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Donnerstag. Leipzig. Die Zeitung erscheint mit Ausnahme de« iSsoutagS täglich und wird Nachmittag- 4 Uhr auS- gegeben. Prei> für da« Vierteljahr I V, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. Nr 12g — 5. Juni >856. Dtiltsche Mgemim Zkitiuig. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Seseh!» Zu beziehen durch all Postämter de« Zn- und Auslandes, sowie durch die Expedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Jnsertionsgebühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Deuts chlund. Preußen. ^Berlin, 3. Juni. Es ist viel von Erklärungen die Rede gewescn, welche von den Westmächten über den Vertrag vom 15. April gemacht worden seien, und namentlich wurde hervorgehobcn, Laß die Erklärungen, welche von dem Kaiser der Franzosen in dem von dem ErneLal Ney nach Petersburg überbrachten Schreiben gemacht wurden, so weitgehend seien, daß durch dieselben die auf russischer Seite durch den genannten Vertrag hervorgerufene MiSstimmung ohne allen Zweifel ganz würde beseitigt werden. Wir haben über den Vertrag vom 15. April, seine Bedeutung, und namentlich auch darüber, gegen wen er gerichtet, wieder holt das Nöthige gesagt. Wir wollen heute nicht zum dritten und vierten male versichern, daß Das, was wir gesagt haben, andern Ansichten gegen- über das allein Richtige ist. Welche beschwichtigenden Erklärungen können dann noch gemacht werden? Man mag sagen und erklären was man will, der Vertrag bleibt Vertrag, er bleibt gegen Rußland gerichtet, und auch an dem Umstand kann durch alle Erklärungen von der Welt nichts -eändert werden, daß der Vertrag ganz in der Stille, ohne alles Wissen Rußlands, abgeschlossen worden ist. Daß die Erklärungen der englischen Regie rung nicht weither wären, hat man denn auch schon erfahren. Was die fran zösischen Erklärungen betrifft, so können wir von dem Inhalte deS von dem Geqepal Rey nach Petersburg überbrachten Schreibens natürlich nichts wis sen ; das aber wissen wir mit aller Bestimmtheit, daß sich die Ansichten des russischen Hofs und der russischen Diplomatie über den Vertrag vom 15. April bis zu dieser Stunde auch nicht im allerentferntesten geändert ha ben, und da dies eine Thatsache ist, so sind wir auch vollkommen berech tigt, aus derselben den Schluß zu ziehen, daß, wenn das von dem Ge neral Ney nach Petersburg überbrachte Schreiben Erklärungen, wie die an- gedeuteten, überhaupt enthalten hat, dieselben doch jedenfalls nur durchaus unbefriehigend gewesen sein können. Indem wir dieses Verhältniß feststel- len, wollen wir demselben eine allzu große Bedeutung übrigens nicht zu- schreiben, und nichts ist in der That unberechtigter als die Annahme, daß infolge des Vertrags vom 15. April Europa in zwei große Gruppen ge- «theilt worden sei, deren eine Preußen und Rußland und die andere Frank- . reich, England und Oesterreich bildeten. Was Preußen betrifft, so liegt der Vertrag vom 15, April seinem engern Staatsinleresse viel zu fern, als Laß es sich veranlaßt sehen könnte, sich mit Rußland zu einem Contrecoup Hegen jenen Vertrag zu verbinden. Hat der Vertrag vom 15. April über- Haupt eine Bedeutung für Preußen, so liegt diese Bedeutung vor allen Dingen, wenn nicht ausschließlich, in der Wirkung des Vertrags, resp. darin, daß der Vertrag für lange Zeiten ein unübcrsteigliches Hinderniß bildet gegen das Zustandekommen einer französisch-russischen Allianz. Von diesem, dem rein praktischen Standpunkt aus kann Preußen sich über den Abschluß des Vertrags vom 15. April sogar freuen, und wenn man /früher gesagt hat, daß die Kunde von dem Vorhandensein jenes Ne- henvertrags hier ebenfalls sehr unangenehm überrascht habe, so war das, rücksichtlich des Standpunkts der preußischen Regierung, eben nur ein Märchen. Ebenso sind auch dem Bestände der andern Gruppen die ent schiedensten Zweifel entgegenzustellen. In Betreff der Donaufürstenthü mer, die doch auch ein Stück von der „orientalischen Frage" bilden, zeigt sich bereits, wie weit die Einigkeit dieser „Gruppe" geht; in Be- treff Italiens wird es sich auch zeigen. Dazu kommt noch, daß der Vertrag vom 15. April, wie wir nachträglich von sehr güt unterrichteter Seite erfahren, ein geheimer StaatSvertrag zu bleiben ursprünglich aus- drücklich bestimmt war. Die Nachricht, daß die englische Regierung den Vertrag gleichwol dem Parlament vorgelegt habe, hat in den Tuilerien wie in Wien einen wahren Schrecken hervorgerufen. Die verdrehten Arti kel, die den „eigentlichen Sinn" des Vertrags erklären sollten, finden in diesem Umstande ihre natürliche Erklärung. ES muß gesagt werden, daß die englische Regierung für alle die Ouerzüge, die ihr von der französischen und der österreichischen Diplomatie auf der Pariser Conserenz gemacht wurden, «inen bessern Gegenhieb wol kaum hätte führen können. Wir erwähnen dieses interessante Vtkhältniß für heute jedoch nur beiläufig. Wir können übrigens von dem Gesagten, wie sehr eS auch zu beachten, gänzlich ab- sehen; denn darin liegt der Hauptgrund für unsern Zweifel an dem Be- stünde auch dieser angeblich zweiten Gruppe, daß unsere Zeit gar keine Zeit ist für eine definitive Gruppenbildung in Sachen der höhern Politik. Der KriedenSvertrag mit all seinem Zubehör ist nicht- als ein künstlich zusam- mengrflickteS Provisorium, und die ganze sich auf denselben gründende po- «tische Constellation der Gegenwart entbehrt darum in aller und jeder Be- zichung det tiefer« Basis in den Verhältnissen selbst. Wenn dieses Pro visorium, an dessen Bestand seine diplomatischen Verfertiger übrigens selbst ^nicht glauben, einmal züsammenbricht, dann wollen wir sehen, wie die „Gruppen" sich bilden^ ' - t Berlin, 5-Juni. Der Kaiser Alexander ist in der verstossenen Nacht zwischen 12 und 1 Uhr von hier nach Petersburg zurückgereist. Die Stimmung des Kaisers schien eine mild-ernste zu sein. Derselbe soll sich über die Aufnahme, welche ihm von Seiten der Hauptstadt Preußen- zu- theil geworden ist, sehr gefreut haben. Wie es heißt, habe er den Wunsch ausgesprochen, daß der Prinz von Preußen die KrönungSfeierlichkeiten am 5. Sept, in Moskau auch durch seine Gegenwart verherrlichen möge. Die verwitwete Kaiserin von Rußland hat sich seit ihrer Anwesenheit am kö- niglichen Hoflager in überraschender Weise erholt, sodaß dieselbe nunmehr vier Wochen in Sanssouci verbleiben wird, da ihr der dortige Aufenthalt so sehr zuträglich zu sein scheint. Der Großsürst Michael hat sich durch die innig-sorgsame Aufmerksamkeit, welche er seiner kaiserlichen Mutter allenthalben schenkt, die Liebe Aller, die ihn in der Nähe zu beobachten Gelegenheit haben, erworben. Die Tage hindurch, als die Kaiserin sich in so hohem Grade angegriffen fühlte, sah man ihn seine Mutter aus dem Wagen und in den Wagen bei ihren Spazierfahrten tragen, indem die Kaiserin zärtlich den Nacken des Sohn- umschlang. — Der Kaiser von Rußland hat dem Ministerpräsidenten Frhrn. v. Man teuffel den Orden vom heiligen Andreas verliehen. — Die Beschlüsse der wiener Münzconferenz liegen in diesem Au- genblick den auf der Conferenz vertretenen Regierungen vor. Es handelt sich jedoch, soviel wir vernehmen, noch nicht um eine Ratification derselben, sondern nur um die Erwägung, ob weitere Berathungen über diesen Ge genstand stattfinden, oder ob die aus den bisherigen Verhandlungen hervor- gegangenen Resultate als abgeschlossen betrachtet werden sollen. Die neuen von ganz abweichenden Grundlagen ausgehenden Vorschläge der bairischen Regierung sind nicht geeignet befunden worden, um zu Gunsten derselben die Basis, auf welcher die zeitherigen Verhandlungen der Conferenz beruh- ten, zu verlassen. (B-B.-Z.) — In der neuesten Nummer deS Evangelischen Kirchlichen Anzeiger gibt der bei dem neulichen .Pfingstskandal becheiligteGeistliche, Prediger Hof meier, folgende Darlegung des „wahren" Sachverhalts: Am zweiten Pfingsttage. Nachmittags 4'/, Uhr. begab ich mich mit einem Theil deS JüngtingsvereinS (mit etwa 100 Gliedern) vom Bereinshause zum Spaziergänge nach der Hasenhaide. Der uns unterwegs begegnende Misfionsinspector Haag schloß sich unserm Zuge an. Hinter dem Wasserthor wanderten wir. kleine geistliche Volks lieder singend, der Haide zu. An einem von Menschen überschwemmten Bierlocal hat uns unser Weg voriibergeführt; still und ohne zu singen find wir vorübergezogen. Wir be gaben uns etwas tiefer in die Haide nach einem Punkt, wo nur wenige Menschen gleich uns spazierengingen, machten daselbst Halt und stimmten fröhlich unsere Lieder an. Währenddem wir nun sangen, kamen von verschiedenen Seiten Menschen herzu und stellten sich, uns zuhörend, in großem Kreise um uns herum. Ich fühlte mich inwen dig dazu getrieben, meinen Jünglingen unter freien« Himmel eine Ansprache über die Bedeutung des Pfingstfestes zu halten. Das Hinzukommen vieler Hundert Leute, die nicht zu meinem Verein gehören, konnte mich von der Ausführung meines Vorhabens nicht zurückschrecken; ün Gegentheil mußte ich mir sagen: Es ist gut, wenn Viele die Pfingstrerkündigung hören, das Wort, das du verkündigst, ist nicht dein Wort, und «S ' wäre feige, wenn du nun schweigen wolltest. Freilich, schon als ich meine Vereins- glteder anrcdete: „Meine Brüder in Christo!" fingen Etliche an zu höhnen; der Hohn und Spott wuchs auch momentan in arger Weise; aber um so stärker fühlte ich mich getrieben, dem übrigen, still aufmerkende» Zuhörerkreise in aller Nüchternheit zu sa gen, worauf es einzig und allein ankomnie im Leben und im Sterben, und kundzu- thun, daß eS keine fröhlichen«, freudenreichem Menschen gäbe als gläubige Christen- leute. Im Anschluß an diese kurze Ansprache sangen wir das Lied: „Lobe den Herrn, den mächtigen König" re. Im offenbaren Gegensatz dazu rottete sich etwa 100 Schritt von uns entfernt eine Anzahl junger Leute zusammen, ein Gaffenhauerlied anzustim- men; doch auch dies hielt uns nicht zurück, zu Ehre«« unsers Herrn und Gottes unser Lied zu Ende zu führen. Da, in demselben Augenblick, als die Jünglinge meiner Auf- foderung, mit mir weiterzugehen, folgen wollten, stürzte uns eine Anzahl wilder Men schen nach, mit Schimpfen, Toben und Schreien. Unter denselben that sich besonders ein betrunkener Feuerwehrmann hervor, der, mit unseligen Geberdcn auf mich zustür mend, an nichts Geringeres dachte, als gewaltsam mich zur Wache zu sichren. Aber ter Herr hat eS gegeben, daß weder er noch andere wahrhaft wuthschnaubende Leute mich thatsächlich angerührt noch mir oder dem mich begleitende» Inspektor Haag oder den Jünglingen ein Leid angethan haben. — Auf der hier versammelt gewesenen lutherischen Conferenz hat die Versammlung nur zwei Beschlüsse gefaßt: 1) daß die Taufpathcn dem Geistlichen vorher angezeigt werden, damit er die Personen, welche er für ungeeignet hält, ausschließen kann, und 2) daß die Hebammen auch in den moralischen Pflichten ihres Amts unterwiesen werden, da es sogar vorge kommen, daß eine Hebamme zu den Baptisten übergetreten sei, ohne daß die Behörde sie, nach dem Anträge des Geistlichen, ihres Amts entsetzt hätte. Zur Ausführung beider Beschlüsse soll eine Petition an den Oberkirchen- rath gerichtet werden. (Zeit.) — Aus Altwasser vom 3Ü. Mai wird von einem bedauernSwerthen Un glücksfall auf der unweit der WilhelmShöhc gelegenen „östlichen Harte- grübe" berichtet. Ein zu der genannten Grube gehöriger alter Forderschachl ist behufs erleichterter Wettercommunicasion offengelassen, und von Zeit zu