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Sonnabend. — Rr. S7 — 8. März 1886. Dntp-i«. Dl« Zeitung erscheint mit Ausnahme de« Montag« täglich und wird Nachmittags 4 Uhr aus gegeben. Peris str da« Vierteljahr I V, Thlr.; jede einzeln« Nummer 2 Ngr. Deutsche Mgeineilie Zeitung. -Wahrheit und Recht, Freiheit und Sesch!» Z» beziehen durch all« Postämter de« In- und Auslandes, sowie durch die Srpedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Jnsertionsgebühr für den Naum einer Zeil« 2 Ngr. Die Kaiserrebe unb die Friedenskonferenzen. — Leipzig, 7. März. Wie oft auch im Laufe der orientalischen Krisis die öffentliche Meinung durch rasche Ueberga'nge von Furcht zu Hoffnung und von Hoffnung zu Furcht in Spannung und Aufregung verseht wor- den ist, so war dieser Wechsel doch niemals so plötzlich und so stark wie in diesen letzten Tagen. Seit dem Zusammen treten der Friedenskonferenzen in Paris hatten französische, russische und österreichische Blätter wetteifernd das nahe und sichere Ende des Streites verkündet und die ganze Welt, so weit «S in ihren Kräften stand, in einen allgemeinen Friedenstaumel öin. gewiegt; die Mahnungen der englischen Presse vor zu großem Vertrauen auf das Gelingen des Friedenswerks waren überhört worden, und diese selbst hätte zuletzt, ermüdet von ihrem undankbaren Geschäft, geschwiegen. Nun saßen sie beisammen um den runden grünen Tisch, Russen und Tür ken, Engländer und Franzosen, und obenan — eine günstige Vorbedeu tung für das Werk der Verständigung — das immer vermittelnde Oester reich. Nun war der Waffenstillstand gleich in der ersten Sitzung zustande gekommen, und in der Phantasie Vieler knüpfte sich unmittelbar an diese Botschaft die Vorstellung des Friedensschlusses selbst, bei dessen Unterzeich nung, wie man geheimnißvoll sich zuraunte, das große goldene Tintenfaß auf dem Eonferenztische, das Erbstück Napoleon's I., zum ersten mal unter dem neuen Besitzer seine Dienste thun sollte. Da, o Schrecken! dringt aus dem hermetisch verschlossenen Saale der Conferenzen die Kunde von einem heftigen Streit der Verhandelnden und von ernsten Stockungen in den Verhandlungen heraus und setzt, an den eisernen Drathen nach allen Seiten hin sich ausbreitend, die Gemüther und die Börsen in zitternde Be wegung. Ebenso schnell aber, kaum durch den Zeitraum eines TagS von ihr getrennt, eilt dieser Schreckensnachricht die Freudenbotschaft nach, daß Alles abgemacht und der Friede so gut wie eine vollendete Thatsache sei! Die beängstigten Gemüther athmen wieder auf, die gesunkenen Fonds be ginnen von neuem ihre aufsteigende Bewegung. Noch 24 Stunden, und aus dem Munde des Kaisers selbst wird Paris, wird Frankreich, wird Europa die frohe Kunde vernehmen, daß der Friede hcrgrstellt und Krieg und Blutvergießen, Blockade und Unterbrechung des Handels, Theuenmg und Furcht vor einem allgemeinen Wellbrande, daß dies Alles wirklich und dauernd beseitigt sei. Aber ach! diese Hoffnung erweist sich als ebenso eitel, ja eitler als der unmittelbar vorausgegangene Schrecken! Die Kaiserrede, welche der Fubelbotschaft der beiden belgischen Blätter, Le Nord und Jn- dspendante belge, fast auf dem Fuße folgt, bringt das sehnlich erwartete Olivenblatt nicht, sondern trägt in ihren Falten noch immer Krieg und Frieden, das Schwert und die Palme zur veryängnißvollen Wahl. Sie läßt zwar von der „Billigkeit und Mäßigung" aller Conferrnzmitgliedcr einen glücklichen Ausgang der Verhandlungen hoffen, aber sie ermahnt auch die Nation, diesem Ausgang „mit Würde" entgegenzusehrn, d. y. mit andern Worten: die Hand fest am Schwert; sie spricht zwar in ach tungsvollen Ausdrücken von der Friedensliebe des jetzigen Kaisers von Ruß- land, aber sie spricht noch weit mehr und mit unverkennbarer Gestissentlichkeit von der Kriegsbereitschaft Frankreichs und der Opferfreudigkeit des franzö sischen Volks für die Zwecke dieses Kriegs; sie begrüßt zwar anerkennend die entschiedenere Vermittlcrthätigkeit, welche Oesterreich in neuester Zeit an getreten, aber sie hat doch ungleich wärmere Worte der Anerkennung und der Sympathie für diejenigen Mächte, welche mit Frankreich vereint auf den Schlachtfeldern gestanden oder doch für die nächste Zukunft ihm eine wirksame Bundesgenossenschaft zugesagt haben; sie vernichtet endlich mit einer einzigen Phrase voll zweifellosester, wohlberechneter Entschiedenheit jede, auch die entfernteste Hoffnung der Gegner Frankreichs und Englands auf eine Entzweiung dieser beiden Mächte. Mit Einem Worte: diese Rede ist die vollständigste Widerlegung jener von der Jndöpendance belge so vorlaut ge machten Vorausverkündigung eines Abschlusses, von welchem man sicherlich zur Zeit noch so weit entfernt ist als nur je, und es hätte nach dieser Rede kaum noch der direkten ausdrücklichen Widerlegung bedurft, welche die neuesten offikiellen pariser Blätter derselben angedeihen lassen. Selbst Le Nord, wel cher erst so zuversichtlich von dem fertigen Frieden sprach, muß nun kleinlaut bekennen, daß die Conferenzen noch manche Fragen zu lösen ha ben, welche, wenn sie auch an einem glücklichen Ausgange derselben nicht ganz verzweifeln lassen, doch jedenfalls noch lange Beralhungen nöthig machen werden, und die Morning Post, welche ebenfalls die vollzogene Un- lerzeichnung der Präliminarien meldete, macht drei solche Fragen, als damit noch nicht erledigt, namhaft, von denen jede einzelne, wie uns scheint, ein Scheitern der Conferenzen droht, nämlich Nikolajew, die ÄlandSinseln und die griechische Kirche. Deutschland. Preußen. ^Berlin, 6. März. Di« Friedensfanfare der Jn- d^pendance belge ist verklungen, und Diejenigen, welche ihr geglaubt haben, sind vorläufig wieder einmal getäuscht. Recht lustig ist die Verlegenheit, in welche gewisse Blätter bei dieser Gelegenheit geralhen sind. Ein hiesiges Blatt z. B., welches über das Kleinste und Größte stets so gutunterrichtet ist, als ob alle Staatsaffairen der ganzen Welt auf seinem Redactionsbu- reau ausgemacht würden, wußte sogar über die telegraphischen Depeschen Genaues zu berichten, durch welche die russischen Bevollmächtigten angewie- sen worden wären, den entscheidenden Schritt zum definitiven Frieden zu thun, und nachträglich erfahren wir vollends auch, daß der Kaiser Alexan der seine Ratification ebenfalls durch den Telegraphen bereits nach Paris habe abgehen lassen. Eine Ratification — durch den Telegraphen! Daß Dergleichen in Berlin, der sogenannten Metropole der Intelligenz, gedruckt werden kann, das ist doch etwas stark. Wir haben indessen nicht um zu polemisiren, sondern lediglich im Interesse der auswärtigen Presse auf diese lustigen Dinge aufmerksam machen wollen, und in dieser Beziehung kann es bei dem Gesagten sein Bewenden finden. Ueber die Verhandlungen im Schoose der Conferenz fehlt es vielfach an solchen Nachrichten, denen man einen unzweifelhaft positiven Charakter beilegen könnte; was indessen d.S Thatsächliche der gegenwärtigen Sachlage in allgemeiner Beziehung betrifft, so dürften folgende Andeutungen, die uns von beachtenswerthcr Seite zugehen, doch wol einige Aufmerksamkeit verdienen. Es ist bekannt, daß das letzte Wiener Proto koll nur von Frankreich, England, Oesterreich, Rußland und der Türkei unterzeich- net worden ist. Da man nun auf Grund dieses Protokolls in Parrs unter handelt, so war, zur Feststellung der rechtlichen Basis, vor allem auch noch die Unterschrift Sardiniens nöthig. Diese Unterschrift ist jetzt erfolgt, aber nicht unter dem alten, sondern unter einem neuen und von dem frühen» insofern abweichenden Protokoll, als in demselben den fünf Punkten, wie solche dem Protokoll beigefügt sind, der Charakter von Präliminarien ge geben wird. Dieser Aenderung ist indessen nur eine formelle Bedeutung beizulegen, denn sie ist — und hieraus ist wohl zu achten — nicht erfolgt, weil man über alle, einen 6ssus belli einschließenden Punkte bereits einig gewor- den wäre, sondern lediglich deshalb, weil es für die Form der Unterhand lungen bequemer und fordernder erschienen ist, sofort einen Friedensvertrag zu redigiren und bei dessen «inzolnen Paragraphen der Reihe nach alles DaS zu diScutiron, was nach der ersten Absicht als Gegenstand der Präli minarien zu diScutiren gewesen wäre. Erwägt man, daß bei den gegen- wärtigen Verhandlungen in der Hauptsache Alles auf die Ordnung der Detail- frage ankommt, und daß man übor ein Princip im Allgemeinen wol einig sein, in Betreff der praktischen Anwendung des Principö aber wieder dia gonal auseinandergehen kann, so wird die getroffene Aenderung nicht nur als praktisch, sondern geradezu auch als nöthig erscheinen müssen. Die Sachlage hat sich also, in faktischer Beziehung, gar nicht geändert, und die Sache ist eben nur die, daß man die Schwierigkeiten, die sonst bei den Friedenspräliminarien abzumachen gewesen wären, auf die Abfassung des Friedensvertrags selbst hinübergetragen hat. Hierin wird man auch den Grund erblicken müssen, warum der Kaiser Napoleon in seiner Rede bei Eröffnung des Gesetzgebenden Körpers der Unterzeichnung der sogenannten Präliminarien gar nicht gedacht hat; denn die Bedeutung dieser Unterzeich nung ist, wie gesagt, nur eine äußerlich formelle, und die Beseitigung alles Dessen, was eine Fortsetzung des Kriegs nöthig machen könnte, bezeichnet sie nicht im geringsten. Darum ist in der kaiserlichen Rede, neben dec Hoffnung auf ein günstiges Resultat der Conferenzen, die Möglichkeit einer etwaigen Fortsetzung des Kriegs auch noch immer scharf ins Auge gefaßt. Wir denken, daß nach dem Gesagten die Situation, insofern sie durch die große Friedensfanfare der Jnde'pendance belge und durch andere leichtfertige Erfindungen verdunkelt worden ist, als ziemlich klar wird erscheinen müssen. Von den Gerüchten, die über den weitern Gang der Conferenzen hier viel fach erzählt werden, wollen »vir Umgang nehmen; den einen Umstand glau ben wir schließlich aber doch noch hcrvorheben zu sollen, daß man in en- gern Kreisen, die man für gut unterrichtet halten darf, nicht der Mei nung ist, baß Rußland von den Ansichten, die seine Bevollmächtigten in der zweiten Conferenzsitzung aufgestellt haben, mit alleiniger Ausnahme sei ner Wünsche in Betreff der ÄlandSinseln, abgegangen sein dürste. * Berlin, 6. März. In der heutigen Sitzung des Abgeordnetenhauses kam der Antrag des Abg. Wagener, aus dem Art. 12 der Verfas sung die Worte zuPreichen: „der Genuß der bürgerlichen und staatsbür gerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnisse", zur Berathung. Graf Schwerin beantragte den Uebergang zur einfachen Tagesordnung, die auch, nachdem Graf Schwerin für, Reichensperger (Gel dern) gegen die Tagesordnung gesprochen und der Minister drS Innern kurz