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SVL Nachricht bestätigt sich, daß die Regierungen von England und Frankreich dem jungen Fürsten Czartoryiski die Bildung polnischer Freiwilligen- corp S bewilligt haben, und daß schon mehre Hunderte kriegslustiger Polen nach dem Orient abgegangen sind. Solche Thatsachen können uns keines- weg- in der Ueberzeugung beirren, daß das Tuileriencabinet an dem Grund satz des ersten Napoleon: „Vs8 ?»Iouui8, mum p»8 ein I'olvjznv!" fort- während festhält. Die Polen selbst machen sich keine Illusionen, und Hof- fen nur, wie die Italiener und Ungarn auch, von unberechenbaren Wen dungen der Weltcreignisse eine Zukunft der nationalen Wiedergeburt. Im- mcrhin aber sieht „der leitende Gedanke" Frankreichs ein, daß die Krieg- führung auf breiter» Grundlagen als bisher entwickelt werden muß. Der gegenwärtige Zustand, in welchem man keinen rechten Krieg und doch kei- nen Frieden hat, keine Hoffnung auf Ruhm und keine neuen Aussichten ans Wohlstand eröffnen kann, ist dem Begründer einer Dynastie unerträg lich. Und wenn die letzten zwei Jahre nicht verloren sein sollen, so muß man sie al- Erfahrungen benutzen und Vieles anders machen, Vieles von neuem anfangen. Trotz deS kleinen Siegs, den die letzten Krimdepeschen vermelden, sind Canrobert's Aktien nicht gestiegen; man schenkt seinen Ver heißungen wenig Vertrauen mehr. Im Krieg-Ministerium arbeitet man zu nächst fleißig an Feldzug-planen für Bessarabien, ohne dabei auf Oester- rcichS Theilnahme zu zählen. Man muß natürlich für militärische C-mbi- Nationen die ungünstigere Hypothese aufstellen, um auch für den schlimm- sten Fall sicherzugehcn. Allein auch die französische Diplomatie macht sich leider mit dieser bedenklichcrn Auffassung vertraut. Wenn man erst einmal mit all diesen Problemen ins Reine gekommen ist, wird Napoleon UI. ge wiß daS Obercommando übernehmens aber nicht in der Krim. Es hat sich bisher kein Feldherrngenie ausgezeichnet, das durch die Nähe deS Souve räns gehemmt werden oder dessen imponirenden Einfluß verdunkeln könnte. — Man spricht viel von einer neuen Anleihe im Betrage von 750 Mill. Fr., welche diesmal bei den Bankiers contrahirt werden soll. Das Deficit des Budget ließ so etwas voraussehen; man wartet aber für die Contrahirung den Moment einer günstigern politischen Perspective ab. Die großen Capitalisten haben auch von den beiden Nationalanleihen den Haupt vortheil zu ziehcn verstanden und werden schwerlich diesmal auf billige Be- dingungen tingehcn, zumal wenn erst die letzten FriedenShoffnungcn ver eitelt sind. — Die Ernennung Bourke's, der in Teheran nicht viel auS- richten konnte, an Thouvenel'S Stelle im Ministerium des Auswärtigen, T^suvenel'S Ernennung für Konstantinopel, Benedelti's Nachrücken: dieses ganze diplomatische Avancement hängt hauptsächlich mit persönlichen Mo tiven zusammen. BemcrkenSwcrth ist dabei nur, daß unter Ludwig Napo- leon's persönlicher Regierung das Geschlecht der allen Diplomaten immer mehr den fleißigen bürgerlichen Bureaukratm Platz macht. Das ist ein ent- schiedener Fortschritt. Die Leistungen eines Diplomaten hängen ja doch zum größten Theil von der exarten und verständigen Abfassung der ihm ertheil- ten Instructionen ab. — Bei Hofe dauern die Gratulationen wegen des Attentats vom 28. April noch immer fort; alle Beamten schreiben sich ein, alle Gesandten überreichen Briefe ihrer Souveräne. Außer den regie- renden Bourbons hat sich dabei auch der alte Herzog von Parma und Lucca, der Vater des ermordeten Herzog-, der in Paris lebt, mit seinem Glück wunsch gemeldet. Die Regierung denkt nicht daran, da- Attentat besonders zu politischen Zwecken auszubeuten. Daß es von einem Ausländer ausging, raubt ihm freilich einen Theil seiner Bedeutung. Man wird den Thäter ohne weitere Demonstration von der Jury aburtheilen und executiren lassen. Wie sehr die londoner Polizei während des Kaisers Aufenthalt allen Even tualitäten vyrzubeugen bemüht war, geht daraus hervor, daß Lord Pal- merston die französischen Flüchtlinge für den Fall einer feindseligen Demon- stration mit der Vorlegung einer neuen Alien-Bill bedrohen ließ. Ledru- Rollin wich dem londoner Jubel durch eine Reise nach Edinburg aus. Paris, 6 Mai. Der Consiiturionnel enthält einen Aufsatz aus Gra- nier's de Cassagnac lange stumm gebliebener Feder über die Mission der bei den Kaiser, nicht etwa Franz Joseph's und Napoleon'S III., wie man auf den ersten Anblick glaubt, sondern der beiden Napoleon. Unter vielen auf neue Weise gesagten alten Dingen bemerkt man den Sah, daß „die Napo leon III. vorbehaltene Mission die zwei großen Probleme unserer Zeit um faßt: im Innern zu beruhigen und die Ideen zu rectificirens?), nach außen Frankreich in Europa zu popularisiren." „Im Innern", meint der Au tor, „sind die beiden zu überwindenden Hauptschwierigkeiten die parlamen tarischen Ambitionen und die socialistischen Begierden, die jedoch seiner Ueber- zeugung nach allmälig weichen werden, weil das Volk, Ursprung, Stühe und Richter der Regierung, zufrieden ist." Das Werk nach außen zu be trachtet Gramer de Cassagnac als über alle Erwartung gelungen, da Eu ropa nicht mehr feudalistisch, Frankreich nicht mehr revolutionär und das große Wort von Bordeaux: „Das Kaiserlhum ist der Friede!" der Aus gangspunkt einer Politik der Loyalität gegen beschworene Verträge, deS Wi derstandes gegen Gewaltsamkeit und Unterdrückung ist." Wer, wie zu den Zeiten, wo der Journalismus noch Orakelrolle spielte, «ine Tendenz in dem erwähnten Aufsah sucht, verweilt ganz besonders bei der Stelle, wo der Autor das Axiom aufstellt: „Jeder Krieg, der nicht nothwendig ist, ist ein Verbrechen." — Der Allgemeinen Zeitung schreibt man aus Pari- vom 3. Mai: „Die unmittelbaren Berichte aus der Krim melden bereits die Ankunft von Verstärkungen und daß man sich auf eine offene Schlacht mit den Russen gefaßt macht. Der Geist der Belagerungsarmee hat sich gebessert. Can- robert'S Autorität hat unstreitig in den letzten Wochen bei seinen Unterge benen gewonnen. Alle Zweifel über die Haltung Oesterreichs sind besei tigt. Was von Hrn. Drouin de Lhuys dem Kaiser hierüber gemeldet wurde, hat auf den Monarchen sehr beruhigend eingewirkt. Auch hat man die Hoffnung nicht aufgegebkn, Preußen einen Weg einschlagen zu sehen, welcher den Strebungen für Erzielung des Weltfriedens entspricht. 'Die letzten berliner Depeschen zeigen klar, daß man dort nicht gewillt ist, auf die Vorschläge des Petersburger Cabinets blindlings einzugehen. Ich irre mich gewiß nicht, wenn ich behaupte, daß die demnächst vor das Forum des Bundestags kommenden Erörterungen zu Gunsten Oesterreichs, bezie hungsweise der Westmächte aüSfallen werden, und daß sich dann Preußen doch noch in die billigen Vorschläge Wiens fügen dürste. Da der Kaiser nicht nach der Krim geht, so hat der Reiscplan der Königin Victoria nach Paris eine Aenderung erfahren. Sie wird wol, wenn keine neue Mi- nisterkrisis eintritl, Anfangs kommenden MonatS den hiesigen Hof besuchen. Drei ihrer Kinder werden sic hierherbegleiten. Was über Misverständnisse zwischen dem Prinzen Jerome und dem Kaiser hier und da verlautet, ist gänzlich ungegründet. Das Verhältniß der beiden erlauchten Personen zu einander ist ein herzliches. Das Gerücht von dem Wiedereintritt des Gra fen v. Persigny in den aktiven Dienst erhält sich, und eS darf Sie durchaus nicht wundern, wenn sich dasselbe in den nächsten Tagen bestätigte Die heutige Börse war wieder eine sehr günstige für die Haussier-. Seit drei Tagen wird die angebliche Militärconvention mit Oesterreich al- das Element des Steigens der Curse betrachtet." — Der Kölnischen Zeitung wird aus Paris vom 5. Mai geschrieben: „Uebermorgen beginnt das Verhör des Mörders Pianori im Gerichtshöfe der Assisen vor dem Präsidenten Partarrieu-Lafosse, einem Mann, der seine Celebrilät dem Proceß des Lieutenants Laronciere verdankt, in dem er vor 15 Jahren als StaalSanwalt fungirte. Bei seinem vorläufigen Verhör hat der Verbrecher sich sehr entschlossen, einsilbig und nicht wie im Dunkeln über die Folgen seines Attentats gezeigt. Der Kaiser hat den Wunsch laut- werden lassen, daß die Sache bald abgemacht werden möge, und es wird mit der Befriedigung dieses Wunsches wol keine Schwierigkeiten haben. Denn obgleich man nicht im mindesten bezweifelt, daß der Misselhäter einer von Mazzini's Söldlingen sei (man glaubt in seiner englischen Bekleidung, Wasche, Hut und Stiefeln, und dem Besitz englischer Sovereigns Belege zu dieser Thatsache zu sehen), so kann man von seinen Geständnissen nichts erwarten. Er ist ein gutaussehender Mann und seine Manieren besitzen einen gewissen Anstrich von Bildung." Ein Journal von Chalons (an der Saöne) meldet: „Pianori ist in unserer Stadt bekannt, wo er, von Lyon und vorher von Marseille kom mend, vom 4. Juli bis zum 5. Aug. 1854 gearbeitet hat. Er war ein unermüdlicher Arbeiter, aber düster und schweigsam. Da er kein Französisch verstand, so konnte er sich kaum verständlich machen. Er ging auch mit Niemandem um, sondern lebte wie ein Menschenfeind. Ein einziger Ge- danke schien ihn zu beschäftigen: er wollte nach Paris gehen. Dies war seine fixe Idee, und zur Aufbringung des nöthigen Reisegeldes arbeitete er Tag und Nacht. An Sonntagen sah man ihn zuweilen in der Saöne an geln. Als Pianori unsere Stadt verlassen wollte, verlangte er, sich nach Paris begeben zu dürfen; da aber der Polizeicommissar ihm die Erlaubniß dazu entschieden verweigerte, so wurde, Pianori's Wunsche gemäß, sein Paß nach London über Calais visirt." ' . — Der Kölnischen Zeitung schreibt man aus Paris vom 5. Mai: „Seit 14 Tagen ist die hiesige Polizei in größter Thätigkcit. Biele Verhaf tungen haben in Paris und in der Provinz stattgefunden, und man glaubt, daß man einem Complot auf der Spur ist. Der Kaiser erhält täglich Berichte über diese Vorfälle, und dieselben scheinen nicht ohne Ein- fluß auf dessen Entschluß, vorderhand nicht nach der Krim zu gehen, ge blieben zu sein." Großbritannien. -^London, 5. Mai. In der gestrigen Sitzung des Unterhauses erhebt sich Hr. D'Jsraeli mit den Worten: „Ich wünsche von der Regie- rung Aufklärungen über den Aufschub zu erhalten, welchen die Vorlegung der auf die Wiener Confcrenzen bezüglichen Documcute erleidet. Eine solche Saumseligkeit bei so ernster Lage sucht ihres Gleichen." Hr. Rich: „Ich verlange den Ordnungsruf. Hat das ehrenwerthe Mitglied die Absicht, einen förmlichen Antrag zu stellen?" Hr. D'Jsraeli: „Ich will eine Frage im Interesse des Landes stellen, und wenn ich über diese Frage hinaus gehe, so werde ich allerdings mit einem bestimmten Anträge schließen. Ich behaupte, daß in wichtigen Fällen stets eine Botschaft der Krone an das HauS gerichtet worden ist, selbst vor Rückkehr der Unterhändler. Diesmal jedoch hat die Regierung das Haus ganz anders behandelt und durchaus keine Bereitwilligkeit an den Tag gelegt, das Land aufzuklären. Ich glaube ein Recht zu haben, aufs entschiedenste die Vorlegung der uns versproche nen Aktenstücke zu verlangen." Lord Palmerston: „Das ehrenwerthe Mit glied stützt sich auf Vorgänge, die mit dem vorliegenden Falle durchaus keine Verwandtschaft haben. In dem englisch-französischen Kriege ward direkt zwischen den beiden Ländern verhandelt, und jede Friedenshoffnung war geschwunden. Damals war es allerdings die Pflicht der Regierung, von dem Parlament die Mittel zur energischen Fortführung des Kriegs zu verlangen. Wir wissen jetzt, daß die Unterhandlungen durch die freund- schaftliche Intervention Oesterreichs unternommen worden, und daß die Be mühungen dieser Macht ebenso fruchtlos geblieben sind wie die unserigen. Wenn aber auch die Bestrebungen der englischen Regierung, den Frieden mit Hülfe des freundschaftlichen Beistandes Oesterreichs zu erzielen, geschci-