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ZUR EINFÜHRUNG Wolfgang Strauß wurde im Jahre 1927 in Dresden geboren und stu dierte von 1947 bis 1951 an der Staatlichen Akademie für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Seine Lehrer waren u. a. Fidelio F. Finke (Komposition) und Ernst Hintze (Dirigieren). Nach dem Staatsexamen war er als Solorepe titor, Theaterkapellmeister und Pianist tätig. Seit 1960 wirkt er in Berlin als Mitarbeiter im Staatlichen Rundfunkkomitee. Als Komponist begann Wolfgang Strauß zunächst mit Liedern und Kammermusik, wandte sich dann auch sehr bald der Orchestermusik zu. Die wichtigsten auf diesem Gebiete bisher ge schaffenen Werke sind: Kleine Sinfonie (1962), Konzert für Orchester (1963), 2. Violinkonzert (1965), 1. Sinfonie (1967), 2. Sinfonie (1971), 3. Sinfonie (die Uraufführung leitet Günther Herbig in einem Konzert des Berliner Sinfonie orchesters im Juni d. J.), Trompetenkonzert (1972). Von den vokalsinfonischen Arbeiten sei die Kantate „Der erste Raumflug“ (1962) genannt Mit der heute zur Erstaufführung gelangenden Sinfonie Nr. 1 o p. 49 erklingt nach dem Klavier-Trio und der Kammersinfonie, die 1972 in Galerie- Konzerten aufgeführt wurden, zum erstenmal ein größeres Werk des Komponisten in seiner Heimatstadt. „Die Sinfonie ist kein Auftragswerk. Der Komponist schrieb sie 1966/67 in der Absicht, sich mit der großen sinfonischen Form aus einanderzusetzen und bezeichnet sie als .endgültigen Versuch, in diese Bereiche vorzustoßen'. Eine Reihe von Werken der großen Form waren bereits voraus gegangen. Das Werk wurde 1969 mit dem Hanns-Eisler-Preis des Deutschen Demokratischen Rundfunks ausgezeichnet. Die Uraufführung fand am 30. Januar 1969 in einem Sinfoniekonzert des Landestheaters Halle unter der Leitung von Thomas Sanderling statt. Traditionelles und Neues gehen in der Komposition eine enge und produktive Verbindung ein. So wurde zwar die Viersätzigkeit und das Gegenüber von lyrischen und dramatisch betonteren Sätzen beibehalten, ihre Bezeichnungen jedoch, die durch die charakteristischen Titel: Stufen (Varia tionen), Flächen (5 Begegnungen), Ketten (Nachtstück), Wandlung (Variationen) sowohl über eine philosophische Haltung als auch über Struktur und Aufbau aussagen, sind ungewöhnlich. Traditionell ist die Besetzung des Orchesters. Aber der Komponist schafft mit ihr eine äußerst differenzierte Klangwelt, in der auch fernöstliche, vom Gamelang-Orchester inspirierte Eindrücke nicht fehlen. Strauß' Verhältnis zum melodischen Element ist ungebrochen, vermittelt zugleich neue Hörerlebnisse. Das musikalische Fundament der Sinfonie bildet eine sieben- tönige Reihe, und die vier Sätze stellen sich als Aspekte dieses Gedankens dar. Die Reihe ist eine nach dem Prinzip des Goldenen Schnittes aufgebaute Struktur. Die in ihr latenten Intervalle und Akkordkombinationen schaffen eine Ordnung, die der Tonalität ähnlich ist. Struktur und dynamischer Aufbau des ersten Satzes laufen nicht parallel, son dern entwickeln sich voneinander unabhängig. Aus den Abläufen der Struktur werden aber keine Abschnitte schematisch konstruiert. Die Variationen, die sich des Tonmaterials bedienen, folgen eigenen dynamischen Gesetzen. Der zweite Satz, .Flächen (5 Begegnungen)', stellt die dialektische Wechselwir kung dar, die eintritt, wenn zwei unterschiedliche Charaktere aufeinandertreffen, aufeinander einwirken. Begegnungen verändern die sich Begegnenden. Strauß konfrontiert die Gruppe der Bläser und des Schlagzeuges mit der der Streicher. Den gewählten Instrumentalgruppen entsprechen ihre Charaktere. Geben sich die Bläser, vom Schlagzeug unterstützt, rhythmisch, akzentuiert und vorwärts- strebend, so steht ihnen in den lyrischen Partien der Streicher ein ritardierendes Moment gegenüber, das sich schließlich durchsetzt. Auch für diesen Satz gewinnt Strauß das Tonmaterial aus der gewählten Struktur, jedoch entfernt er sich noch weiter als im ersten Satz von reinen Abläufen der Tonreihe. Das nun als bekannt Vorausgesetzte entwickelt stärkeres melodisches Eigenleben. Der dritte Satz trägt die Überschrift .Ketten' und als zweite programmatische Bezeichnung .Nachtstück'. .Ketten' bedeutet einerseits einen musikalisch tech nischen Vorgang, steht aber andererseits, und das ist die gedankliche Substanz des Satzes, für Fesseln, von denen es sich zu befreien gilt. Der Begriff .Nacht stück 1 ist hier nicht mit .Nocturne' gleichzusetzen, sondern in seiner Bedeutung auf das klassische Prinzip des .Durch Nacht zum Licht' zurückzuführen. Diese Idee wird vollends deutlich am Schluß, beim Zitat der ersten beiden Takte des .Liedes der Werktätigen', das Hanns Eisler auf den Text Stephan Hermlins komponierte: .Brüder, seid bereit! Brüder, es ist Zeit! . . .' Der Satz weist zwei Schichten auf, die wiederum Streichern und Bläsern zugewiesen werden. Sie stehen in einem gegensätzlichen Verhältnis zueinander, jedoch ohne sich zu beeinflussen. Sie sind materialverwandt. Den Bläsern ist ein dynamisches Moment eigen, das sich über dem statischen Untergrund der Streicher entwickelt und vorwärtsführt. Die mehrfach geteilten Streicher bieten das Tonmaterial. Der vierte Satz ist mit .Wandlung (Variationen)' überschrieben. Es handelt sich um Variierungen des strukturellen Materials, dessen vielfältige Möglichkeiten hier deutlich werden. Dieser Satz zeigt noch einmal die Probleme der voran gegangenen, und Strauß macht sich deren Lösung nicht leicht. Der vierfache Ansturm der Variationen dieses Satzes mündet in keinen vollständigen Sieg, aber das unaufhaltsam stärker werdende Crescendo der Schlußtakte weist optimistisch in die Zukunft. Diese Zuversicht erwächst aus dem Wissen um über- windbarkeit von Schwierigkeiten und Hindernissen. Sie wirkt deshalb stark und glaubhaft. Der Ausklang des Werkes ist hoffnungsvoll" (M. Pommer). Alexander Konstantinowitsch Glasunow gehörte zu jenen Musikern, die in der Zarenzeit groß geworden sind und dann die Große Sozia listische Oktoberrevolution erlebten. Glasunow war 1917 Direktor des Petrograder Konservatoriums. Er behielt dieses Amt noch mehrere Jahre in der dann Leningrad genannten Stadt und trug wesentlich dazu bei, die musikalische Entwicklung in dem neuen sozialistischen Staat voranzutreiben. Alexander Glasunow wurde am 10. August 1865 in St. Petersburg geboren. Schon frühzeitig äußerte sich die ungewöhnliche musikalische Begabung des jungen Glasunow, die auf Veranlassung Balakirews bei Rimski-Korsakow ihre erste Ausbildung erfuhr. Dieser berichtet darüber in seinen Erinnerungen. Er nennt den kleinen Sascha einen „lieben Jungen mit wunderschönen Augen, bei dem Elementartheorie und Gehörbildung sich als überflüssig erwiesen, da er ein unfehlbares Gehör besaß". Seine musikalische Entwicklung vollzog sich, wie Rimski-Korsakow bemerkt, „nicht von Tag zu,Tag, sondern von Stunde zu Stunde". In der Rekordzeit von 1 7 2 Jahren absolvierte Glasunow alle Disziplinen der Komposition. Bald wurde aus dem Verhältnis eines Lehrers und Schülers unge achtet des großen Altersunterschiedes ein rein freundschaftliches. Mit 16 Jahren schrieb Glasunow, dessen Frühreife und außergewöhnliche Begabung wenig Gegenstücke in der gesamten Musikgeschichte hat, seine 1. Sinfonie op. 5, die der Ehre gewürdigt wurde, durch Balakirew 1882 in einem Konzert der „Musika lischen Freischule" uraufgeführt zu werden. Das Werk erzielte großen Erfolg. „Das Publikum war", so berichtet Rimski-Korsakow, „nicht wenig erstaunt, als sich auf seine Hervorrufe der Autor in seinem Gymnasiastenkittel zeigte. Seitens der Kritik ging es nicht ohne Sticheleien ab. Auch Karikaturen erschienen, die Glasu now als Brustkind darstellten. Allerlei Klatsch wurde verbreitet: Die Sinfonie hätte gar nicht er geschrieben, sondern sie sei von den reichen Eltern, ,man wisse schon bei wem', bestellt worden usw." Anschließend daran stellt Rimski- Korsakow den Erfolg von Glasunows weiteren Werken in ganz Europa fest. Die Sinfonie war das erste Werk, das Beljajew als Verleger herausgab; mit ihr wurde die Firma „M. P. Beljajew" in Leipzig gegründet. Später betätigte sich Glasunow oft neben Rimski-Korsakow und Ljadow als Lektor des Verlags. Glasunows enges