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2S4S einberufen worden waren, um da« solenne Ereigniß mit ihrer Gegenwart zu feiern, entsprachen der Auffoderung in sehr geringer Anzahl und viel leicht auch nicht sehr gern; kein Freudenruf, kein Wort der Sympathie verkündete die Ankunft des Fürsten; es wurde nicht ein Lebehoch als Gruß bei seinem Eintreffen gehört; unter den wenigen Zuschauern konnte man nicht jenes Entzücken, jene Begeisterung, jenen Eifer bemerken, die sonst ein Prärogativ, wenn nicht eine Tugend, der Menge zu sein scheinen." Dasselbe Blatt bemerkt weiter, daß die Ursache dieses kalten Empfangs die allgemeine Unzufriedenheit gegen daS Ministerium Cavour sei, das dem Lande so viele Lasten auferlegt habe. Neapel und Sicilien. Messina, 12. Nov. Ein furchtbarer Orkan, der sechs bis sieben Stunden anhielt, verheerte Messina und die Umgegend 30 Meilen weit. Häuser, Vieh und Menschen wurden ins Meer getrieben. Die Stadt ist schrecklich mitgenommen, der Schaden beträgt mehre Millionen. Frankreich. Pariö, 27. Nov. Heute fand auf dem Marsfelde die große Re- vue zu Ehren des Königs von Sardinien statt. 35—40,000 Mann wa ren dort versammelt. Der Marschall Magnan führte den Oberbefehl über die dort versammelten Truppen. Der General Renault befehligte die In fanterie, der General de Korte die Cavalerie und der General Regnault de St.-Jean d'Angely die in Paris anwesenden Gardetruppen, worunter sich die kürzlich aus der Krim zurückgekehrte Gardegendarmerie befand. Schlag 1 Uhr trafen der Kaiser und der König Victor Emanuel auf dem Marsfelde ei». Der Kaiser hatte auf seiner Rechten den König, auf sei ner Linken den Prinzen Napoleon. Der Kaiser trug Generalsuniform, mit dem Großkreuz der Ehrenlegion und dem eines sardinischen Ordens geschmückt. Der König war in der Uniform eines piemontesischen Gene rals. Er trug das Großkreuz der Ehrenlegion. Dem Kaiser folgte ein überaus glänzender Generalstab von ungefähr 100 Generalen und Ober offizieren, worunter man piemontesische, preußische, österreichische, engli sche und andere Uniformen bemerkte. Die Kaiserin wohnte der Revue in einem offenen Wagen bei. Der sardinische Minister, Graf Cavour, be- fand sich mit mehren andern Herren aus der Rcisebegleitung des Königs ebenfalls in einem offenen Hofwagen. Die Revue dauerte bis gegen 4 Uhr. Man bewunderte allgemein die Haltung der Truppen. Eine große Menge hatte sich eingefnnden. Der Empfang, welcher II. MM. wurde, war ausgezeichnet. Die Kaiserin soll, so wird mir erzählt, bei ihrer Rück kehr nach den Tuilerien sogar der Gegenstand einer wahren Ovation gewe sen sein. Man hatte die Revue um eine Stunde vorgerückt, wie die An kunft des Königs im Moniteur ebenfalls um eine Stunde später angekün digt war, als sie wirklich geschah. Diese Maßregeln wurden dem Wunsche der Regierung zugeschrieben, jede lärmende Manifestation zu vermeiden. Ge stern waren die Boulevards bis zur Oper auf das herrlichste beleuchtet, und wenn der Lampion in Paris ein Maßstab der Popularität bleibt, dann ist Victor Emanuel stark in Gnaden beim hiesigen Publicum. Die Daily News, der Expreß, der Sun, der Morning Advcrtiser, der Globe, der Standard und die Zeitung von Verona wurden heute von der Polizei mit' Beschlag belegt. HI Paris, 27. Nov. Von verschiedenen französischen Agenten, welche an deutschen Höfen beglaubigt sind, liefen Nachrichten ein, dahin lautend, daß die Rede des Kaisers der Franzosen bei Gelegenheit der Preisver- theilung vielfach wie eine Drohung, wie eine Herausfoderung angesehen worden sei. Man soll Hähern Orts sehr befremdet darüber sein, daß die Worte, an denen man vor allen andern Eigenschaften die Klarheit gerühmt wissen will, zu so verschiedenen einander widersprechenden Auslegungen An laß gegeben; und doch hat man den scharfen Sinn wie an mancherlei Or ten anderswo auch hier theilweise im Publicum hineingelegt. In den Be richten der französischen Geschäftsträger wird besonders die Phrase hervor gehoben, „daß die öffentliche Meinung am Ende den Sieg davonträgt", welche Anstoß gegeben habe. Man soll diesen Ausdruck zu demokratisch und zu wenig dem Geiste entsprechend gefunden haben, von dem die Tha- ten und Reden des Kaisers sonst durchdrungen sind. Die betreffenden Be vollmächtigten Frankreichs haben infolge dieser Mittheilungen die gemessen sten Aufträge erhalten, die Regierungen, bei welchen sie beglaubigt sind, auf den eigentlichen richtigen Sinn der kaiserlichen Rede aufmerksam zu machen und das Ihrige beizutragen, um jede Misdeutung zu entfernen. Und in der That, wer die hiesigen Verhältnisse mit Unbefangenheit ins Auge faßt, wer zu hören und zu sehen Gelegenheit und den Willen hat, muß es zugebcn, daß entweder die Rede des Kaisers uicht im entfernte sten der Ausdruck seiner Gedanken und seiner Politik gewesen, oder eine Hetauöfoderung oder gar Drohung nur infolge eines Mißverständnisses in seine Worte hineingelegt werden könnte. Wenn gewisse Organe und Stimmen beim Ausbruch des jetzigen Kriegs fortwährend auf die Vergan genheit hingewiesen, um die Gegenwart zu erklären, wenn sie die großen Kriege des ersten Kaiserreichs angeführt, um vor Frankreich zu warnen, wenn sie in Napoleon l. einen Spiegel Napoleon III. vorzuzeigen sich an gelegen sein ließen, so beweist die Stimmung am hiesigen Hofe, der Gang der diplomatischen Ereignisse und die ganze Politik der Westens, daß sie sich vollständig geirrt oder dem Publicum einen gröblichen Jrrthum zum besten gegeben haben. Alles ist nur anders geworden seit den ersten drei Lustre« des laufenden Jahrhunderts, und kein größerer Gegensatz läßt sich aufweisen als der jetzige Napoleon zu dem, der die Welt seinem Willen unterwerfm gtwoüt. Dis eins Phrase in der letzten kaiserlichen Rede, die öffentliche Meinung behalte am Ende Recht, zeigt zur Genüge den gewal- tigen Unterschied zwischen den beiden Kronenträgern desselben Namens. Und diese Ehrfurcht vor der öffentlichen Meinung ist nicht blos eine Redensart in dem Munde des Kaisers, es wird ihr in der That, soviel dies bei einer so arg beschränkten Presse wie in Frankreich möglich ist, Rechnung getragen. Bei jeder Gelegenheit, wo sie sich erregt zeigt, sucht man von oben herab mildernd auf sic einzuwirken, jederzeit, wenn sie es zu fodern scheint, wird ihr Rechenschaft von Vorgängen gegeben; Zustände, durch die sie aufgeschreckt sein könnte, sucht man wcgzuräumen, und man kann nicht eilig genug von der eingeleiteten Verbesserung Meldung thun; kurz eS wird die öffentliche Meinung immer und immer künstlich bearbei- tet, und in der Aengstlichkeit, mit welcher dies geschieht, liegt eine Hul- digung der mystisch unsichtbaren Gewalt, die man leugnen kann, die aber am Ende Jeder zu fürchten gezwungen ist. Niemand ist eifriger bemüht als Ludwig Napoleon, dem jetzigen Kriege seinen Charakter zu erhalten und keine neuen Elemente in die Verwirrung Hineingreifen zu lassen; er soll, wie mir versichert wird, jedem Vorschläge Englands, der auf ein schrofferes Gebühren, auf ein trotzigeres Auftreten hinausgeht, eine Festig keit des Willens entgegensetzen, an der alle derartigen Versuche des briti schen Cabinets scheitern. „Außer dem Kriege mit Rußland Frieden", soll er sich zum Herzog von Cambridge geäußert haben; „das sei unser Lo sungswort; denn es bedeutet Sieg." Und darum ist cs immer die fran zösische Negierung, welche auf Ausgleichung untergeordneter Zerwürfnisse hinarbeitet. Zu Neapel und zu Florenz zeigte sich die französische Regie- rung nachgiebig, versöhnlich und besonnen; selbst daß Griechenland und seinem Hofe gegenüber so viel Nachsicht gezeigt wird, ist das Werk des Kaisers. So wird mir versichert, daß man von hier aus auf das engli sche Cabinet dahin einwirkt, daß der Sache des Obersten Türr keine so große Wichtigkeit beigelegt wird, daß sie im Stande wäre, das gute Einverneh men mit einer befreundeten Macht zu stören. Hr. de Bourquency ebenso wie Graf Walewski sollen die gleichlautenden Weisungen erhalten haben, nach Kräften vermittelnd und ausgleichend einzuwirken. Die von den öfter- reichischen Offizieren Mikulitsch und Krafka an dem unter französischem Schutze stehenden vr. Schramm verübten Ehrenbeleidigungen und Gewalt- thätigkeitcn werden umsomehr ohne tiefer eingreifende Folgen bleiben, als man sich österrcichischerseits zu aller Gcnugthuung herbeizulassen geneigt zeigt. In hiesigen militärischen Kreisen wird über diesen Doppelvorfall sehr streng geurtheilt, und ich hörte von einem hochgestellten Offizier, daß sich kaum ein betrunkener französischer gemeiner Soldat solche Roheiten gegen eine Frau und gegen einen Unbewaffneten zuschulden kommen ließe wie die beiden in Rede stehenden österreichischen Offiziere. Der Schreiber di.scr Zeilen glaubte für deutsche Bildung in die Schranken treten zu können und zu müssen und wies aus die slawischen Namen der streng Bcur- theilten hin. Großbritannien. -s-London, 26. Nov. Die Gcfangennehmung des Obersten Türr in Bukarest ist in England seit etwa 14 Tagen bekannt und wurde bisher nur vom Morning Advertiser, Daily News und Blättern ähnlicher Farbe besprochen. Nun widmet auch die Morning Post dem Gegenstand ihre Aufmerksamkeit, und zwar erblickt sic in dem Vorfall nur einen neuen und stärkern Beweis der feindseligen antienglischen Stimmung, die unter den Militär- und Civilbehörden Oesterreichs herrsche, und die sich seit mehren Jahren bald in dieser, bald in jener Weise Luft mache. Für die „brutale Mishandlung" Hrn. Mather'S in den Straßen von Florenz habe sich Oester- reich nach langem Besinnen zu einer kühlen Entschuldigung bequemt und dafür wieder durch kleinliche Plackereien gegen britische Reisende entschädigt. Seine Neutralität habe es compromittirt, indem es, Preußen nachahmend, die Ausfuhr großer Quantitäten Schwefel für die russische Armee gestat tete. („Neutralität" ist in diesem Falle vielleicht weniger das rechte Wort als Allianz; denn mit der Neutralität Oesterreichs würden sich auch die englischen Pferdeeinkäufe in Ungarn nicht vertragen.) Die Verhaftung Türr's aber, „der den Rang eines Obersten in der britischen Armee besitzt, Ihrer Maj. Uniform auf dem Leibe trug und in faktischer Erfüllung seiner Pflichten als britischer Offizier begriffen war", bezeichnet die Morning Post als einen Act, der ein „unmittelbares und kraftvolles Einschreiten von Sci- tcn der britischen Negierung erfodert". Das englische Publicum Habenichts mit der Frage zu schaffen, ob Türr nach dem österreichischen Kriegsrecht den Namen oder die Behandlung eines Ausreißers verdiene: „Wenn er irgendein Verbrechen begangen hat, so ist cs aller Wahrscheinlichkeit nach politischer Natur gewesen — ein Vergehen, welches Oesterreich weder ver- gibt noch vergißt. Wenn Oberst Türr sich, auf seine Stellung als briti scher Offizier pochend, auf österreichisches Gebiet begeben hätte, so würden wol die kaiserlichen Behörden weder seinen Rang noch seine Uniform son derlich respectirt haben. Aber Oberst Türr's Verhaftung erfolgte auf dem Gebiete des Sultans, an einem Orte, wo er ebenso viel Recht auf Schutz hatte, als hätte er sich bei den alliirten Armeen in der Krim befunden. Der österreichischen Regierung steht keine Ausübung von Hoheitsrechten in den Fürstenthümern zu, welche einen untrennbaren Bestandtheil des tür kischen Reichs bilden. Wir können daher diesen letzten Act der österreichi schen Behörden nur als eine Verletzung des Staatsrechts bezeichnen." Wie die -Preß» wissen will, hat der Zar annehmbare FriedenSvor- schlüge gemacht. Außer den vier Garantiepunkten will er die „tscherkessi sche Nationalität" anerkennen und die „Befestigung des Bosporus und der asiatischen Grenze", „vielleicht auf russische Kosten" gestatten. Diese Er- öffnungrn wurden dirttt an den Kaiser Napoleon gerichtet, welcher sie dem