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Doch mit der Wiederkehr des wehmütigen Cellothemas durch die Flöten in der freien Wiederholung des ersten Teiles beruhigt sich der Aufruhr wieder. In milder Resignation verklingt der Satz, dessen Hauptthema in der Coda, in Holzbläsern, Streichern und schließlich in der Klarinette zu gedämpften Trioienschlägen der Pauke zerbröckelt. Besonders beliebt wurde in kurzer Zeit der mit seiner gemütvollen Liebens würdigkeit etwas an Schubert erinnernde dritte Satz (Allegretto grazioso). Durch die Holzbläser erklingt, von Pizzikato-Achteln der Celli begleitet, das anmutige, menuettartige G-Dur-Hauptthema mit seinen drolligen Vorschlägen auf dem dritten Viertel, das übrigens auch aus einer Ableitung des Grund motivs der Sinfonie gewonnen wurde. Auch ein zweimal in verschiedener Form auftretender, rasch vorbeihuschender Trioteil kann als Variierung des Haupt themas erkannt werden. Aber trotz dieser kunstvoll verzahnten, zum Teil leicht ungarisch gefärbten Thematik erscheint der sehr wirkungsvoll instrumentierte Satz wie mit leichtester Hand hingezaubert. Unproblematisch gibt sich auch das jubelnd ausklingende, beschwingte Finale der Sinfonie, von dem der gefürchtete Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick sagte: „Mozarts Blut fließt in seinen Adern". Nach dem ein wenig zurück haltenden, geheimnisvollen Beginn — das Hauptthema huscht zunächst wie von Ferne ertönend in den Streichern vorbei, ehe es im Orchestertutti auf klingt - entfaltet sich kräftige Fröhlichkeit. Auch das sexten- und terzenselige, etwas ruhigere zweite Thema stellen die Streicher (Violinen und Violen) vor. Diese beiden Hauptthemen, die sich in der Coda schließlich vereinigen, sowie das immer wieder benutzte Grundmotiv des Werkes und daraus abgeleitete Nebengedanken tragen das Geschehen des trotz einiger besinnlicher Wen dungen kaum von Schatten berührten Finalsatzes, der das Werk in festlicher Freudigkeit beschließt. Als Johann Wolfgang von Goethe 1799 seine Ballade „Die erste Wal purgisnacht“ schrieb, dachte er schon daran, „ob man nicht die drama tische Ballade so ausbilden könnte, daß sie zu einem größeren Singstück dem Komponisten Stoff gäbe.“ Jedoch erst 1831 fand sich ein Meister, der den Charakter des Gedichts vollkommen erfassen und darstellen konnte: Felix Mendelssohn Bartholdy. Der damals 22jährige Komponist hatte seit seiner Kindheit mehrfach bei Goethe geweilt und durch sein Klavierspiel des Dichters höchstes Lob erhalten. Auch Mendelssohn sprach stets mit Verehrung und Bewunderung von Goethe und dessen Werken, über „Die erste Walpurgis nacht" schrieb er an den Dichter: „Erlauben Sie mir, Ihnen meinen Dank zu sagen für die himmlischen Worte, . . . da braucht man gar keine Musik erst dazuzumachen, sie liegt so klar da, es klingt alles schon, ich habe mir immer schon die Verse vorgesungen, ohne daß ich daran dachte." Eine ausgedehnte Reise führte Mendelssohn 1830 bis 1832 über Weimar und Wien nach Italien, die Schweiz, Paris und London. Bereits seit Wien nahm der Plan zur „Walpurgisnacht“ immer mehr Gestalt an, und in Italien wurde das Werk vollendet. Mit welchem Ernst sich Mendelssohn dieser Aufgabe widmete, zeigt der Brief, in dem er Goethe am 28. August 1831 von der Fertigstellung der Komposition berichtete: „. . . es ist eine Art Kantate für Chor und Orchester geworden, länger und ausgedehnter, als ich zuerst gedacht habe, weil die Aufgabe sich ausdehnte und größer ward und mir mehr sagte, je länger ich sie mit mir herumtrug." Die Ouvertüre zur „Walpurgisnacht" entstand in Paris, und im Dezember 1832 wurde das Werk im Berliner Schauspielhaus unter Mendels sohns Leitung uraufgeführt. Seitdem gehört die Kantate zu seinen meistgespielten Werken. Die endgültige Fassung wurde im Jahre 1843 abgeschlossen. Der historische Kern der Kantate „Die erste Walpurgisnacht" ist der uralte Volks brauch, den Frühling zu begrüßen. Die heidnischen Kelten taten das, indem sie in der Walpurgisnacht ein Feuer entzündeten. Diese Zeremonie wurde bei Todesstrafe verboten, als die Christen ihre Herrschaft antraten und die Heiden zum christlichen Glauben „bekehrt" werden sollten. In seiner Ballade schildert Goethe, wie die Kelten, die sich zur Ausübung ihres Brauches in die Berge zu rückgezogen haben, beschließen, die „dumpfen Pfaffenchristen" mit List zu verjagen: „Mit dem Teufel, den sie fabeln, wollen wir sie selbst erschrecken!" Diese List hat Erfola: in panischem Schrecken stürmen die christlichen Wächter davon. Auch die kleinmütigen Zweifler aus den eigenen Reihen sind nun be ruhigt, und der Keltenpriester kann die Zeremonie einleiten: „Die Flamme reinigt sich vom Rauch: so reinig’ unsern Glauben! Und raubt man uns den alten Brauch, dein Licht, wer will es rauben?“ Goethe selbst hat in einem Brief an Mendelssohn den „hochsymbolischen" Charakter des Gedichtes hervorgehoben. Indem er Partei für die Heiden nimmt, bekennt sich Goethe zugleich zu einer Art Naturreligion und stellt so seine eigene Haltung dar. Mit den „dumpfen Pfaffenchristen" wollte er auch die christlichen Romantiker seiner Zeit treffen. Mendelssohn folgte in seinem Werk in genialer Weise den Gedanken Goethes. Einem Chor, der freudig den Frühling begrüßt, folgt die Aufforderung eines Druiden, das traditionelle Feuer zu entzünden. Im folgenden Frauenchor kommt Furcht vor den Herrschern auf, der Druidenpriester kann jedoch überzeugen: „Wer Opfer heut zu bringen scheut, verdient erst seine Bande." Der Höhepunkt des Werkes ist die Vertreibung der Christen mit Hilfe des Höllenspuks im nächt lichen Wald und die hastige Flucht der christlichen Wächter. „Großer Lärm muß auf jeden Fall gemacht werden", schrieb Mendelssohn hierzu. Das Werk endet mit einer Darstellung der Zeremonie, die mit Größe und Feierlichkeit gestaltet ist und die Überlegenheit des Naturvolkes spüren läßt. Die Kantate, die Goethe selbst nicht mehr hörte, ist das originellste Chorwerk Mendelssohns. Hector Berlioz, der die „Walpurgisnacht" in der Endfassung hörte, umreißt in seiner begeisterten Würdigung die Größe dieses Werkes: „Man weiß nicht, was man am meisten darin bewundern muß, ob das Orchester, ob den Chor oder den mächtigen Wirbel, der das Ganze bewegt. Ein wahres Meisterstück." Die erste Walpurgisnacht Tenor und Chor (Ein Druide und Chor der Druiden und des Volkes): Es lacht der Mai! Der Wald ist frei von Eis und Reifgehänge. Der Schnee ist fort, am grünen Ort erschallen Lustgesänge. Ein reiner Schnee liegt auf der Höh’, doch eilen wir nach oben, begehn den alten heil’gen Brauch, Allvater dort zu loben.