Volltext Seite (XML)
Bctchischen Epoche heran hat er mir wieder Haydn, Mozart und Gluck zum Leben gebracht; von den großen neuern Technikern hinreichende Begriffe gegeben und endlich mich seine eigenen Produktionen fühlen und nachdenken lassen . . Goethe schließt den Brief: „und so fortan!" Die Verbindung des Geschichtlichen und des Gegenwärtigen in Kunstdingen, worin der alte Goethe und der junge Mendelssohn sich trafen — heute würden wir es als Einheit von Historizität und Aktualität bezeichnen - ist ein wichtiger Beleg für die Bewahrung und Weiterführung des Klassischen bei Felix Men delssohn Bartholdy. Hierin finden wir auch den Ursprung seiner Beziehung zu Shakespeare, dessen Werk ihm in früher Jugend durch die Übersetzertat Schlegels und Tiecks, nicht minder jedoch durch das Beispiel Goethes zur eigenen Sache geworden war. Die Einheit von Gewordenem und Neuschöpferischem prägte sich gleichermaßen ästhetisch in Mendelssohns Personalstil aus. Als er 1843 die Schauspielmusik zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum" komponierte, konnte er in die dreizehn Stücke vom Scherzo über Melodramen, Chorlied, Notturno bis zum Finale fast unverändert die Themen hineinnehmen, die er als Siebzehn jähriger in der Konzertouvertüre „Ein Sommernachtstraum", Opus 21, bereits ausgebildet hatte. Shakespeares Schauspiel, in seiner Mischung von Ernst und Heiterkeit, von derbem Komödiantentum und einer Naturbeziehung, deren Erscheinungen uralte Volksphantasie vorgeformt hatte, im Ringen seiner Liebespaare um das Recht auf eigene Partnerwahl gegen höfisch-starre Gesetzlichkeit, und das Spiel im Spiel der Handwerker-Laientruppe hatten viele Musiker zur Komposition heraus gefordert; nennen wir allein Henry Purcell und Georg Friedrich Händel. Nur äußerlich ähnelte der „Sommernachtstraum" den zum Irrationalen tendierenden romantischen Zauberopern des 19. Jahrhunderts. Tiefgehende menschliche Kon flikte, aber auch sehr handfeste plebejische Fröhlichkeit kamen bei dem großen Realisten Shakespeare zu ihrem Recht, In der Tat; nicht die „mondbeglänzte Zaubernacht", die den Blick der deutschen literarischen Romantiker in weltflüchtig mystischem Dunkel gefangen hielt, sondern die in der Renaissance aufgehobene griechische Antike bezeichnet die Wegstrecke, die Goethe dann in der Klassik weiterging und auf die sich auph Mendelssohn begab. Man hat diese Schauspielmusik des vierunddreißigjährigen Mendelssohn mit der „Egmont"-Musik Beethovens verglichen. Auch ihr gedanklicher und poetischer Reichtum prägt sich dem Hörer erst auf, wenn das verbindende Dichterwort den Zusammenhang des Ganzen preisgibt. Auch in diesem Fall hat die Musik nicht bloß illustrierende Funktion. Sie ist in einigen Stücken Vorwegnahme der Hand lung, in anderen deren Nachvollzug und oft Überleitung von einer Szene zur anderen, was sich auch an der mehrfachen Bezeichnung „attacca" zeigt. Immer aber ist sie Ausdruck von Stimmungen, wie nur die Musik sie vermitteln kann. Shakespeare gab bekanntlich in vielen seiner Stücke genau die Stellen an, wo Musik einsetzen, wo ein Lied gesungen werden sollte. Nicht selten schrieb er sogar die Instrumente vor. Er kannte den Bergomasker Tanz mit dem die selbst bewußten Athener - sprich Londoner - Handwerker unter Anführung ihres Meisters Peter Squenz nach Absolvierung ihres komischen Trauerspiels „Pyramus und Tisbe" bei der Hochzeit von Theseus und Hyppolita aufwarten. „Ein Tanz von Rüpeln" heißt es fälschlicherweise in der Schlegelschen „Sommernachts- traum"-übersetzung, obwohl Shakespeares Regieanweisung nur „a dance" und im Text dann ausdrücklich den Bergomasker verlangt. Es handelt sich bei der Bergamasca um einen alten Bauerntanz, dessen Rhythmus, durch Notierung im auftaktlosen Vierviertel und durch achttaktigen Aufbau gekennzeichnet, eine aufbegehrende Protesthaltung verrät. Mendelssohn verzichtete darauf, den alten Tanz folkloristisch nachzuahmen. Statt dessen arbeitete er in seiner eigenen musikalischen Sprache den trotzigen Zug dieser Bauern heraus, die alles andere als Rüpel waren. Daß die Melodien dieser Schauspielmusik, besonders der Hochzeitsmarsch, schon zu ihrer Zeit ähnlich populär waren wie der „Jungfernkranz" in Webers „Freischütz“, spricht wahrlich nicht gegen diese Musik, sondern für eine echte Volkstümlichkeit, der auch geringschätzige Mißdeutungen nichts anzuhaben ver mögen. Die konzertante Aufführung stellt Probleme anderer Art. Sie ergeben sich aus der eingangs erwähnten Proportionalität des Ganzen, aus einem anzustrebenden Verhältnis von Dichtung und Musik, das jetzt genremäßig von der Musik her bestimmt wird. Niemandem wird also einfallen, eine Phalanx von Schauspielern aufmarschieren zu lassen, die nun etwa die Handlung „mit verteilten Rollen" wiedergeben würden. Hier ist vielmehr, umgekehrt, eine Konzentration auf wenige Sprecher am Platze, was zwar manche Handlungsstränge zurücktreten läßt, dafür aber die Atmosphäre erlebbar macht, in der sich Oberon und Titania, Puck und die Elfen, Hermia und Helena, Demetrius und Lysander in ihrer Verstrickung trennen, suchen und endlich finden. Shakespeare selbst gab den Fingerzeig für solche Konzentration, indem er im Kontext die Identität des Vielfältigen, die Einheit im Gegensätzlichen ahnen läßt. Und hier tritt die Musik Felix Mendels sohn Bartholdys voll in ihre Rechte. VORANKÜNDIGUNGEN: Donnerstag, den 12. April 1973, 20.00 Uhr, Kulturpalast Einführungsvortrag 19.00 Uhr Dr. habil. Dieter Härtwig 9. ZYKLUS-KONZERT Dirigent: Geza Oberfrank, VR Ungarn Solistin: Annelies Burmeister, Berlin, Alt Werke von Brahms, Reger und Mendelssohn Bartholdy Freitag, den 13. April 1973, 20.00 Uhr, Kulturpalast Einführungsvortrag 19.00 Uhr Dr. habil. Dieter Härtwig 9. KONZERT IM ANRECHT C Dirigent: Geza Oberfrank, VR Ungarn Solistin: Annelies Burmeister, Berlin, Alt Werke von Brahms, Reger und Mendelssohn Bartholdy Sonnabend, den 21., und Sonntag, den 22. April 1973, jeweils 20.00 Uhr, Kulturpalast 10. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Günther Herbig Solistin: Cecile Ousset, Frankreich, Klavier Werke von Haydn, Chopin und Beethoven Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1972/73 — Chefdirigent: Günther Herb'g Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Die Einführung in das Klavierkonzert von Reger schrieb unser Praktikant Andreas Glöckner vom Fachbereich Musikwissenschaft der Karl-Marx-Universität Leipzig und in die Sommer nachtstraum-Musik von Mendelssohn Bartholdy Frau Dr. Johanna Rudolph, Berlin Druck: Polydruck Radeberg, PA Pirna - 111-25-12 2,85 ItG 009-32-73 k» H i I H a rr° om i 8. ZYKLUS-KONZERT UND 8. KONZERT IM ANRECHT C 1972/73