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17. April 1886 Rr. 8S Donnerstag UM Dtuffcht AllgtMiM Zkltllilg «Wahrheit und Recht, Freiheit und GesetzI» Insertionsgrbühr für den Ranm einer Zeil« 2 Ngr. daS mit Ungeduld erwartete Signal zu einer Wiedererweckung der polni schen Unabhängigkeit gegeben, noch selbst der gefahrlosere und leichter auf- zuführende Versuch der Zurückeroberung Finnlands und der dadurch zu bewirkenden Verjüngung und Kräftigung Skandinaviens — der natürlichsten Varhut gegen Rußland im Norden — gemacht worden. Dadurch hat sich zugleich Napoleon aufs neue die aristokratischen und conservativen Elemente von ganz Europa verpflichtet. Endlich aber mochte eS ihm, der alle Faktoren der inner» Zufrieden heit deS Landes aufs genaueste kennt und- beobachtet, die höchste Zeit zu sein scheint», die durch den Krieg gewaltig angespannten und beengten ma- teriellen Kräfte der Nation wieder in eine freiere und behäbigere Bewegung zu versetzen und einer drohenden Krisis der Börscnverhältnisse (in Frank reich, wo fast alle nicht ganz Unbemittelte ihre Ersparnisse in Staat-renttn oder andern Börseneffecten anlcgen, alle mal ein viel allgemeineres und er schütternderes Ereigniß als anderSwo) vorzubeugen. Durch die großartigen Operationen des Credit mobilicr und anderer mehr oder weniger von der Negierung abhängiger Geldinstitute war ein gewisser künstlicher Ausschwung deS Credit- und Börsenverkehrs selbst wahrend des Kriegs unterhalten und so dem Volke oder mindestens den Spekulanten an der Börse die Wirkung der Opfer, welche der Krieg direkt und indirekt von dem volkswirthschast- lichen Leben der Ration foderte, minder fühlbar gemacht worden. Allein dieser künstliche Aufschwung hatte bereits seinen Gipfelpunkt errricht und drohte, bei längerer Hemmung der natürlichen Bewegung der Gelb-- und Verkehrsverhältnisse, einen um so bedenklicher« Rückschlag herbeizuführcn. Schon hatse der Kaiser dem Credit mobjlier untersagen müssen, neue Obli gationen an den Markt zu bringen, und die Börse zeigte, selbst mitten un ter den ihr gebotenen Aussichten auf Frieden, immer wieder unerfreuliche Schwankungen. So kam Alles zusammen, um dem Kaiser vom Standpunkt seines per sönlichen Interesses und seines Regierungssystems die Fortsetzung deS Krieg« zu widcrrathen und den Abschluß eines für seinen Zweck vollkommen aus- reichenden Friedens zu erleichtern. Selbst die Geburt eines Thronerben ge- radh in diesem Moment mochte ihn in solchem Entschluß bestärken. Denn, wie die dadurch gewährte Erfüllung des sehnlichsten Wunsches des Kai- srrs — quf Begründung einer Dynastie — ihm eine mehr vorsichtige al« wagehalsige Politik, zur Sicherung des Erbes des Neugeborenen, anzurachen schien, so ward ihm dadurch zugleich eine erwünscht« Gelegenheit geboten, den eitel» und vergnügungssüchtigen Parisern durch glänzende Feste und ein Gepränge von Machtentfaltung, bei welchem der Fri«denScm»gr«ß-, im Nimbus seines eben vollendeten weltberphigenden Werks strafend,, «ine der bedeutendsten Rollen übernahm, zp schmeicheln und ihnen jeden Gedanken an die Schattenseiten des getroffenen Abkommens Hinwegzuscheuchom Zu beziehen durch all« Postämter de» In- und Auslandes, sowie durch die Expedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Preis für das Bierteljahr ^einzelne Nummer 2 Ngr. ! Die Abrechnung, m. . — Leipzig, 16. April. Wenn man den Eindruck des abgeschlossenen Frieden« auf Frankreich recht bemessen und daS Gewinn- oder Verlustkonto desselben festflellen will, so muß man vor allen Dingen unterscheiden zwi schen der Dynastie und dem Lande. Daß die Dynastie, daß der Bonq- parti-mu- ebenso sehr durch den Krieg als durch die plötzliche Beendigung des Kriegs für den Augenblick gewonnen, und zwar bedeutend gewonnen habe, liegt auf der Hand. Der Glanz der französischen Waffen ist durch die Wege an der Alma und bei Inkerman und durch die Einnahme Sewa stopols wieder aufgefrischt, di« Niederlagen Frankreichs in den Jahren 1812 —IS sind nicht bloS durch die ruhmreiche Niederwerfung des einen der da- maligen Gegner, Rußland-, sondern fast ebenso sehr durch die Verdrucke- lung d«S andern, Englands, in der Rolle, die derselbe jetzt als Kampf genosse Frankreich« spielte, gerächt und vergessen gemacht worden. Durch Beide« hat Napoleon III. ebenso sehr in der Achtung und Anhänglichkeit der von ihm beherrschten Nation, welche auf nicht« so großen Werth legt als auf militärischen Nimbus, sich befestigt, al- auch im voraus jedem Ge- danken, welchen die eine oder die andere europäische Macht hegen könnte, Frankreich otm ihn. anzugreifen, daS Urtheil gesprochen. Durch die über raschende Mäßigung ferner, mit welcher er mitten in dieser SiegeSlaufbahn, und gerade da, als dieselbe sich zu weitern Perspectiven zu öffnen schien, stillstand und auch seinen kampflustigen Bundesgenossen stillzustehen zwang, hat er auf« neu« den Ruhm, der Bertheidiger de« Conservatismus und der Ruhe Europas zu sein, befestigt, und durch die Versöhnlichkeit, womit er dem besiegten und niedergeworfenen Gegner nicht blos selbst die Hand reichte, sondern ihn auch gegen die Streiche deckt«, welche Ander« auf ihn führen wollten, hat er sich diesen Gegner lief verpflichtet, die Erinnerung an den voraztSgrgangenen Kampf au« dessen Grdächtniß verwischt und sich den Weg zu einem Bündniß gebahnt, welche« unter Umständen ihm für seine Plane nsihljchtr werden kann al« das englische. So steht Napoleon III. vor seinez» Polk und vyr Europa da, mit dem doppelten Strahlenkränze de- Haupte« einer siegreichen Koalition und al« Früdensstister Europa« be kleidet. Die stolze Königin des stolzen Jnfelvolk« und der König d«S kon stitutionellen Sardinien haben ihm, dem absoluten Selbstherrscher, dem Erben jenes Mannes, welcher der unversöhnliche Feind Englands war und unterdessen Usurpationen sich auch die Kron« Italiens befand, in seiner Hauptstadt ihre Huldigungen und Freundschaft-Versicherungen dargebracht, und «S dürfte nicht Wunder nehmen, wenn die Gerüchte sich bewahrheite ten, die von einem Besuche des Kaisers Alexander II. bei dem Kaiser Na- poleoy Iss. oder auch wol von einem zweiten Erfurt sprechen, welches die beiden Monarchen, wie ihre beiden Vorgänger, Seit« an Seite und Hand in Hand sehen würde,' natürlich ebenfalls, wie damals, umgeben von einem „Parterre von Königen". Hier scheint denn also eitel Gewinnst und nir gends Perlüst zu sein (denn der Einsatz an Geld und Menschenleben war la da« noihwendige Mittel zum Zweck), hier scheint nichts zu bereuen oder zu vermissbn, wol aber voller Grund zur Zufriedenheit und zum Stolz auf' daS GrrungMt, Di« Bilanz wird noch günstiger, wenn man in Rechnung stellt, waS beim weitern Fortgänge des Krieg- voraussichtlich für Napoleon zu gewin nen und» zu verlieren war. Ein Zuwachs an Waffenruhm schien nicht mehr nöchig; jmeS womöglich, daß bei dem bevorstehenden ernstlichen Feld zug« in per Ostst« da«--Uebergewicht der englisch«» Flotte, welche bereit- stand-, diost Expedition im kvlvffalsten Maßstabe ag-zuführen, die ftanzösi- schen Lorbern in der Krim durch die entscheidender» Schläge, welche hier geführt werden konnten, einigermaßen verdunkelte. Auf einen Zuwachs an Layd (gl«, reelle Entschädigung für die- noch ftrnn aufzuwendtnden beträcht- lichewHpfzx) war atpr kaum, z«, rechnen,, weniger «egen der stoische» Er- klärppg her Verbündete» beim Anfänge de« Krieg«, für sich keine Erobe. runge» machen zu wolle« (Henn dies«; Entsagung hätte vielleicht im weitern Fortgangs des Kxirg« sich verloren), als um deswegen, weil sich von Dem, waS man dem Gegner etwa abnehmen kannte^ zur Vergrößerung Frank reich- nichts wohl eignete, und der allein wünschenSwerthe, vielleicht auch wirklich gewünschte Läuderaewmn in d-r unmittelbaren Nähe (die Rhein- grenze oder Belgitn) von England, wie man sagt, hartnäckig verweigert ward. Dagegen drohte dem NapoleoniSmuS «ine bedenklich« Gefahr in der Entfesselung der Nationalitäten, welche bei riper weitern Ausbreitung und Steigerung de« Kriegs kaum mehr zu vermeiden war, und aus der davon schwer zu trennenden Wiederbelebung der noch lange nicht erstickten revo- lutiönättn Elemente allerwärtS in Europa. Dieser Gefahr ist Napoleon, für de» Augenblick wenigstens, durch dje rasch entschlossene Beendigung de« Krieg« entgangen. Dank fein« Vorsicht und der in sein« Wünsche aus mchM-ttibtN Vründtn sich willig fügenden englischen Aristokratie ist weder Deutschs»« Preußen. /XBerlin, IS. April. Nachrichten über die, hinsichtlich der „Freiheit der Dowauschiffahrt" von der Confcrenz zu Paris gefaßten Be schlüsse stellen außer Zweifel, daß Rußland danach aufgchört hat, Grenz nachbar der Donau zu sein. Nicht nur von der ganzen Donau selbst, mit Einschluß der nördlichsten, der Kiliamündung, sondern auch von einem b«- deuttndon Stück d«« untern Verlaufs des Pruth wird Rußland durch di« neue brssarabische Grenze auSg,schloffen. ES wird versichert, Graf Orlow habe sich, nachdem einige Vorstellungen gegen eine Rußland so empfindlich berührend« Zumuchung nicht den erwarteten Ei-folg gehabt, mit der besten Manier von der Welt in das Unvermeidliche gefügt.— Bei der bevorste^m- den Rückkehr d«S Ministerpräsidenten, Frhrn. v. Manteuffel, von Pa ris beabsichtig««, wie wir hören, Magistrat und Stadtverordnete demselben einem schmeichelhaften Empfang zu bereiten, um ihn so auch noch in be- sond«r«r W«is« die im ganzen Vaterlande ticfempfnnden« Anerkennung für seine Mitwirkung an dem segensreichen Erfolge der polnischen Haltung Deutschlands auszudrücken. — Der wissenschaftliche Verein der Zögling« des hirsig«n königlichen Gewerbeinstituts, genannt „Die Hütte", wirb -an dem bevorstehenden Pfingstfest zur Feier seiiwS zehnjäht-igSn Bestehen« einen Ausflug nach dem Harze unternehmen. Man berechnet die Zahl der Theilnehmer auf etwa 560. Bei der Hauptfeiersschkeit, auf dem Brocken, werden Reden, Gesangvorträge und selbst theatralisch« Vorstellungen vor kommen. — Ein sonderbares Gerücht ist hier verbreitet worden; danach soll Hr. Niebuhr drsignirtrr FinanMinister sein-, Hrn. v. Kleist-Retzow bezrich- nel man als künftigen Minister deS Innern, kurz: ein completc« Kreuz- zeitungsministerium. Abgesehen von dem entschiedenen Widerwillen, mit welchem rin solches Camanllarabin« hier sowol als im ganzen Land« aus genommen werden würde, ist der Gedanke so sehr im Widerspruch mit de» bestehenden Verhältnissen, daß das ganze Gerücht nur al« ein Anachronis mus bezeichnet werden kann.