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Rabenauer Anzeiger : 29.01.1918
- Erscheinungsdatum
- 1918-01-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Deutsches Stuhlbaumuseum Rabenau
- Digitalisat
- Deutsches Stuhlbaumuseum Rabenau
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id178001192X-191801297
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id178001192X-19180129
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-178001192X-19180129
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Deutschen Stuhlbaumuseums Rabenau
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Rabenauer Anzeiger
-
Jahr
1918
-
Monat
1918-01
- Tag 1918-01-29
-
Monat
1918-01
-
Jahr
1918
- Titel
- Rabenauer Anzeiger : 29.01.1918
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Ende des österreichischen General- j ZU, L»-.« d°-d«. streiks für Rußland. Nationalkonvent statt Verfassunggebender Ver sammlung. Der Taurische Palast liegt nach der Auslösung der vom Volke gewählt, n Konstituante durch die gewalt tätigen Bolschewik! verlassen da. Nur eine Handvoll Jour nalisten und ungefähr fünf parteilose Mitglieder der Konsti tuante kamen gegen 5 Uhr zusammen, fanden jedoch die Türen geschlossen und eine Anzeige angeklebt, daß auf An ordnung der Volkskommissare niemand Zutritt zum Palais habe. Di» Polastkommandantur erklärte, daß der Kongreß der Sowjets im Taurijchen Palast zuiamnientrsisn werde. Einer Deputation der Sowjets erklärte Lenin, daß die Konstituante keine Zustimmung zum Zusammentritt mehr er halten werde. Sie werde durch den Nationalkonvent ersetzt, den der bevorstehende Kongreß der Sowjets einletzen w«rde. Während der letzten Ta:e haben die Roten Garden alle auf den Straßen und Bahnhöfen erhältlichen anti-bolsche- wikischen Zeitungen beschlagnahmt und verbrannt. Bruch Mustlands m t der Ukraine. Eine Peters burger Havas-Meldung bestätigt den Ausbruch eines Konflikts zwischen der russischen und ukrainischen Delegat ton in Brest-Litowsk, weil letztere unabhängig von den russischen Kameraden verhandelte. Infolgedessen erklärten die Nüssen, daß die ukrainische Delegation nicht mehr die Republik Ukraine vertrete, und sie wandten sich an den neuen. Cxe- kuiivausschuß in Charkow. Über den Konflikt zwilchen Trotzki, Joffe, Kamenew einerseits und dem ukrainischen Beauftragten Holubovycz andererseits hat die Petersburger Telegraphenagentnr eine ausführliche Darstellung gegeben, aus der bervorge^, daß Trotzki schon am 16. Januar, also noch in Brest-Lit wsk seinen Protest gegen die Sonderver- handlungen der Ukrainer ohne laufende Kenntnis der Ruffen als mündliche Erklärung abgegeben hat. Die Konsequenzen dieses Bruches am Verhand lungstisch bleiben noch abzuwarien. Die gefährliche Spannung zwischen Petersburg und der Ukraine wird da durch trotz dem früheren Austausch freundschaftlicher Er klärungen aufs neue bestätigt. Der Plan der Bolschewiki gegen die Ukrainer wird auch aus der Erklärung Trotzkis klar: sie wollen die neugegründeten ukrainischen Arbeiter und Soldatenregierung in Charkow gegen die mehr bäue rische und bürgerlich-demokratische Rada in Kiew ausspielen. Sie agitieren gegen die Rada wegen „geheimen Überein kommens mit Imperialisten." Glauben unsere leitenden politischen Stellen nicht an die Möglichkeit von Komplika tionen, so fragt die „Berl. Zig.", die für die weiteren Ver handlungen in Brest-Litowsk daraus entstehen können? Schreckensherrschaft in Petersburg. Nach Petersburger Meldungen Neuyorker Blätter wurden die früheren Mitglieder deS Kabinetts Kerenski Tschingarew und Kokalchktn letzte Nacht im Mannahospital, wohin sie aus der Peter-Paulfestung krankheitshalber verbracht worden waren, in ihren Betten ermordet. Ein Dutzend bewaffneter Männer drang in das Hospital ein, fragte, wo die Minister tagen und feuerte sechs Schüsse auf Tschingarew und zwei auf Kokoschkin ab. Beide wurden getötet. Die Mörder verließen dann bas Hospital. Weiter wurde ein Mordver such gegen den bolschewikischen Wahlkommiffar Uritsky un ternommen. Die Kugel streifte ihm Las Ohr. dis weiteren wirtschaftlichen Kommijsionsberatungen wurden einer Subkommission überwiesen, die bereits ihre Arbeiten ausgenommen hat. Es haben auch die ersten offiziellen Bei stunden der deutsch-ruistschen NechtSkommi ssion staiige- fundsn. Im einzelnen wurden behandelt und formuliert: die Beendigung deS Kriegszustandes sowie dir Wiederher stellung der diplomatischen und konsularischen Beziehungen, ms Entschädigungsfrage und die Wiederherstellung der StaatsvertrSge. Gegenwärtig wird über die Wiederher stellung der Prioatrechte verhandelt. Neue Ukraino-Delegkert». Von dem gegenwärtigen Vorsitzenden der russischen Friedensdelegation in Brest-Litowsk Herrn Joffe ist bei der Zn Brest-Litowsk. Dis deutsche Kommission wirtschaftliche Angelegenheiten hat ihre Besprechungen mit den russischen Vertretern fortgesetzt. Die Vorarbeiten für Kriegs- und Lnges-Benchle. WehrpflichtvcrlKngerunq auch in Frankreich. In einer seiner jüngsten Reden hat Lwyd George die Not wendigkeit der Wehrpflichisverlängerung in England bis zum LS. Lebensjahre hervorgehoben. Im Anschluß an diesen Hinweis schreibt ein Pariser Blatt, baß die Forde rung von Lloyd Georgs nur Ler Vorläufer einer gleichen Maßnahme für Frankreich sei. Darauf r. -.r-, stimmte Äußerungen des französischen Ministerpräsidenten Clemenceau im Heeresausschuffe der Deputiertenkammer schließen, die von einer restlosen Anspannung der verfüg baren französischen Mannschaftsbestände handelten. Indiens Kamps um die Freiheit. Unruhen in Indien hatten Zusammenstöße zwischen Mohammedanern und Hindus zur Folge. Aus einer Lon doner Darstellung der gegenwärtigen Parteiverhültniffe in Indien ist zu entnehmen, daß das Haupt der großen alt- indischen Maslem-Liga, Mohammed Ali, seit längerer Zeit interniert ist, da die englischen Behörden ihn als einen der gefährlichsten Führer der Unabhängigleitsbewegung be trachten. In einer Sitzung der gesetzgebenden Körperschaft von Bengalen hielt der Gouverneur Ronalüshay eine stunden lange Rede, in der er die Regierungsmastnahmen gegen die bengalische revolutionäre Bewegung rechtfertigie. Die Öffentlichkeit erhielt dadurch zum eist.n>nal Kenntnis von dieser recht ausgedehnten Bewegung und von den Re pressalien Englands. Dem Gouverneur zufolge ist eine ungeheure Anzuhl von Schullehrern, Professoren, Priestern und Journalisten ' verdächtig und zum größten Teil in Untersuchungshaft. Die Räume der Klubs, Bereinigungen, Hotels usw. waren von der Bewegung als Treffpunkte ein gerichtet. Ungefähr lausend Angeklagte haben ihre Schuld zum Teil gestanden, zum Teil sind sie einwandfrei ^erführt worden. An mehr als 60 Plätzen hat Lie Polizei größere Waffen- und Munitionsmengen beschlagnahmt. Verdoppelung des japanischen HeereS. In England und Frankreich hat die Mitteilung, baß die japanische Regierung die Friedensstärke der japanischen Armee von 21 aus SO Divisionen erhöht hat, eine gewisse Beunrihigung heroorgerufen. Man weist darauf hin, daß dies weit mehr als eine Verdoppelung Ler bestehenden Streitkräfte bedeutet, waS angesichts des vorläufigen Aus- scheidens Ruhlands auS dem Mächtespiel im fernen Osten geradezu unverständlich erscheine. Dis Meldungen besagen weiter, baß gleichzeitig auch eine bedeutende Verstärkung der Flotts vorgesehen ist, obwohl sich diese in den letzten dreißig Jahren ebenfalls fchon einer Verdoppelung zu erfreuen ge habt hat. Amerikanische Stimmen weisen ironisch auf db ses Nüstungsuachspiel zum Freundjchafteabkommen zwischen Lansing und dem Grafen Jschii hin. Jedenfalls wird das Verlangen Amerikas, seine starke Heeresprösenz auch nach j deutschen Friedensdeiegaiion eine Mitteilung des Inhalts : eingeganaen, daß die Negierung der Arbeiter- und Soldaten- s räte in Charkow, die für sich das Recht in Anspruch nehme, daS Land der Ukraine allein zu vertreten, zwei Bevolluäch- . tkgte zur Teilnahme an den Friedensverhandftmgen nach Brest-Litowsk entsandt und daß die russische Delegation diese beiden Herren als Mitglieder ausgenommen "habe. Bus den begleitenden Schriftstücken geht hervor, baß die Regierung in Charkow Lem Generalsekrstariat in Kiew und Ler dortigen Zentralrada Las Recht, im Naiven der Ukraine zu verhandeln, abspreche; diese Körperschaften stellten ledig lich Organe der Bourgeoisie dar und seien absolut nicht in der Lage, Abmachungen mit anderen Ländern zu treffen oder gar durchzusühren. Die Charkower Regierung, die eine Filiale der Bolschewisten darstellt, sucht ihren Anschluß an die Petersburger Negierung als an das Zeniralorgan Allrußsands, der föderaiiven Eesamtrepubük des ehemaligen Zarenreiches, und die russische Delegation scheint neuerdings auch in dieser Eigenschaft ausireien zu wollen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Kiewer Regierung zu dieser neuen Sachlage stellen wird. Die Angelegenheit ist namentlich in sofern wichtig, ais zwischen den Vierbund-Vertretern und den bisherigen Vertretern der Urkraine bereits bindende Friedensverembarungsn getroffen worden waren. Da die maßgebenden Stellen berechtigten Anlaß zu der Voraussetzung einer baldigen Beilegung deS österreichischen Generalstreiks hatten, so war es angebracht und dankens wert, mit den Meldungen über Einzelheiten zurückzuhalten, die auch im Deutschen Reiche unnötigerweise Beunruhigung verursacht haben würden. Heute, da jede Gefahr beseitigt ist und die Arbeit allerseits wieder in gewohnter Weise ver richtet wird, erscheint es dagegen angezeigt, zusawmen- fassrnd die Ursachen und den Verlauf des Generalstreiks darzustellen. Vier Tage lang währte die Arbeiterbewegung, die von verhältnismäßig kleinen Anfängen ausgegaugen war, sich aber schnell zu einem Massenstreik von ungewöhn licher Ausdehnung entwickelt hatte. Zunächst wurde der Streik mit Lohn« und Lrnährungssragen begründet, bald aber wurden dis politischen Triebfedern sichtbar. Es han delte sich um die auch von bürgerlichen Kreisen unterstützte Arbe'terforderung nach der Sicherstellung eines baldigen annexionslosen Friedens. Am Sonntag kam eS nach mehr tägigen Einigungsverhandlungrn zu einem Einvernehmen, wobei den Wünschen Ler Arbeiter in weitem Umfange Rechnung getragen wurde. Die Entwicklung. Der wirkungslose Protest gegen die Herabsetzung der Mehlquote bildete den unmittelbaren Anstoß zu der Bewe gung. AlS erste stellten am Montag voriger Woche die Arbeiter der Daimler-Motorenwerke in Wiener-Neustadt die Arbeit ein. Ihnen schloffen sich in schneller Folge die Ar beiter sämtlicher Wiener KriegSbeiriebe an. Am Donnerstag verhinderte die Wiener Arbeiterschaft die Veranstaltung der Wiener Hofoper, indem sie erzwang, daß das Publikum nach Hause geschickt wurde. Am Freitag war Wien ohne Licht, und kein Theater versuchte mehr zu spielen. Der Straßenverkehr wurde eingestellt, und am Freitag nach mittag erschienen die letzten Zeitungen. Inzwischen hatte der Streik sich auf Steiermark, Böhmen und Mähren aus gedehnt. Auch in Graz, Brünn und Prag wurde der Straßenbahnverkehr eingestellt, und eS entstand dieselbe Ausstandsbewegung, die sich beinahe zum Generalstreik auS- wuchs. Ausschreitungen sind, von. ganz vereinzelten Aus nahmen abgesehen, unterblieben. waS um so bemerkens werter ist, wenn man bedenk», Laß die feiernden Arbeiter- maffen, in Wien allein rund eine halbe Million, beständig auf den Straßen waren. Ausschreitungen hätten bet der großen Menge der Streikenden allerdings auch zu den fürchterlichsten Folgen führen können. In Ungarn hatte die Bewegung raschere Fortschritts gemacht als in Österreich. In Budapest war der Generalstreik prokla miert und auch das Erscheinen der Zeitungen eingestellt worden. Forderungen und Vettegnng. Dis Forderungen der Arbeiter waren in vier Punkte zusammengesaßt worden. Zu 1 wurde gefordert, die Ne gierung dürfe die Verhandlungen in Bresi-LitowSk von keinerlei territorialen Zugeständnissen der Russen abhängig machen, sie müsse die Vertreter Ler Arbeiter über den Stand der Verhandlungen freimütig unterrichten und ständig auf dem Laufenden erhalten und ihnen auf deren Gang gebüh renden Einfluß einräumen. Dis anderen Forderungen be trafen die Gleichstellung der Selbstversorger mit der übrigen Bevölkerung, dis unverzügliche Einführung des gleichen und direkten Gemeindewahlrechts und die glatte Aushebung der Militarisierung der Betriebe. Der M-nister des Innern Graf Loggenburg versicherte den Arbeiterdepuiationen, Gras Czernin würde eher den Galgen besteigen, als einen an- nexionistischen Frieden abschließen. Dieje Erklärung wirkte in hohem Maße beruhigend. Außenminister Graf Czernin trat sofort nach seiner Nnksnft ans Drest-LitowSk mit drn Arbeiterführern in Verhandlungen ein und erzielte bereits nach wenigen Stunden einen vollen Erfolg. Man Lars hoffe«, daß nach dieser plötzliche» Aufwallung such im v«r- Lündetrn Österreich-Ungarn Besonnenheit und Ruhe kein» Störung mehr erfahren werden. Die Völker deS Vier- bundeS haben vollen Anlaß zum Vertrauen zu ihren politi schen und militärischen Führern, denn sie haben die sichere Bürgschaft, Laß von diesen keines andern Sache als die Son «l.r« »lüthgen. Einmal an einem dunklen Abend Halts sie »üf einer versteckten Bank gesessen und beobachtet, wie Hardung und Lie junge Fr«« im Garten prvu enterten «lS die einzig««. Sie gingen langsam, als wenn sie beide eilrr schwere Krank heit überstanden hätten, nebeneinander, und sprachen ganz leise und gedämpft, denn in der Tülle deS Abends wurde jedes Wort auch «uf die Entfernung hin deutlich zu hören gewesen sein. Oft tauchten fi« 's» in das Dunkel unter, daß ihre Gestalten nur wie ein Paar undeutliche schwarze blecke darin schwammen, dann wieder, wenn sie den Licki Hein Halfterten, der aus den Hellen Fenstern brach, waren sogar Hre Gesichter deutlich erkennbar. Bianka folgt« ihnen fie bernd, in einer gräßlichen Erwartung, ihr Herz zog sich zu sammen im fühlbaren körperlichen Schmerz, wenn das Paar wieder in das Dunkel zurückglitt. An dem Klopfen ihres Vintes zählte sie eS ab, wenn es heranstreten müsse in di« Helle, auf den gewohnten Weg. Aus einmal sah sie die dunklen Flecke auf einem anderen Wegs und gerade auf sich zukommend — ah, sie wollten den Lichtkreis nur ver meiden! sie hielt den Atem an, bog sich geräuschlos vollends in den tiefen Schatten zurück. Ihr Herz setzte aus. In ihrem Schmerz verstand sie mit einem Male jene ele mentaren Ausbrück« eines wahnsinnigen Hasses, die deq Nebenbuhlerin ein Messer ins Herz stoßen, oder eine Flasche Vitriol ins Gesicht schleudern. Es dauerte ihr unendlich lange, ehe jene näher kamen — so langsam schreitet nur, wer sich Wichtiges zu sagen bat. Sie wußte es: fina sie seht auch nur ein einziges LiebeNvort auf, so bedeutete das ihren Tod. Sie würde nicht drüber hinwegkommen, wollte es auch nicht. Als un erschütterlicher Entschluß stand eS in ihr fest. Die beiden schritten zwar dicht nebeneinander, aber nicht einmcck ihre Hände berührten sich, die Frau trug m den ihren einen hellslimmernden Zweig, mit dem sie spielte. Ihr Gesicht war zu ihrem Begleiter gewendet, zutnlich, freund lich; dabei lag ein Charm von Schwäche und Hilflosigkeit über ihr, der gerade auf schwache Männernaturen doppel! wirkt, weil er ihnen die Illusion ihrer eigenen Stärke aibt. b Gis erzählte irgendeine kleine Geschichte, uns Haibung amüsierte sich darüber; um was es sich lxmdelte, erfaßte Bianka kaum, ihr genügte es, daß eS wieder eine Banalität War. G» gingen sie langsam vorüber, so nahe, daß das weichliche Parfüm der Frau Bianka umwehte und das Helle Kleid ihr scstvarzes streift«. Sie richtete sich auf, ihr Herz begann heftig zu arbeiten. „Eine Gnadenfrist!" murmelte sie. „Warum eigentlich noch?" Eines Tages war eine Wagensahrt zu einem benach barten Schlosse, Las als Sehenswürdigkeit galt, unter- nommen worden. Da sie von dem Doktor ausging, hatte man Weber Hardung und Frau Schulze, noch Fräulein von Normann, noch hatten diese sich selbst ausschließen können, nnd ein böser Zufall fügte es, daß Bianka in einem Wagen zu sitzen kam, der hinter jenem fuhr, in dem Frau Anni und Harduug ihre Plätze gesunden hatten. Obgleich es am wenigsten zu erwarten war, daß sie sich hier, angesichts eines fröhlichen alten Herrn, der ihnen auf dem Rücksitz gegenüber saß, angesichts der Wagen vor ihnen zu irgendeiner Ver traulichkeit würben Hinreißen lassen, ließ Bianka sie keinen Augenblick aus den Augen. Ihre Blicke maßen die Ent-' fermmg, die sie trennte, sie hatten die subtilste Schätzung für jedes Zentimeter, um bas sie sich vielleicht verrückte. Wenn die jung« Frau auch noch so leise ihre Schulter an Lie seine schmiegte, wenn er den Arm bewegte, um den ihren zu berühren, es hätte ibr nickt entgehen könnem Zuweilen blieb ihr Wagen etwas zurück, oder ein Stoß auf der aus gefahrenen Clmusiee verrückte für einen Augenblick das Bild, und sofort fetzte die Angst ein, was in diesem Augenblick tt>ahl geschehen stin könne — man kann solchen Stoß W gut ais Vormand nehmen, um sich zu berühren, man kann in dieser Berührung seibstverzMen, wi« gelähmt durch den Schreck verharren. Ein Rest nüchterner Besinnung zeigte ihr zwar das Törichte ihres Argwohnes unter diesen Um ständen, aber allein das Bewußtsein der engen körperlichen Näh« jener beiden peinigte sie bis zur Fassungslosigkeit, ein Gefühl perversen Abscheus steigerte sich in ihr bis zur phy sischen Uebelkeit. Eine Fahrt durch dieses gesegnete grün« Thüringer Land wie durch ein Tal der Verdammnis. Bei der Rückfahrt nahm der Doktor sie in seinen Wa» gen, der als erster des Zuges fuhr, er behandelte sie als eine Kranke, ohne zu fraaen, was ibrsiebst. „ Zu Gause löste sich die Spannung in einem Wein- krompf. Sie weinte die ganze Nacht hindurch, den kommen, Len Tag. Man gab ihr Brom und isolierte sie auf ihrem Zimmer, wie man «S mit Kranken tut, die einen unerfreu lichen Eindruck machen und die Berichte von dem tadellosen Gesundheitszustand des Sanatoriums Lügen strafen könnten. Sie weinte immer weiter, als könne sie sich im Weinen, auflösen? es wurde ihr ganz dumpf und stumpf zu Sinne, und bas war ihr gerade recht, denn eS überhob sie für eine Weile jedes Entschlusses. Der Doktor kam häufig zu ihr, auch Lie Frau Doktor besuchte sie, man redete ihr zu, sich auszusprechen, aber sie zuckte nur die Aclffeln: worüber sie sich denn aussprechen solle? Dies sei nur eine Reaktion, sie habe eben allzufrüh sich wieder als Gesunde betrachtet, das räck« sich nun. r Schließlich ließ man sie zufrieden, und mm sie erreicht hatte, was sie gewollt, quälte sie ihre jämmerliche Verlassen heit. Nun gingen ihre Wünsche auf irgendeine geduldige Schulter, an der sie sich auswsinen könnte, nur nicht so ganz allein sein m der drückenden Einsamkeit. Es war fast eine Wohltat, daß dieses klein« gesunde Weh den großen krank haften Jammer ihrer verfehlten Leidenschaft in etwas paralysierte. Es war nun Regen eingetreten, und in ihrer nervösen Abhängigkeit vom Weiter litt Bianka in den grauen, sonnen, losen Tagen noch niehr. Der Regen schlug gegen ihre Scher- ben, überspann sie mit einem Netz von Nässt, aus dem sich .kleine Rinnsale zusammenfanden, aufeinander zuliesen und vereinigt in breiten Bächen herniederflosstn. Gedankenlos verfolgte sie bas Spiel, immer mit demselben dunklen Weh im Herzen, sie fühlte sich wie ein Wurm, der sich in den Schlamm eingraben möchte, sein Element. Dann lag sie auf der Chaiselongue, die Augen ge schlossen, um nichts von der Außenwelt zu sehen, aber dabei horchte sie mit angespanntem Ohr hinaus, um in der mono tonen Nsgenmelodie noch Geräusche des Lebens wahrzu- nehmen, si? analysierte jeden Ton, das Nollen eines Wa gens auf der Landstras-e, den Peitschenknall, die Stimme des Fuhrmanns, von der entfernten Station das Pfeifen eines Zuges, Bruchstücke eines Gespräches, das ein paar mutige Herren trotz des Regens im Garten führten.
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