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Leseabend. Novelle von A. Grefe. ' (Nachdruck verboten.) Ich fitze ganz allein in meinem stillen Zimmer. Bor Mir steht ein goldig blinkender Wein in feinem Glas, daneben ein Strauß herbstbunter Blätter, von denen sich dann und wann sachte eines löst, um müde auf das glänzende Tischtuch herabzuflattern. Ein offenes Buch scheint auf mich zu warten, „Schillers Werke". „Wilhelm Tell" ist aufgeschlagen. Aber ich lese nicht. Ich sitze still in dem tiefen Armstuhl und rede mit meiner Jugend, die just auf kurzen Besuch zu mir hereingebuscht kam und mich nun ansieht mir ihren glänzenden Augen und manch mal wild die Locken schüttelt und lacht — lacht, wie man es nur mit sechzehn Jahren kann, so voll, so frisch, so klingend. Manches Mal gucken mich plötzlich die häßlichen, langweiligen, grauen Sorgen des Alltags aus irgend einem Winkel grinsend an, als wollten sie sagen: Du entkommst uns nicht! Wir halten dich fest, trotz alledem! Aber die Jugend lacht wieder, und sie sind weg, fort geblasen von dem Hauch ihres Mundes. Und so feiere ich mein Fest ... Wir sollten natürlich mehr sein, denn zu jedem Fest gehören viele. Aber die Genossen von einst wandern weit weg von mir auf anderen Lebensstraßen, und manche sind schon lange über jene große Grenze geschritten, die unsere Menschenwelt von dem unbekannten Land dort drüben trennt. Aber beute habe ich sie mir doch alle geladen, und willig kommen sie ... „Denkst du daran?" frage ich den jungen Studenten, der sich eben über das Buch neigt. Die Lampe malt Helle Lichter in sein welliges, blondes Haar. Er ist nicht schön, aber in seinem Gesicht ist viel echte Begeisterung. Und mit diesem Zug in dem gescheiten Antlitz beginnt er zu lesen. Ja — und nun sind wir alle beisammen. Ich fahre empor und sehe um mich. Wo ist mein Zimmer, die Lampe, mein Armstuhl ? Wo bin ich selbst? Bin ich das wirklich, dieses hochaufgeschossene, sechzehn jährige Mädel mit den langen Zöpfen und dem schmalen Gesicht? Natürlich sitze ich neben meiner liebsten Freundin, und wir sehen immer in ein Buch, obgleich wir zwei be sitzen. Aber wir müssen einander nahe sein, müssen bei den richtigen Stellen uns die Hände drücken können . . . Meine Freundin heißt Marie und liest die Berta. Ich lese die Gertrude. Natürlich bin ich sehr hingerissen und betone falsch, und so kommt es, daß gerade bei der schönsten Stelle: .Müßt' ich mein Herz an zeitlich Gut gefesselt, Den Brand würf' ich hinein mit eigner Handl* ein langgestreckter Finger vor mir erscheint und eine klangvolle, aber etwas hohe Frauenstimme zu mir sagt: „Sprich dies nochmals, liebes Kindl Man muß auch sprechen lernen!" Es ist Fräulein Seraphine, unsere Lehrerin. Sie hatte viele Talente und unter ihnen auch dasjenige der richtigen, getragenen Sprechweise. Sie sagte mir die stell« dreimal vor und war erzürnt, weil ich sie nicht gut nachsprach. „Man muß das innere Feuer, die Begeisterung merken!* sagte sie diktatorisch. Aber ich war zu jung für angelernte Begeisterung, und die echte war verflogen. So lasen wir weiter. Den Wilhelm Tell las ein junger, sehr hübscher Mensch mit einem dunklen Krauskopf und feurigen Augen. Er war ganz bei der Sache und hatte ein schönes Organ. Ich fand den Wilhelm Tell nachher im Burgtheater längst nicht mehr so hübsck, als da e r mitlas. Und ich ärgerte mich, als er mit unserer Freundin Sophie als mit seiner lieben Frau sprach. Ueberhaupt diese Sophie! Natürlich hatten wir uns alle sehr gern und hätten miteinander Geduld haben sollen. Aber sie las so greulich, daß keine Geduld standhielt. Ueberdies war sie eine Sächsin und sprach den heimischen Dialekt. Fräulein Seraphine raste. War dies „gelesen" ? Wo blieb die Betonung? Sie klopfte erregt auf den Tisch. „Liebes Kind, noch einmal! Schiller schrieb hoch deutsch! Darf ich bitten?" Sophie begann vom neuen. „Nochmals!" sagte Fräulein Seraphine unerbittlich. Sie schwenkte ihren langen Zeigefinger förmlich gegen unsere kleine dicke Freundin. Sophie schüttelte den runden Kopf. „Ich kann's nich l" sagte sie halb unter den Tisch. „Sie müssen es können!" rief das Fräulein mit strengem Blick. „Mein Kind — ich begreife Sie nicht! Wir sind doch hier, um zu lernen, um uns sortzubildenl* Sophie sah kläglich drein. „Man muß wiederholen, bis es geht l"'rief das Fräulein, und ihr Finger richtete sich wieder auf Sophie. „Also bitte, liebes Kind, noch einmal: Ich —* Aber Sophie, die kleine, gute, dicke Sophie sah gar nicht in ihr Buch. Sie hatte ein weißes Tüchelchen her vorgezogen und begann erbärmlich zu schluchzen. Natür lich waren wir alle bei ihr. Da war der dunkle Kraus kopf, der im Leben Fritz hieß, und der sich nun auf den Weltmann hinausspielte und die Sache leicht nahm. Da war der blonde Student, der schnell einen Witz erzählte und selbst so sehr darüber lachte, daß alle Fältchen in seinem jungen Gesicht mittanzten; da war sein Bruder, der junge Maler, welcher so große Zukunstspläne hatte, und unser Vetter, ein hübscher, langer Mensch, mit einem Gesicht „wie ein Mamordenkmal", sagte unsere alte Haus näherin Lini, die immer zuhören durfte. Und da waren wir Mädchen hilfsbereit und tröstend, aber innerlich ein bißchen lachend. Und da war schließlich die immer gute, versöhnende Mama, welche den alten Attinghausen lesen mußte, was sie gar nicht gern tat, und auch Fräulein Seraphine bemühte sich, beruhigend zu wirken. Sie meinte nun, die Hedwig „läge" unserer kleinen Sächsin nicht und gab ihr dafür den Geßler, eine Rolle, die dem biederen Charakter unserer jungen Freundin auch ziemlich fern lag. Und so lasen wir endlich weiter, der Dichter zog uns wieder in seinen Bann, und als unser Better, das „Marmordenkmal", die Schlußworte lispelte: „Und frei erklär' ich alle meine Knechtel* — er lispelte sie wirklich, ja, man kann sagen, er ver schluckte sie vollkommen —, da waren wir alle höchst be friedigt. Wir sagten dann noch der alten Lini Adieu, und lch lieh ihr ein frisches Sacktuch, denn das ihrige war naß geweint. „O, es war schön l" sagte sie, während sie ihren dünnen Wintermantel anzog. So schön! Die Fräuleins sind alle ganz wie die Wolter. Und die jungen Herren" — Für die jungen Herren gab es überhaupt keinen Ver gleich. . . . Ja, so war es immer, und so war es auch damals, als ich Geburtstag hatte. Einen jener kleinzahligen Ge burtstage, von denen man noch so gern spricht. Das war im Vorfrühling, und zugleich sckloß an diesem denkwürdigen Abend die „Saison". Es war für dieses Jahr der letzte Leseabend. Weshalb lachst du nun plötzlich so hell, du Geist meiner Jugend? Weißt du es noch, wie wir damals nach dem Abendessen alle beieinander saßen in dem halbdunklen großen Wohnzimmer, wo noch der Lesetisch mit den Büchern unter den herabgesckraubten Gasflammen stand? Wir hatten „Zriny" gelesen, und noch glühten unsere Wangen, und das Blut strömte heiß durch unsere Adern. Vaterland, Freiheit, Ehre, Liebe — die Worte klangen uns in den Ohren und im Herzen. Sie haben damals mit einem so vollen, reinen Ton eingesetzt, daß noch jetzt, durch die große, wilde Lebensnielodie, der Akkord in uns nachhallt . . . So saßen wir beisammen und horchten auf die Stim men in uns und um uns. Die „Alten" — ach, wir nannten sie heimlich so und dachten nicht, wie schnell auch für uns die Zeit dahingehen würde — die saßen drinnen >m Nebenzimmer und sprachen vernünftig über vernünf tige Dinge. Aber wir bürten nicht hin, trotzdem das jedenfalls gut und nützlich gewesen wäre. Wir redeten alle durcheinander. Erst der Krauskopf mit den Feuer augen, und dann der blonde Student mit dem Lächeln des Weltmannes, und dann wir alle zusammen. Und wir lachten und stritten und wurden böse und versöhnten uns. Alles fast in einem Atem. Aber ganz unvermittelt waren wir alle still, denn der junge Weltmann hatte ein Wort in den Trubel geworfen, das uns aufriß: „Was regen wir uns auf?" rief er mit seinem müden Lächeln, das eigentlich sehr interessant war — „lieber Gott, was streiten wir? In zwanzig Jahren haben wir alles vergessen! Alles!" „Was?" rief Fritz, der Feue, köpf, und sprang empört auf. „Was! Vergessen? Unsere Ideale? Unsere Liebe? Pfui!" Der junge Maler schnippte mit den Fingern. „Alles ist vergänglich, aber die Kunst ist ewig", sprach er. Und er sah stolz uno siegesbewußt auf uns herab, denn er meinte heimlich, dem Ewigen doch am nächsten zu stehen. Aber der Krauskopf nahm ihm das Wort übel. „Attes ist ewig!" rief er ungestüm. „Wir, ihr, alles Auch die Stunde ist nicht vergänglich, denn der Mensch hält sie fest in der Erinnerung! Und so wollen wir an einander festhalten und zueinander stehen, trotz allem, was kommen mag. Und heute in zwanzig Jahren kommen wir wieder zusammen, mag uns das Leben auch weit auseinandergeführt haben! Schwört es: Wir kommen zusammen!" Wir legten alle die Hände ineinander und sprachen die Worte nach. Und dann verabredeten wir alles genau: Sie Zeit, den Ort. .. Zwanzig Jahre! Ich sitze allein und denke der Ge nossen meiner Jugend. Denn heute ist der Tag, da wir uns schwuren, zusammenzukommen. Sie denken wohl kaum mehr daran, die Jungen von damals. Aber ich hebe mein Glas und bringe ihnen allen ein Profit: denen, die das Leben forttrieb, und denen, die schon ganz stille geworden sind. Und neben mir sitzt meine Jugend und schüttelt die Locken. — So ist doch ein Gast hier gewesen. IIWWWWWW ! Kleine Nachrichten. Unsere Unterseeboote haben im Seesperrgebiet neuer dings 19000 Tonnen versenkt. Trotzky erklärte in Brcst-Litowsk, Rußland verzichte suf die Verlegung der Verhandlungen an einen neu tralen Ort, da es Deutschlands Berufung auf seine Macht- sttllung als berechtigt anerkennen müsse' Finnland beabsichtigt, möglichst bald die wirtschaft lichen Beziehungen zu Deutschland wieder aufzunehmen. In Brest-Litowsk begannen am Freitag die Kom missionsberatungen zur Erledigung der politischen nnd territorialen Fragen. Die russische Regierung verbat außer der Bezahlung von Kupons und Dividenden den Handel mit Aktien und Obligationrn. In der letzten Vollsitzung in Brest-Litowsk wurde die ukrainische Delegation als bevollmächtigte Vertretung der ukrainischen Republik anerkannt. In Finnland befürchtet man infolge der regierungs feindlichen Haltung der Roten Gardisten und der russi schen Soldchen den Ausbruch neuer Unruhen. Churchill, der englische Munitionsminister, richtete an Amerika das dringende Ersuchen um Hilse angesichts der Bedrohung der Westfront. Die Kohlenausfuhr Deutschlands in die Schweiz im Dezember beträgt nach den bisherigen genauen Feststel lungen 157 364 Tonnen. Der französische Botschafter in Petersburg hat seiner Regierung nahegelegt, ihn infolge der Haltung der Bol- schewiki vorübergehend abzuberufen. wir Band Band Band Roman-Verlags erhielten wir eine Anzahl gebundener Exemplare und empfehlen dieselben angelegentlichst. Vorrätig sind noch folgende Romane: Gebrandmarkt, Mark 2,00. Die Amati der Nestelhoffs, Mark 4,00. Gräfin Hannas Ehe, Mark 2,40. Zwischen Haß und Liebe, Mark 2,30. Herzblut, Mark 2,70. Meisters fWeMWr. Von Meisters Jugendbüchern haben 2: Josef Schwarzmantel. 3: Der Brauer von Gent. 4: Fritz' Reise nach Dessau. Rabenauer MMer folgende vorrätig und empfehlen dieselben pro Band gebunden 1 Mark: Band ! : Das Sonntagskind. Oeleit Dank Ottilie elen reichen Llumenschmuck unü das ebrenäe rur letzten kuhestätte unsern derrliebsten auszusprechen. Lesoncleren Dank 8chwester empfehle ausgemessen. kritr kLotea Kauer kür ikre aukopkemäe Tätigkeit, klerrn Llarrer 8turm kür 8eine tröstenden lVorte am Large. Dir aber, lieben, guten Nutter, ruken wir ein „Kube sankt" uncl „kiabe Dank" in clein kühles Orab naeb. Laben au, den N. januar I9l8. Viv tikflt-auki'nklvn MntkMsbensn. Todesfallshalber ist das Mühlberg ^40 baldmöglichst zu verkaufen. MettW-Wtz s°Ln empfiehlt Fritz Pfotenhauer. Rübenmus, markenfrei, als Brot-Aufstrich, Pfund 55 Pfg., empfiehlt HMWM zur Belieferung werden entgegen genommen. Oswald Klügel, Milchhändler, — — Lübau. — — WM »Illi WM mit hervorragend schönen Brief bogen, Karten und Briefumschlag- süllungen empfiehlt in größter : : Auswahl : : Vüsx Buchbindermstr., am Markt. Wer verkauft Vill» oder m. Garten od. 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