Volltext Seite (XML)
Dichtungen und vor allem sieben Sinfonien, die den Komponisten als größten finnischen Sinfoniker ausweisen. So sehr auch der Meister von der Mythologie und Natur seines Landes zum Schaffen angeregt wurde, Motive aus der Volks musik verwendete er nirgends. Gleichwohl ist seine eigenständige, zwischen Spät romantik und neuen musikalischen Bestrebungen des 20. Jahrhunderts stehende Musik von ausgesprochen nationaler Haltung, in der Stimmung wie im Tonfall. „Die .Weise' seines Landes fließt ihm aus dem Herzen in die Feder", sagte Busoni einmal, der zu den ersten ausländischen Vorkämpfern des großen Finnen gehörte. Zwischen der zweiten und dritten Sinfonie steht chronologisch das Violin konzert d-Moll op. 4 7, mit dem Sibelius ein Standardwerk heutiger internationaler Geigenvirtuosen gelang, das zugleich eine seiner populärsten Schöpfungen wurde. Das auch bei uns sehr bekannte, technisch anspruchsvolle, solistisch ungemein dankbare Konzert entstand in erster Fassung 1903 (Urauf führung in Helsinki), wurde aber 1905 umgearbeitet und in dieser endgültigen Gestalt in Berlin mit dem tschechischen Geiger Karel Halir unter Leitung von Richard Strauss zur ersten Aufführung gebracht. Bei klassischer, wenn auch rhapsodischer Formgebung knüpfte Sibelius hier an seine Tonsprache der 90er Jahre an. Der Solist hat stets eine dominierende Stellung im musikalischen Geschehen. Eine blühende Lyrik beherrscht bei aller Virtuosität den ersten Satz, freud- und leidvolle Stimmungen werden ausgedrückt. Drei Themen schaffen eine deutliche Gliederung. Die Solovioline beginnt im vierten Takt mit dem schwelgerischen und weitgeschwungenen Hauptthema, dolce und espressivo. Auch das zweite Thema, eine breite, eindringliche Melodie, stimmt der Solist an. In einem marsch artigen Orchesterzwischenspiel wird sodann das dritte Thema eingeführt. Besinnlich, liedhaft beginnen Klarinetten und Oboen das Adagio, dessen schwer mütig-ergreifende Schönheit von unmittelbarer Wirkung ist. Der Solist versinkt in tiefempfundene, eigenartige musikalische Meditationen. Auftretende Span nungen lösen sich in einer verhaltenen Coda. über das Finale hat Sibelius gesagt: „Der Satz muß ganz souverän gespielt wer den. Rasch natürlich, aber doch nicht so rasch, als daß man ihn nicht ganz ,von oben' nehmen könnte." Glanzvoll, tänzerisch, spielfreudig, ein wenig bizarr, dabei auch heiter gibt sich der Schlußsatz mit seinen vielen Passagen der Solovioline. Alexander Borodin, bekannt vor allem als Komponist der Oper „Fürst Igor", hat auch bedeutende Orchesterwerke geschrieben, die sehr populär ge wordene „Steppenskizze aus Mittelasien“ und zwei Sinfonien. Die 2. S i n f o n i e h-Moll wurde erst nach dem Tod des Komponisten bekannt. Er hatte an ihr in den Jahren 1869 bis 1876 gearbeitet: 1877 wurde sie in Petersburg uraufge führt. Unter dem Namen „Heldische Sinfonie" hat sie sich schnell die Konzert säle der ganzen Welt erobert. Ist dieser Titel berechtigt? Könnten wir ihn nicht aus der Thematik der einzelnen Sätze ablesen, könnten wir uns auf das Urteil Mussorgskis berufen, der die Sinfonie die „slawisch-heroische" genannt hat, und auf die Bemerkungen eines so hervorragenden Kenners, wie es der russische Musikkritiker Stassow war, der geschrieben hat: „Von seinen beiden herrlichen, ungewöhnlich kraftvollen, männlichen, leidenschaftlichen und hinreißenden Sinfonien ist die zweite, die in h-Moll, die größere. Ihre Bedeutung verdankt sie nicht nur dem starken Talent Borodins, sondern ohne Zweifel auch der Tat sache, daß sie einen nationalen und programmatischen Charakter hat ... Ich möchte hier hinzufügen, daß Borodin mir des öfteren erzählte, er habe im An dante die Figur des ,Bajan' (alter russischer Sänger, Rhapsode), im ersten Satz eine Versammlung russischer Recken, im Finale die Szene eines Reckengast mahls beim Klang der Gusli und beim Jauchzen einer großen Volksmenge dar stellen wollen." Der heldische Charakter des Werkes zeigt sich gleich im ersten Thema des ersten Satzes, das bestimmend wird für die ganze Sinfonie. Es wird von der ganzen Streichergruppe unisono gebracht. In der späteren Reprise wird das „Helden thema" im „heldischen" Ausdruck noch gesteigert. Die Fortsetzung des Themas läßt die Verbundenheit mit der Volksmusik erkennen. Desgleichen das von den Violoncelli intonierte Seitenthema. — Das Scherzo ist nach dem klassischen Schema dreiteilig. Das Trio (das nicht als solches gekennzeichnet ist) erinnert mit seinem orientalischen Einschlag an die spätere „Steppenskizze", aber auch an die bekannten Polowezer Tänze im „Fürst Igor". Die Gefühlstiefe, die „elegische Unendlichkeitsstimmung" (Karl Nef), die feier liche Eindringlichkeit des langsamen Satzse, der an dritter Stelle steht, haben kaum ihresgleichen in der sinfonischen Literatur. Mit Recht erinnert Hermann Kretzschmar an den langsamen Satz der Dvoräkschen Sinfonie „Aus der neuen Welt", von der sich das Werk Borodins allerdings durch die spezifisch russische Note unterscheidet. Nach den oben mitgeteilten Worten Stassows will der Kom ponist mit diesem Satz die Gestalt des legendären Sängers beschwören. Kretzsch mar wurde genannt. Der heute fast vergessene unübertreffliche Exeget der Musik (mag er auch in manchem geirrt haben) soll hier einmal zitiert werden. Wie könnte man besser diesen langsamen Satz charakterisieren als mit seinen Worten: „Es spielt aber auch in diese ethnographisch und allgemein menschlich gleich stark fesselnde Musik der Orient stark hinein mit seinen schillernden und verschleierten Farben, mit der verlassenen, versteckten Schönheit und der Unendlichkeitsstimmung, und auch mit seiner heißen und doch züchtigen Sinn lichkeit. Ein Teil des Phantasie- und Gefühlsgehalts dieser Musik kommt aber auf eigenste russische Rechnung, auf Puschkinsche Landschaft und orthodoxe Religiosität." Das Finale ist, wie so oft in der russischen Sinfonie und auch in der sowjetischen, die sich jene zum Vorbild nimmt, die Schilderung eines Volksfestes, beginnend mit einem Hauptthema, dessen Fröhlichkeit und Frische ebenso bezeichnend sind wie der Taktwechsel (' J //,—'//,), dem wir als Ausdruck nationaler Eigenart bei Borodin immer wieder begegnen. Das zweite Thema erinnert direkt an Volksmusik, sowohl in der Melodik wie in der Instrumentation. Im Finale jubelt