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967 französischen Hofe mögen denselben wol eine minder bedeutende Wendung geben, aber sie ganz unmöglich zu machen wird ihm kaum gelingen. Die französische Regierung scheint trotz der Pflichten, die Frankreich al- katho lische Macht hat, entschlossen zu sein, ihrem Wort auf dem Congreß Nach- druck zu -verschaffen, und die auf unbestimmte Zeil ausgesprochene Verta gung der KrönungSfeierlichkrit ist auch ein Beweis, daß man auf die Hülse deS Papstes für die nächste Zeit verzichtet. Diese Vertagung können wir als wirklich beschlossen annehmen. Sonst haben wir noch mehre Vertagun- gen zu melden; unter andern jene der oft besprochenen Creirung eines neuen kaiserlichen Adels. Wie man sich erzählt, hat der Kaiser diese Idee auf gegeben, als man ihm einige Adelsdiplome, welche der Graf Chambord an treue Anhänger seiner Sache hierhergelangen ließ, zu Gesicht brachte. So mit ist auch ungenau, was von Graf Morny'S Erhebung zum Reichsfürsten gesagt wurde. Eine RegentschaftSliste, welche vor einigen Tagen hier im Umlauf war und worin Graf Morny als Präsident des Raths bezeichnet wurde, ist ebenfalls apokryph. Der Rath ist noch nicht ernannt und Prinz Jöröme muß unter allen Umständen als Präsident desselben betrachtet werden. — Der König von Württemberg verläßt uns morgen. Es stellt sich her aus, daß dessen Besuch in Paris keinen politischen Zweck hatte, wenigstens keinen, der sich auf die aktuelle Politik bezieht. Wir erfahren aus gutun terrichtetem Munde, daß der König von Württemberg dem Kaiser Napo leon III. einen Beweis seiner freundschaftlichen Gesinnungen für Frankreich geben wollte. ES sind nämlich der französischen Regierung durch ihre Agen ten in Deutschland unvortheilhafte Berichte über die Haltung des stuttgar- ter HofeS zugekommen, welche der Kaiser sofort dem Könige miltheilen ließ. Man protestirte natürlich gegen diese Behauptung, und der gegenwärtige Besuch sollte ein neuer Beweis von deren Unrichtigkeit sein. — Der Siicle erklärt sich zwar vollkommen mit Dem einverstanden und zufrieden, was der Vertrag vom 30. März enthält, bedauert aber Das, was derselbe nicht enthält. „Der Vertrag", läßt sich der Siicle verneh men, „bietet, wie wir darlegten, eine wichtige Lösung der orientalischen Frage; aber er bietet keine europäische Lösung. Der Orient ist gesichert, wenn Rußland den Vertrag hält, und man handelt danach; aber wir blei ben im Hader mit den bisherigen europäischen Schwierigkeiten, mit der Un abhängigkeit, die man Italien nicht lange mehr wird verweigern können, wenn es dieselbe gewaltsam sich nicht selbst nehmen soll; mit den von der Civilisation und namentlich von Frankreich gegen das unglückliche Polen eingegangenen Verpflichtungen." Deshalb, resumirt und raisonnirt der Siecle, sei eS ebenso erstaunlich als bedauerlich, daß man das Postscriptum zum wiener Ultimatum, welches, drohend wie die Statue deS Commandeurs, Rußland so nachgiebig machte, nicht besser benutzt und, wie sich dec Siecle ausdrückt, die Lage Rußlands (natürlich zu Gunsten der armen Unterdrück ten) nicht besser ausgebeutet habe. — Der diplomatische Korrespondent des Constitutionnel läßt sich auS Wien vom 7. Mai über die Stellung Frankreichs zu Oesterreich ver nehmen. Derselbe sucht zu beweisen, daß zwischen den Höfen von Paris und Wien vollständige Eintracht und Freundschaft herrsche. Er behauptet, daß die beiden Regierungen auch in Betreff der italienischen Frage voll kommen einig seien, und daß sie den Beschluß gefaßt hätten, zu gleicher Zeit von ihren betreffenden Gesandten der päpstlichen Regierung ein Me morandum überreichen zu lassen, worin zwar auf dringende, aber doch auch auf sehr respectvolle Weise die Einführung von Reformen in den Kir chenstaaten anempfohlen wird. Dann auf das österreichische Ultimatum an Rußland übergehend, behauptet er, daß dieses Aktenstück ein wirkliches Ul- timatum gewesen sei. — Man versichert hier mit der größten Bestimmtheit, daß Oesterreich und Rußland sich geeinigt haben, um der westlichen Politik in Griechenland einen energischen Widerstand zu leisten. Hr. Kalergis hatte dieser Tage eine lange Audienz beim Kaiser, worin die Lage Griechenlands einer weit- läusigen Besprechung unterworfen wurde. (Köln. Z.) — Der pariser Correspondent der Times schreibt: „Eine Thatsache, von welcher im Moniteur nichts erwähnt steht, ist, daß der nach Petersburg abgesandte General Ney der Ueberbringcr eines langen Schreibens vom Kai ser an den Zar sein soll. Napoleon III. entwickelt darin ausführlich die Gründe, warum Frankreich, England und Oesterreich ohne Wissen nicht nur des Grafen Orlow, sondern aller Welt mit Ausnahme der Unterzeich ner, den Vertrag vom 15. April abgeschlossen haben." — Der Constitutionnel widerlegt in einem vom Redactionssecretär unter- zeichneten Artikel die Ansicht, als habe in der Aeußerung deS Grafen Wa- lewski über die belgische Presse eine Auffoderung zur Beschränkung, eine Drohung gegen die Freiheit der Presse dieses Landes gelegen. „Als der erste Bevollmächtigte Frankreichs", heißt es, die Aufmerksamkeit deS CongresseS einen Augenblick auf die MiSbräuche der belgischen Presse hin- lenkte, wollte er, wie auch allgemein verstanden wurde, nur von jenen MiSbräuchen sprechen, deren verbrecherische Tragweite ein Abscheu der Red- lichgesinnten aller Länder ist. Nichtsdestoweniger gibt es Journale und selbst Staatsmänner in England, welche die Absichten des Ministers verkennen ober zu verkennen vorgeben und im Namen der Freiheit einen Alarmruf erheben, al- ob e» sich um eine von Frankreich beantragte moralische In vasion gegen die Unabhängigkeit und das Völkerrecht der Belgier bezüglich der politischen Diskussion handle. Die belgische Press« greift das französi sche Gouvernement täglich mit äußerster Heftigkeit an; aber die kaiserliche Regierung steht hoch genug, um von so tief ausgehenden Angriffen nicht erreicht zu werden; nach innen deckt sie die Popularität ihrer Politik, nach außen die allgemeine Hochschätzung; überdies verschont die belgische Presse die eigene Regierung ebenso wenig. Die belgischen Journale mögen denn ihr Beleidigungsrecht behalten, da man darunter Preßfreiheit versteht. Graf Malewski geht mit Verachtung darüber hinweg. Aber verstehen wir uns wohl. Volle Freiheit für die Polemik der Beleidiger. Aber die Po lemik der Uebclthäter, muß auch sie geachtet werden? Muß man zum Recht Beleidigungen auSzustreuen auch jenes hinzufügen, Verbrechen auszusäen? Und gegen dieses absurde und barbarische Recht, gegen dieses Recht allein sprach Graf Walewski, als er mit den Congreßmitgliedern die Mittel ver- einbarte, der Welt die Eintracht zu verleihen und die Civilisation zu ehren." — Die Spcner'sche Zeitung schreibt: „Vor einiger Zeit theilten wir mit, daß von den verbündeten Protestanten in Großbritannien eine europäische Deputation veranlaßt worden sei, welche dem Kaiser der Franzosen wegen der besonders in dem Departement Haute Vienne vvrgekommenen harten Bedrückungen der Protestanten in Frankreich Vorstellungen machen sollte, und bereits waren auch wegen einer Betheiligung von Preußen auS mit einer geeigneten Persönlichkeit Anknüpfungen getroffen. Eine solche Deputation wird nunmehr nicht nach Paris abgehen, da ihr Zweck bereits erreicht worden ist. Am 27. April d. I. ließ nämlich der französische Cul- tusminifler Fortoul mehre angesehene Protestanten aus Paris zu sich bitten, und eröffnete denselben, daß es kaiserliche Entschließung sei, die Lage der Protestanten in Frankreich wieder auf den Fuß zu sehen, auf welchem sie sich vor dem Decrete vom 25. März 1852 befunden haben. Da dieses Decret die gerichtlichen und administrativen Bedrückungen deckte, welche seit jener Zeit durch anderweitcn Einfluß veranlaßt waren, so wurde dieses für die Protestanten wichtige Ereigniß sofort nach England gemeldet und dort Ursache und Anlaß der Deputation als gehoben betrachtet. Zur nähern Aufklärung der Sache sind wir im Stande anzuführen, daß von Seiten der Königin Victoria und von Preußen aus betreffende Vorstellungen in Paris gemacht worden sind." Großbritannien. ^»London, 11. Mai. Die Times sagt: „DieDebatten haben über die belgische Preßfrage weit mehr Licht verbreitet, als eine bloße Durch lesung der Congreßprotokolle zu thun vermag. Es mag daher am Orte sein, den gegenwärtigen Stand der Frage zu wiederholen und klarer zu machen, wie irrthümlich Lord Clarendon die Rechte und Freiheiten des einzigen conflitutionellen Königreichs, welches nächst Piemont und Eng land in Europa existirt, aufgesaßt hat. Die bekannten Behauptungen des Grafen Walewski wurden von den Vertretern Oesterreichs und Preu ßens lebhaft ausgenommen, während es dem Grafen Orlow zur Ehre gereicht, daß er ein würdevolles Schweigen beobachtete und eS vermied, seinen kaiserlichen Herrn mit dem Versuch zu identificiren, eine Regie rung zu schrecken und einzuschüchtern, welche ihre von Europa verbürg ten Rechte stets in einer Weise ausgeübt hat, die jeden unparteiischen, we der durch Leidenschaft noch durch Furcht verblendeten Beobachter zur Be- wunderung zwingt. Die Angaben des Grafen Walewski blieben ganz un angefochten, obgleich sich jetzt zeigt, daß sie fast in jeder Beziehung unrich tig waren, und bei der Rekapitulation der Conferenzresultate, sagte er, daß «alle Bevollmächtigten, und zwar selbst diejenigen, die sich zu einem Vor behalt zu Gunsten deS PrincipS der Preßfreiheit verpflichtet glaubten, keinen Anstand nahmen, die Ausschweifungen, welchen sich die belgischen Zeitungcn so ungestraft hingeben, laut zu verdammen, indem sie die Nothwendigkeit anerkannten, dem wirklichen Uebel zu steuern, welches aus der in Belgien so sehr misbrauchtcn zwanglosen Freiheit entspringt». Diesem Satze hac Lord Clarendon leider seine Unterschrift gegeben. Als er um seine Meinung gefragt wurde, hielt unser Bevollmächtigter allerdings, wie sich von ihm er- warten ließ, an der Doctrin der Preßfreiheit fest, aber unglücklicherweise ist es auch wahr, daß er ein Aktenstück unterzeichnet hat, welches voll der groß- t«n Unrichtigkeiten ist und ein Princip enthält, welches, wie wir überzeugt sind, Lord Clarendon bei genauerer Ueberlegung verleugnen muß und wird. Weit entfernt, Pasquille auf fremde Regierungen zu gestatten, thut Bel- gien das gerade Gegentheil und anstatt daß die ausländische Negierung, die sich verleumdet glaubt, gezwungen wäre, in ihrem eigenen Namen die Klage anhängig zu machen, wie dies bei uns zu Lande der Fall ist, braucht sie nur eine vertrauliche Mittheilung an die belgische Regierung zu richten, und diese übernimmt dann selbst den Prcßproceß. Weiter fehlt nichts, In der That, als die Macht, den Angeklagten ohne Verhör und Gericht zu vcr- urtheilen — eine Art von Controle, welche selbst Diejenigen, die nach der Auferstehung der Heiligen Allianz seufzen, kaum im Angesicht Europas zu verlangen wagen können." Nach Erwähnung des belgischen Auslieferungs- und Fremdengesetzes fährt die Times fort: „Wir sind weit entfernt, Lord Clarendon zuzumuthcn, daß er das Gesetz über die belgische Presse und Re- gierung gekannt habe. Er ging nach Paris mit andern Ideen im Kopfe — er hat die Beziehungen zwischen dem Westen und Osten festzustellen, nickt sich in die Streitigkeiten zwischen Belgien und Frankreich zu mischen; seine eigene Aufgabe hat er vortrefflich erfüllt, aber «S ist und bleibt ein Gegen stand aufrichtigen Bedauern-, daß er, wenn auch nur theilweise über den Gegenstand unterrichtet, sich bewegen lassen konnte, seinen Namen unter ein Schriftstück zu setzen, daS den Grundsatz der Einmischung in die häuslichen Angelegenheiten eines befreundeten EtaatS aufstellt, die bi-jetzt mit soviel Klugheit, Mäßigung und Erfolg verwaltet worden sind. Eins möchten wir auch den Ministern und Rathgebern unserS großen Alliirten mit aller Hoch-