „ES ist ungeachtet der entgegenstehenden Versicherungen der von Oesterreich inspirirten Blätter hier in den unterrichtetsten Kreisen die Ansicht überwiegend, daß Oesterreich schon in nächster Zeit mit seinen Vor schlägen zur Umgestaltung der Bundesverfassung hervortrcten werde. Man versichert, es seien von Oesterreich den Mittelstaaten verschiedene Concessio- nen gemacht, um deren Zustimmung zu den vorgeschlagenen Aenderungen zu erlangen.— Der in den dreißiger Jahren vielgenannte Uhrmacher Naun dorf, der sich für den Sohn Ludwig'S XVI. auSgab und sich Herzog der Normandie nannte, ist nicht, wie man seit längerer Zeit glaubte, in London gestorben, sondern befindet sich gegenwärtig im Gewahrsam der Polizei zu Rotterdam. Da er als preußischer Uotcrthan angesehen wird (er lebte viele Jahre, das Uhrmachergewerbe betreibend, in Krossen a. O ), so hat die nie derländische Polizei bei den diesseitigen Behörden Erkundigungen eingezogen."