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DRESDNER PHILHARMONIE Mittwoch, den 3. April 1974, 20.00 Uhr Donnerstag, den 4. April 1974, 20.00 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 9. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Hartmut Haenchen Solist: Bernard Ringeissen, Frankreich, Klavier Rudolf Wagner-Regeny 1903-1969 Einleitung und Ode für sinfonisches Orchester (1967) Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791 Konzert für Klavier und Orchester F-Dur KV 459 Allegro Allegretto Allegro assai PAUSE Ludwig van Beethoven 1770-1827 Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 Es-Dur op. 73 Allegro Adagio un poco mosso Rondo (Allegro) iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii I | I |||| I ||||||||||||| I |||||||||||| I |||| I ||||||||||| I |||||| I || I | I |||| I | I || | ||| ||||||||||||||||||||||||||||||||||| | | | II ||| I || I |||| II |||||| I Eine glanzvolle internationale Karriere eröffnete sich dem französischen Pianisten BERNARD RINGEISSEN (geb. 1934), als er seine Ausbildung am Pariser Conservatoire 1951 mit dem 1. Preis beendete. Überaus erfolgreiche Konzerte als Solist international führender Orchester unter pro minenten Dirigenten sowie eindrucksvolle Soloabende verhalfen ihm zu schnellem künstlerischen Aufstieg. Darüber hinaus trugen Auszeichnungen bei internationalen Wettbewerben wesentlich dazu bei, seinen Ruf als einen der hervorragenden französischen Pianisten der jüngeren Generation zu festigen (zum Beispiel 1954 der Preis Aldo Ciccolini im Internationalen Wettbewerb in Neapel und der 1. Preis des Internationalen Wettbewerbs von Genf, der 4. Preis im Chopinwettbewerb 195 t in Warschau und im gleichen Jahr der Grand Prix im Internationalen Marguerite Long-Jacques Thibaud-Wettbewerb in Paris, 1962 der 1. Preis und der „Sonderpreis Villa-Lobos" des Internationalen Wettbewerbs von Rio de Janeiro), in- und ausländische Rundfunkstationen und Schallplottenfirmen verpflichteten den Künstler zu zahlreichen Auf nahmen. Konzertreisen führten ihn unter anderem nach Spanien, Schweden, Griechenland sowie nach Nord- und Südamerika. Bei der Dresdner Philharmonie gastierte er bereits 1970 und 1972. ZUR EINFÜHRUNG Am 28. August 1973 wäre Rudolf Wagner-Regeny, der vor allem als Opernkomponist („Der Günstling", „Die Bürger von Calais", „Johanna Balk" und „Das Bergwerk zu Falun") hohes Ansehen in der internationalen Musikweit erwarb, 70 Jahre alt geworden. Die 1967 im Auftrag des Berliner Sinfonie- Orchesters geschaffene und von diesem unter der Leitung Kurt Sonderlings uraufgeführte Einleitung und Ode für sinfonisches Orchester ist eines der letzten größeren Werke, das zu vollenden dem Komponisten noch vergönnt war. Am 18. September 1969 verstarb er im Alter von 66 Jahren in Berlin. Nachdem die Dresdner Philharmonie sämtliche vokalsinfonische Arbeiten des prominenten DDR-Komponisten, Nationalpreisträgers, Mitgliedes der Akademie der Künste der DDR, aus der letzten Schaffenszeit uraufgeführt hat („Schir Haschirim", „An die Sonne", „Gesänge des Abschieds"), stellt sie ihrem Publi kum mit der „Einleitung und Ode für sinfonisches Orchester" heute Wagner- Regenys gewichtigste Orchesterkomposition vor. Mit den Begriffen „Streben nach der Schönheit des Ganzen, nach der Symmetrie der Flächen, nach der Kraft des Melodischen und der Gläubigkeit an das Leben" umriß der Komponist das Anliegen seines Werkes. In der Tat: Sein Streben nach Schönheit und Symmetrie des Ganzen wie der Teile hat in diesem Kunstwerk Erfüllung gefunden, das bei aller Verhaltenheit und Nachdenklichkeit durchdrungen ist vom Glauben an die Kraft des Lebens. Die höchst konzentrierte, ja introvertierte Komposition ist auch als sinfonisches Selbstporträt bezeichnet worden — das Selbstporträt eines Künstlers, der seine hohe gesellschaftliche Aufgabe darin erblickte, von der Schönheit unseres Lebens zu künden. Daß er dies auf eine zutiefst persönliche Weise tat, verwundert nicht angesichts der eigengeprägten schöpferischen Persönlichkeit des Komponisten. Unveränderliche, mehrfach auftretende thematische Grundgestalten prägen im wesentlichen den Bau des Werkes. Sie fügen sich zu einem Ganzen durch eng verzahnte Bindeglieder, motivische Floskeln und Kontrapunkte, die logische Bezüge schaffen, mehr oder weniger selbständige Bedeutung gewinnen und überleitende Funktionen besitzen. Diese kontrapunktischen „Zutaten" zum musi kalischen Grundmaterial erweisen sich im Unterschied zu jenem als in hohem Maße verwandlungsfähig. Sie tragen eine kunstvolle strukturelle Metamorphose: eine gleichsam von Kommentaren durchbrochene Form. „Kommentare sind nicht Variationen", sagte Wagner-Regeny. „Sie unterscheiden sich von diesen darin, daß nicht melodische Veränderungen, sondern Zutaten auftreten, die die originale Gestalt durch neue Sichten umkreisen." Die Einleitung beginnt mit einem weitgespannten, ruhigen Thema, das sich über 20 Takte erstreckt und von den Kontrabässen pianissimo gesungen wird; bereits im zweiten Takt setzen die Bratschen mit einem Kontrapunkt ein. Es entfaltet sich ein kunstvoll geformtes, ausdrucksstarkes Linienspiel im Streicher satz, zu dem nur ganz wenige belebende Oboenkantilenen sowie gelegentliche behutsame Tam-tam-Grundierungen hinzutreten. Jede Linie erscheint melodisch bedeutungsvoll ausgeformt; vielfältig sind die handwerklichen Künste, die Stimmenvertauschungen und strukturellen Metamorphosen des dabei wie aus einem Guß wirkenden Stückes. Zweistimmig, wie die Einleitung beginnt, schließt sie auch. Nach der zarten, sparsam kolorierten Einleitung hebt die Ode an, wieder in gemessenem, langsamem Tempo. Entsprechend der altgriechischen Bedeutung als (Strophen-) Lied, als Ausdruck ernster Gedanken und Gefühle, beginnt sie, wie die Einleitung monothematisch angelegt, mit einem breitströmenden, lyrischen Unisono-Gesang der Violinen von 21 Takten. Wie in der Einleitung erscheint das Hauptthema in der Ode dreimal in unveränderter Gestalt, jedoch in wech selnder Instrumentation und in jeweils anderer Umspielung: am Anfang, in der