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dresdner PHILHARMONIE Mittwoch, den 5. Dezember 1973, 20,00 Uhr Donnerstag, den 6. Dezember 1973, 20.00 Uhr Festsaal des Kulturpaiastes Dresden ^PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: Heinz Bongartz, Dresden Solistin: Yaeko Yamane, Japan, Klavier Boris Blacher geb. 1903 Konzertante Musik für Orchester op. 10 Moderato - Molto Allegro - Moderato - Molto Allegro Ludwig van Beethoven 1770-1827 Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 B-Dur op. 19 Allegro con brio Adagio Rondo PAUSE Max Reger 1873-1916 Variationen und Fuge über ein Thema von Johann Adam Hiller op. 100 Thema (Andante grazioso) 1. Variation (Piü Andante) 2. Variation (Allegretto con grazia) 3. Variation (Vivace) 4. Variation (Poco vivace) 5. Variation (Andante sostenuto) 6. Variation (Tempo di Minuetto) 7. Variation (Presto) 8. Variation (Andante con moto) 9. Variation (Allegro con spirito) 10. Variation (Allegro appassionato) 11. Variation (Andante con moto) Fuge (Allegro moderato) YAEKO YAMANE wurde in Tokio geboren als Tochter des namhaften japanischen Musikwissenschaftlers Prof. Dr. G. Yamane. Ihre musikalische Ausbildung erhielt sie zunächst in ihrer Heimatstadt, sodann am Pariser Konservatorium (bei Prof. L. Levy), ferner in Zill ich (bei Prof. M. Egger), Westberlin (bei Prof. H. Roloff) und in Moskau (bei Prof. J. Flijer). Im Jahre 1958 gewann sie beim Internationalen Wettbewerb in Barcelona den ersten Preis und begann ab 1960 ihre Konzerttätigkeit. Bisher konzertierte sie höchst erfolgreich in Japan, in der DDR, in Westdeutschland, in der Schweiz, in Italien, Frankreich, in der Sowjetunion, CSSR, in Jugoslawien, Polen und Rumänien. Bei der Dresdner Philharmonie gastierte sie bereits 1967, 1969 und 1971, ZUR EINFÜHRUNG Der 1903 in Newchwang (China) geborene Boris Blacher, der im Januar d. J. seinen 70. Geburtstag feiern konnte, studierte in Berlin zuerst Architektur, dann Komposition (1922-1926 bei F. E. Koch) und Musikwissenschaft. 1938'39 lehrte er am Dresdner Konservatorium. 1948 wurde er Professor für Kompo sition an der Westberliner Musikhochschule, zu deren Direktor er 1953 als Nach folger Werner Egks ernannt wurde. 1960 übernahm er noch zusätzlich einen Lehrstuhl für elektronische Komposition an der Technischen Universität West berlin. Seit 1968 ist er Präsident der Westberliner Akademie der Künste. Als Direktor der Westberliner Musikhochschule wurde er 1970 emeritiert. Während des Naziregimes mit seinem schöpferischen Werk im Hintergrund stehend, trat er seit 1945 immer mehr hervor und hat heute ein überaus umfang reiches, vielseitiges Oeuvre vorgelegt. Blacher, der vor allem mit Bühnen- und Orchesterwerken Erfolge errang, ist der Typ eines intellektuellen, geistvollen Tonsetzers, der mit seinem unsentimentalen, kühlen, geistreich beweglichen, virtuosen Musizierstil dem schöpferischen Experiment (auch im Bereiche elektro nischer Musik) sehr zugetan ist. Die von ihm entwickelte Kompositionsmethode mit „variablen Metren" ist typisch für seine auf mathematische Klarheit bedachte Haltung und hat verschiedentlich Weiterbildung (so durch seinen Freund Rudolf Wagner-Regeny) erfahren. 1966 lieferte er wie Paul Dessau, Karl Amadeus Hartmann, Hans Werner Henze und Rudolf Wagner-Regeny einen Beitrag zu der Gemeinschaftskomposition „Jüdische Chronik". Die im Spätschaffen des Komponisten gelegentlich zu beobachtende Sprödigkeit, ja Trockenheit seiner Tonsprache, besonders im Einklang mit abstrakten künstle rischen Zielsetzungen auftretend, begegnet in der bereits 1937 geschaffenen, am 6. Dezember 1937 von den Berliner Philharmonikern unter Carl Schuricht uraufgeführten Konzertanten Musik für Orchester op. 10 in keinem Takt, vereinigt doch dieses knapp formulierte Stück die Vorzüge Blacher scher Handschrift. Es ist geistvoll, prägnant, witzig, besticht durch originelle rhythmische und auch melodische Erfindungskraft; es hat eine kunstvolle, dabei leicht überschaubare zweiteilige Form (der zweite Teil ist quasi die Umkehrung des ersten). Der „konzertierende" Charakter ist im betont solistischen, aber auch im gruppenmäßigen Musizieren der einzelnen Instrumente unverkennbar. Mit einem witzig rhythmisierten, ostinaten Fagottmotiv beginnt das Stück (zu Beginn des zweiten feiles stimmen dieses Motiv die Bratschen in der Umkehrung an). Dank der unmittelbaren Wirkung, die von dem Werk ausgeht, gehört es zu den erfolgreichsten und meistgespielten Kompositionen Blachers. Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 19, zarter und sparsamer instrumentiert als das erste und nach eigener Aussage des Komponisten noch vor diesem komponiert, erklang zum ersten Male wahr scheinlich in einer der Wiener Akademien des Meisters im Jahre 1795. Drei Jahre später überarbeitete er das Werk — wie auch das erste Konzert — und spielte beide Schöpfungen 1798 in Prag. Der offensichtlich zunächst mehr improvisierte Solopart des B-Dur-Konzertes wurde erst für die Drucklegung 1801 endgültig fixiert. Der Charakter des Werkes ist lyrischer, gedämpfter als der des ersten Konzertes. Doch tritt im Gesamtverlauf neben die Sensibilität auch die Vitalität des Ausdrucks. Chromatische Wendungen in den ersten beiden Sätzen erinnern an Mozart. Das B-Dur-Hauptthema, mit dem die ausgedehnte Orchestereinleitung des ersten Satzes (Allegro con brio) beginnt, wird aus einer energisch-markanten und einer - gegensätzlichen - gesangvoll-melodischen Motivgruppe gebildet. Der lyrischen Entwicklung des Satzes, die dabei auf kraftvolle, virtuos-figurative Partien nicht verzichtet, dient auch das cantable zweite Thema in Des-Dur.