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Den Schwerpunkt in Fibichs Schaffen bilden seine Bühnenwerke (u. a. die Opern „Bionik", „Die Braut von Messina", „Der Sturm"). Hier erwies er sich als Nach folger Smetanas. Ansonsten schrieb er Melodramen, deren besonders eifriger Verfechter er war, Kantaten, Lieder, intime Kammer- und Klaviermusiken und Orchesterwerke (Programmouvertüren, Sinfonische Dichtungen). Fibich war ein entschiedener Anhänger der Programmusik, der an die Vorbilder Richard Wag ner und Smetana bewußt anknüpfte, doch zu eigengeprägten schöpferischen Leistungen gelangte. Ausdrucksmäßig bewegte er sich konsequent in der Sphäre der Romantik; seine Neigung zu poetischer Melodiebildung erinnert an Robert Schumann. Shakespeares Schauspiel „Der Sturm" (1661) beschäftigte den überaus gebil deten Komponisten zweimal: 1880 schrieb er danach (wie bereits vor ihm 1873 Tschaikowski) seine Sinfonische Dichtung „Der Sturm" o p. 4 6 und 1894 die gleichnamige Oper. Dem Orchesterwerk liegt nur die Haupthand lung des Shakespeare-Stückes zugrunde: Prospero, ehemaliger Herrscher von Mailand, der auf eine wüste Insel verbannt wurde, ist ein weiser Magier ge worden, der sich die guten und bösen Kräfte unterwerfen und sie beherrschen kann. Auf der Insel erzieht er seine Tochter Miranda. Als das Mädchen heran gewachsen war, zaubert Prospero einen gewaltigen Meeressturm herbei, der ein Schiff zertrümmert, auf dem sich Prosperos Gegner befinden. Unter den Schiffbrüchigen ist Fernando, der Sohn des Königs von Neapel, der in leiden schaftlicher Liebe zu Miranda entbrennt. Prospero ist der wachsame Hüter ihrer Liebe. Als der Prinz seinen Mut unter Beweis stellt, erhält er Mirandas Hand. Die dreiteilige Sinfonische Dichtung widmet sich der Darstellung des zentralen Stückkonfliktes des Sturms und der Liebe. Das erste, markant in den Bässen erklingende Thema mit dem verminderten Septakkord charakterisiert Prospero und besitzt eine geheimnisvolle, drohende Stimmung. Der Komponist steigert es zu grandioser Apotheose und benutzt es — in Verbindung mit klangmalerischen Elementen — zur Schilderung des heulenden und tosenden Sturmes. Nach der Sturmepisode — eine Generalpause deutet die Zäsur an — beginnt der Mittelteil (Meno mosso), der vor allem von dem inbrünstigen, gesangvollen Klarinetten thema beherrscht wird, das das Liebespaar charakterisiert. Ein drittes, ener gisches Thema (Lento non troppo) bringt den Übergang zum Schlußteil, der gewissermaßen ein programmatisches Resümee des Werkes gibt: eine Apo theose der Liebe. Das melodisch bereicherte, ins Jubelnde gewendete Sturm thema beschließt das Stück: der Sturm hat die Liebe gezeugt und wurde von ihr gebändigt und in die stürmische Freude der Liebe verwandelt. Leos Janäcek, neben Bedrich Smetana upd Antonin Dvorak eine der profi liertesten und eigenständigsten Persönlichkeiten der tschechischen Musikge schichte, ist den deutschen Musikfreunden vor allem durch seine meisterlichen Opernschöpfungen — darunter „Jenufa", „Katja Kabanowa", „Die Ausflüge des Herrn Broucek", „Das schlaue Füchslein“, „Die Sache Makropulos" und „Aus einem Totenhaus" — vertraut geworden, aber auch durch verschiedene Instru mentalwerke wie die temperamentgeladene, trompetenüberglänzte Sinfonietta, das humorvolle Klavierconcertino, die Lachischen Tänze und hochbedeutsame Kammermusikwerke. Alle Kompositionen Janäceks künden von der überragen den schöpferischen Kraft und Originalität dieses mährischen Meisters. Die Quellen der Janäcekschen Musik liegen in der Volksmusik seines Heimatlandes. Er sammelte Volksliedermelodien und gab wertvolle Sammlungen heraus. In seinen neun Bjühnenwerken gelangte der Komponist zu einem ganz eigenen realistisch-sensiblen Sprachgesang, der mit dem selbständig-sinfonischen Or chestergeschehen zu einer zwingenden Einheit verschmilzt. Auch impressionistische und expressionistische Einflüsse begegnen im urwüchsigen, vitalen Oeuvre Janäceks, der erst im siebenten Jahrzehnt seines erfüllten Musikerlebens inter nationale Anerkennung fand. Während des ersten Weltkrieges komponierte Janäcek zwei bedeutungsvolle Werke: den zweiten Teil der Oper .Die Ausflüge des Herrn Broucek auf den Mond und in das 15. Jahrhundert' und die Rhapsodie für Orchester .Taras B u I b a '. Der .Broucek' ist eine scharfe Satire auf das beschränkte, egoistische, in Zeiten nationaler Not zum Verrat neigende Spießertum. Janäcek war sich aber klar, daß es nicht genügt, nur den negativen Typ anzuprangern; der Künstler muß auch einen positiven Typ bilden, der dem Volk als Beispiel dienen kann. So griff er nach Gogols bekannter Erzählung .Taras Bulba'. Er sagte selbst: .Weil es in der Welt kein Feuer, keine Qualen gibt, welche die Kraft des russischen Volkes brechen könnten — wegen der Worte, die in die beißenden Funken und Flammen des Scheiterhaufens fielen, auf dem der berühmte Kosaken-Hetmann Taras Bulba den Tod fand, habe ich diese Rhapsodie nach der Sage, die Gogol nieder geschrieben hat, komponiert.' Janäceks Verherrlichung russischen Heldentums hatte während des ersten Weltkrieges und der Oktoberrevolution einen politisch aufrüttelnden Sinn; sie wurde auch von vielen so begriffen und geschätzt. Die sinfonische Dichtung Jaras Bulba' besteht aus drei Teilen: 1. Andreis Tod: Andrei, der jüngere Sohn Taras Bulbas, verliebt sich in die schöne Tochter des polnischen Herzogs und desertiert aus dem Kosakenheer. Der em pörte Vater jagt Andrei nach, spricht über ihn das Todesurteil und vollzieht es mit seinem Schwert. Den ersten Abschnitt dieses Teiles beherrscht der süße Gesang der Oboe, ein verlockender Liebesgesang, dem Andrei erliegt. Sobald dieses Thema den Höhepunkt erreicht hat, fällt der unerbittlich strenge Taras ein. Dreimal, immer drohender, läßt die Musik sein Urteil hören. Nur einen Augenblick erklingt eine liebliche Kantilene; sie wird sofort wieder unbarmherzig unter brochen — das gerechte Urteil ist vollstreckt. Die abschließende Stretta zeichnet die wilde Flucht Taras Bulbas von dem Ort, wo Andrei starb. 2. Ostaps Tod: Ostap, der zweite Sohn Taras B.ulbas, wurde von den Feinden gefangengenommen. Sie führen ihn zur Hinrichtung. Aus einem kurzen, kargen Motiv, das viermal wiederholt wird, entwickelt sich die umfangreiche Einleitung. Sie malt mit ihrem schweren Marschrhythmus ein plastisches Bild vom letzten Weg des Verurteilten. In Ostaps Gedächtnis taucht die Erinnerung an das vergangene schöne Leben auf. Seine Reminiszenzen werden aber bald von der bedrückenden Furcht abgelöst, ob er mitten unter den Feinden die Kraft finden wird, die Foltern heldenhaft zu ertragen. Der Richtplatz ist gefüllt von einer Volksmenge, die sich an Ostaps Leiden ergötzt. Die Tanzszene wird von einem schmerzvollen Stöhnen unterbrochen. Es ist Ostap, der in höchster Not seinen Vater ruft. In die danach folgende Stille tönt aus der feindlichen Menge die Stimme Taras Bulbas; fünfmal wiederholt sich sein Ruf, der durch Paukenschläge angedeutet wird: ,lch höre!' 3. Prophezeiung und Tod Taras Bulbas: Zwei Söhne hat Taras im Kampf gegen die Polen verloren; nun wird auch er gefangengenommen und gefoltert. Aber er bleibt standhaft. Auch im schwersten Augenblick denkt er an seine Kampf genossen und warnt sie mit seiner mächtigen Stimme vor der Falle, die man ihnen gestellt hat. Als man ihn an den Pfahl bindet und das Feuer unter seinen Füßen auflodert, erklingt triumphierend seine berühmte Prophezeiung von der Un besiegbarkeit des russischen Volkes, von dessen herrlicher Zukunft. Immer ge waltiger, immer breiter läßt die Orgel ihren Choralgesang ertönen. Er leitet in eine hymnische Apotheose über. Mit überwältigender Großartigkeit klingt das Werk aus.