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verbunden: die Neigung zu Monothematismus und zugleich zu einem freien, kontrastreichen Fluß der musikalischen Erfindung, der eine Steigerung der Spannung, ihren Höhepunkt und ihre Beschwichtigung bewirkt. Die beiden Sätze der Komposition sind durchwoben von Variationen der einleitenden Ihe- men und diese wiederum gehen auf die Keimzelle der gesamten Komposition, ein unscheinbares Sekundintervall, zurück. Martinü arbeitet mit dem gewohnten klassischen Orchester, das er um eine Harfe und um eine breite Skala von Schlaginstrumenten bereichert, doch erzielt er eine bemerkenswerte Farbigkeit des Klanges. Harmonisch bewegt sich das Werk, das auch durch eine eigen willige Polyphonie gekennzeichnet ist, in den Grenzen einer erweiterten Tonalität. Die böhmische, mährische und slowakische Landschaft war für Vitezslav Noväk, von dem wir in unserem Zyklus bereits die „Slowakische Suite" hörten, immer wieder eine Quelle der Inspiration. Vor allem die Slowakei mit ihrem mächtigen Gebirge — der Tatra — vermittelte dem Künstler eine Füile musikalischer Anregungen. Der Komponist bestieg die Tatragipfel zum ersten Male als Alpinist im Sommer 1900. Die Natureindrücke wirkten tief auf seine schöpferische Phantasie; schon damals hatte er die Absicht, eine sinfonische Dichtung zu schreiben, die der Majestät der slowakischen Bergwelt klingenden Ausdruck geben sollte. Das Werk reifte langsam. Seine ersten Spuren finden sich in der Sonata eroica für Klavier (1900); in ihrem letzten Satz taucht ein musikalischer Gedanke auf, der die Grundlage für das spätere Hauptthema der sinfonischen Dichtung „In der Tatra“ o p. 2 6 wurde. Noväk wollte ursprünglich ein zweiteiliges Werk komponieren (1. Das Gebirge, 2. Die Men schen im Gebirge), aber zu Beginn des Jahres 1902 entschied er sich, auf den zweiten Teil zu verzichten. Gleichzeitig skizzierte er in flüchtigen Umrissen das neue Programm seines Werkes: „Bedrückte Stimmung vor dem drohenden Sturm. Grauweißer Nebel wälzt sich über die zerrissenen, steilen Berghänge. Die Sonne vermag noch einmal die Wolken zu durchdringen und für einen kurzen Augen blick dieses erhaben-traurige Steingelände zu beleuchten. Aber schon sammeln sich neue Wolken, sie werden immer dichter, drohender, begleitet von flammen den Blitzen. Ein Gewitter bricht los. Sein Toben zerschellt an dem unnachgiebigen Granit der Tatra . . . Nach hartem Kampf wird es wieder still. Im Untergehen vergoldet die Sonne die Gipfel der Bergriesen, und irgendwo aus der Ferne ertönen die Abendglocken. Die Nacht senkt ihren perlenbedeckten Schleier über die Tatra.“ Die musikalische Struktur des Werkes ist meisterhaft. Die ganze Komposition beruht auf einem einzigen Doppelthema. Sein erster Teil schildert die sich immer höher auftürmenden Bergmassive. Sein zweiter Teil ist ein inniges Bekenntnis der Liebe zur bewunderten slowakischen Bergwelt. Aus diesem Doppelthema entwickelt der Tondichter den dramatischen, ideen- und gefühlsreichen Bau seines Werkes, dessen Inhalt weit über eine bloße Beschreibung des Naturge schehens hinausgeht. Noväk gab seiner sinfonischen Dichtung eine höhere Idee: die stolzen, jedem Gewitter trotzenden Gipfel der Tatra sind ein Symbol der Widerstandskraft des (damals noch) unterjochten slowakischen Volkes. Dadurch gewann das Werk auch einen tiefen ethischen Wert und eine außerordentliche Bedeutung für die gesamte tschechoslowakische Musik. Mit der Suite aus der Oper „Das schlaue Füchslein" würdigten wir in unserem Zyklus Leos Janäcek als Opernkomponisten. Heute sei die infolge ihres großen Aufwandes nur selten aufführbare großartige Sinfonietta des Meisters vorgestellt, der 1854 in dem Dörfchen Hukvaldy in der Lachei (Nordmähren) ge boren wurde. Als Knabe schon kam er nach Brno, der Hauptstadt Mährens. Hier war er — nach seinen Studien in Prag, Leipzig und Wien — bis zum Ende ■■eines Lebens tätig. In Brno leistete er eine umfangreiche künstlerische Arbeit als Komponist, Chorleiter, Dirigent und ausübender Künstler. Er betrieb For schungen auf dem Gebiet der Volkskunde, wirkte als Pädagoge, Kritiker, Musik theoretiker, Redakteur und Organisator. Sein Streben brachte Erfolge, aber trotz dem blieb Janäceks eigenes Schaffen bis 1916 praktisch unbekannt. Nach vielen vergeblichen Versuchen, auch in Prag Anerkennung zu finden, nach vielen bitte ren Jahren aufreibender Arbeit, brachte endlich seine Oper „Jenufa" den Durch bruch. Das Werk fand bei seiner Uraufführung im Prager Nationaltheater am 26. Mai 1916 starken Widerhall und räumte alle Mißverständnisse und Vor urteile aus dem Weg. Dieser Erfolg beflügelte Janäcek zu neuer Schaffenskraft. Nach dem ersten Weltkrieg schrieb er eine Reihe seiner bedeutendsten Werke, die in seiner Heimat wie auch im Ausland höchste Anerkennung fanden. Im Jahre 1928 starb der Meister in Ostrava. Janäceks Schaffen ist ein treues Spiegelbild seiner vitalen, explosiven und leidenschaftlichen Persönlichkeit. Sein unbeugsamer Charakter, ebenso ungestüm wie der innigsten Gefühle fähig, prägt auch seine eigentümliche Musiksprache. Er war kein Künstler jenes Typs, der sich demütig, selbstgenügsam in eine stille Ecke des Arbeitszimmers zurückzieht. Er brauchte und liebte das laute, pul sierende Leben, die Weite seiner heimatlichen Lachei, aber auch die Großstadt atmosphäre. überall wußte er Dinge und Erscheinungen aufzuspüren, die uns gewöhnlich entgehen. Er besaß das scharfe Auge des Wissenschaftlers, der die verborgensten Lebenserscheinungen durch das Mikroskop beobachtet, und auch den farbigen, intensiven Blick des Künstlers und Dichters. Sein reges Interesse zog ihn immer dort hin, wo er Bewegung, Veränderung spürte. Seine empfindli chen Sinne reagierten auf jede noch so kleine Anregung, die das Leben gibt, und setzten diese Anregung sofort in Musik um. Janäcek ließ sich durch alles, was mächtig in sein Leben eindrang, begeistern und schöpferisch inspirieren; er fühlte sich durch den gesetzmäßigen Rhythmus des Naturgeschehens hinge rissen, ihn erfüllte ein starkes soziales Gefühl, das ihn' zum elenden und leiden den Menschen zog, er verstand es aber auch, sich den Marschrhythmus der Volksmassen zu eigen zu machen. Janäceks ganz persönlicher, in der tschechi schen Wesensart verwurzelter Schaffensstil wuchs, nachdem der Komponist lang jährige Untersuchungen über das mährische Volkslied und den musikalischen Ausdruck der Volkssprache angestellt hatte. Janäcek vollendete die Komposition seiner Sinfonietta im April 1926. In dieser Zeit schuf der über siebzigjährige Meister mit bewundernswürdiger Sicher heit ein bedeutungsvolles, kühnes Werk nach dem anderen — Zeichen seines unerschöpflichen Gedanken- und Gefühlsreichtums. Die erste Anregung zur Sinfonietta erhielt der Komponist durch den Auftrag, festliche Fanfaren zum achten Fest des tschechischen Sportvereins „Sokol" zu komponieren. Der Ge danke, ein Werk zu schreiben, welches das Zusammengehörigkeitsgefühl der Volksmassen zum Ausdruck bringt, begeisterte ihn so sehr, daß er diesen Fanfaren noch vier sinfonische Sätze hinzufügte. Der erste Satz mit seinen jubelnden Fanfaren ist eine feierliche Intrada (Ein leitung), für eine große Gruppe von Blechbläsern und Pauken komponiert. Das bewegte, festliche Motiv der Trompeten mündet in ein Maestoso. — Der zweite Satz (Andante) ist nur für Streicher, Holzbläser und vier Posaunen geschrieben. In schneller Folge lösen einzelne Motive sich ab, durchdringen sich. Ein Tanz motiv, das an die Melodik mährischer Volkstänze anknüpft, umrahmt den ganzen Satz. — Der dritte Satz (Moderato) beruht auf einem herrlichen lyrischen Thema, das nach und nach in immer erregtere Sphären dringt und dann von einem wilden, unbändigen Wirbel ergriffen wird. Schließlich klingt dieser ergrei fende Satz in der lyrischen Grundstimmung des Anfangs aus. — Der vierte Satz (Allegretto) ist auf einem prägnanten tänzerischen Motiv aufgebaut. Dieser