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ZUR EINFÜHRUNG Der schwedische Komponist Hugo Alfven (1872—1960), oftmals als „Richard Strauss Schwedens" gefeiert, studierte in den Jahren 1887 bis 1891 am Konser vatorium seiner Heimatstadt Stockholm und vervollkommnete später seine Ausbil dung in Deutschland (z. B. als Dirigentenschüler Hermann Kutzschbachs in Dresden), Frankreich und Belgien. 1891 wurde er Geiger in der Stockholmer Hofkapelle, 1910 bis 1939 war er Director musices an der Universität Uppsala. Außerdem dirigierte er bis 1947 verschiedene Männerchöre, mit denen er auf weiten Konzertreisen in Europa und Amerika das schwedische Volkslied populär machte. Alfven, der 1908 Mitglied der Königlichen Musikakademie in Stockholm wurde und überhaupt in seinem Heimatland und anderenorts viele Orden und Auszeichnungen erhielt, die seine Stellung als eines inoffiziellen schwedischen „musicus laureatus“ bestätigten, war nicht nur ein namhafter Komponist, dessen Werke bald ins Ausland drangen, sondern auch ein hervorragender Chor- und Orchesterdirigent. Die Schaffenskraft blieb dem Komponisten, der mit Sinfonien, sinfonischen Dichtungen, Bühnen- und Filmmusiken, Kammermusikwerken und vor allem mit zahlreichen Vokalwerken hervortrat, bis ins hohe Alter erhalten. Als 80jähriger vollendete er seine 5. Sinfonie, 85jährig konnte er mit seinem Ballett „Der verlorene Sohn“ noch einen großen Erfolg erringen. Alfvens Bedeutung für die schwedische Musikgeschichte liegt insbesondere auf sinfonischem Gebiet. Nach Franz Berwald (1796—1868) war er der zweite große Sinfoniker Schwedens. Mit der 1. Schwedischen Rhapsodie „Midsommarvaka" op. 19 (1903), die sein populärstes Werk wurde, schuf er unter Verwendung schwedischer Volksmusik ein neues, von Kurt Atterberg aufgenommenes Genre, die schwedische Rhapsodie. Die mit diesem Werk und auch der 4. Sinfonie bewiesene meisterliche spätromantische Instrumentationskunst demonstriert eindrucksvoll, weshalb Alfven als „Richard Strauss Schwedens" bezeichnet wor den ist. Seine der heimatlichen Folklore eng verbundenen Werke haben oft programmatischen Charakter; die malerische Anwendung von Harmonik und Klang steht im Zusammenhang mit seiner Begabung als Maler (Landschaften in öl, Aquarelle). Zu seinen wichtigsten Inspirationsquellen gehörte die Natur, worauf Kerstin Linder zu Recht hingewiesen hat. Die Verbindung von Mensch und Natur, wie sie Alfven suchte und gestaltete, orientierte sich natürlich auch an ähnlichen Strömungen in der zeitgenössischen schwedischen Literatur, Malerei und Filmkunst. Seine lebenslange Verbundenheit mit der Volksmusik seines Lan des prägte seinen national gefärbten Stil ganz entscheidend. Für seine Chöre schuf er zahlreiche Volksliedbearbeitungen. Besonders wichtig für sein Schaffen wurde die Berührung mit der typisch schwedischen Landschaft Dalarna (südlicher Teil Nordschwedens); hier verbrachte der Komponist seine Sommerferien und hierhin zog er sich seit 1939 ganz zurück. Die unser heutiges Konzert eröffnende 3. und letzte der Schwedischen Rhapso dien Alfvens, die 1937 komponierte Dalarhapsodie op. 4 7, weist mit ihrem Titel und ihrem Inhalt auf diese Landschaft Dalarna hin. „Meine Dala rhapsodie", so äußerte der Komponist, „bildet einen Gegensatz zu der .Mid sommarvaka', welche letztere fast ausschließlich in helleren Farben gemalt ist; wenn auch im Mittelsatz ein wehmütiger Einfall vorherrscht, ist die Stimmung nie gedrückt. Die Dalarhapsodie aber trägt dagegen den Stempel der ernsten Natur nördlich vom Siljansee, in den großen Wäldern. Das Grundthema der Rhapsodie ist schwermütig, sehnsuchtsvoll. Ich stelle mir eine Sennerin vor, die auf der Alm sitzt, in der Einsamkeit der weiten Wälder, und die auf ihrem Hirtenhorn bläst — ihre einzige Zerstreuung. Es sind ihre Träume, ihre Sehnsucht, die ich zu schildern suche." Dieses Stück, in dem eine Legende, der Hochzeitsmarsch aus Orsa, eine Hymne aus dem Älv-Tal und ein Tanz des Bösen die Farbigkeit schwedischer Volksmusik repräsentieren, ist bezeichnend für jenen Teil der neueren skandinavischen Musik, der sich bewußt zur Tradition Edvard Griegs bekennt. Die verwendeten schwedischen Volksmusikthemen sind in freier, balladenartiger Form ebenso phantasievoll wie farbig und brillant verarbeitet. Eine eigenartige Stellung in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts nimmt Jean Sibelius, der Begründer einer national-finnischen Kunstmusik großen Stils, ein. Der 1865 in Hämeenlinna (Tavestehus, Finnland) Geborene sollte eigentlich Jurist werden, studierte jedoch Musik bei M. Wegelius in Helsinki, bei Albert A. Becker in Berlin und schließlich bei Karl Goldmark und Robert Fuchs in Wien. 1893 kehrte er wieder in die Heimat zurück und wirkte zunächst als Theorielehrer an Helsinkier Musikschulen, bis er sich, da er vom finnischen Staot ein Stipendium auf Lebenszeit erhielt, gänzlich seinem kompositorischen Schaffen widmen konnte. 37 km nördlich von Helsinki, in Järvenpää, ließ er sich 1904 in herrlichster Landschaft ein Haus bauen, in dem er bis zu seinem Tode im Jahre 1957 lebte und arbeitete. Seit 1929 veröffentlichte Sibelius keine Werke mehr. Er schrieb fortan nur noch Musik, die niemand, nicht einmal seine Frau, hören durfte. An Stapeln von Noten blättern klebten Etiketten: „Nicht anrühren“ oder „Erst nach meinem Tode zu öffnen". Aber der Nachlaß enthielt kaum Manuskripte. Der Komponist hatte offenbar alles kurz vor seinem Tode vernichtet. Er soll einmal gesagt haben: „Diktatur und Krieg widern mich an. Der bloße Gedanke an Tyrannei und Unter drückung, Sklavenlager und Menschenverfolgung, Zerstörung und Massenmord machen mich seelisch und physisch krank. Das ist einer der Gründe, warum ich in über zwanzig Jahren nichts geschaffen habe, was ich mit ruhigem Herzen der Öffentlichkeit hätte geben können. Ich habe manches geschrieben, aber etwas aufführen zu lassen, dazu fehlte mir . . . ja, das wollte ich eben nicht." Zum Bilde Sibelius' gehört es auch, daß er sich kurz vor und nach der Jahrhundertwende der national-finnischen Freiheitsbewegung gegen die Unterdrückungsmaßnahmen der zaristischen Behörden anschloß. Seine berühmten Tondichtungen nach dem finnischen Nationalepos „Kalewala“ oder die sinfonische Dichtung „Finlandia" stehen in engem Zusammenhang mit diesen nationalen Bestrebungen. Zu Sibelius' wichtigsten Werken rechnen neben zahlreichen Liedschöpfungen, Klavierstücken, Volksliedbearbeitungen, Chören, ein Violinkonzert, die sinfonischen