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Rabenauer Anzeiger : 11.09.1917
- Erscheinungsdatum
- 1917-09-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Deutsches Stuhlbaumuseum Rabenau
- Digitalisat
- Deutsches Stuhlbaumuseum Rabenau
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id178001192X-191709118
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id178001192X-19170911
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-178001192X-19170911
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Deutschen Stuhlbaumuseums Rabenau
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Rabenauer Anzeiger
-
Jahr
1917
-
Monat
1917-09
- Tag 1917-09-11
-
Monat
1917-09
-
Jahr
1917
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Die Einnahme von Riga. Mit Riga ist eine uralte deutsche Stabt mit dem alter- tümlichen Ordensschloß Ler Großmeister von Livland in unsere Hände gefallen. Im Jahre 1201 wurde die Stadt vom Erzbischof Albrecht von Buxhövden gegründet, nachdem schon fünfzig Jahre vorher Bremer Seefahrer eine Nieder lassung dort an oer Dünamündung gegründet hatten. Riga blühte zu einer mächtigen Handelsstadt auf und bildete die Hochburg abendländischer Kultur im Osten, der deutsche Orden machte sie zu einer echt deutschen Stadt. Wechselvoll gestalteten sich die Schicksale der Stadt. Im Jahre 1842 mußte sie sich dem König Siegmund von Polen unterwerfen, 1621 wurde Riga von dem Schwedenkönig Gustav Adolf erobert, 1666 von den Russen vergeblich belagert, 1700 durch die Sachsen, denen gegenüber sie der schwedische Statthalter Dahlberg tapfer behauptete. Nach Karls des Zwölften Niederlage bei Poltawa kam die Stadt im Jahre 1710 nach hartnäckiger Verteidung unter russische Bot mäßigkeit. An dem Bombardement Rigas im Jahre 1812 Lurch die Franzosen mußten sich auch Preußen beteiligen, die im Dienste Napoleons standen. Riga war früher eine starke Seefestung; noch in der Mitte der fünfziger Jahre wurden seine Befestigungsanlagen verstärkt, im Jahre 1860 jedoch abgebrochen. Infolge des Abbruchs der Wälle und Mauern erhielt Riga Lust und Freiheit zur Ausdehnung. Blühende Vorstädte entstanden und auch die in den Wällen eingezwängt gewesene Altstadt, die von einer Feuersbrunst eingeäschert war, erwachte zu neuem Leben. Aber je reicher Rigas Handel dank des deutschen Einflusses erblühte, um so stärker wurde der Druck zur Rüssifizierung der alten deutschen Kultur« und Handelsstätte. Die russische Städte ordnung, russische Sprache in Gericht, Schule und Verwal tung wurden gewaltsam eingeführt. Ihrem innersten Wesen nach blieb die Stadt, die zu Beginn des Krieges etwa eine halbe Million Einwohner zählte, von denen inzwischen 200 000 in das Innere Rußlands abgewandert sein mögen, deutsch. Die Einnahme. Bei der Eroberung Kurlands im Frühjahr 1915 waren die deutschen Truppen bis zur Aa und Düna vorgedrungen, ohne diese Abschnitte mit stärkeren Kräften zu überschreiten. Das der großen Hafenstadt im Westen vorgelagerte Sumpf gelände erschwerte militärische Operationen in hohem Maße. Wenn jetzt der große Wurf in wenigen Tagen gelang, so darf man nicht annehmen, daß Riga kampf- und mühelos in die Hand unserer Feldgrauen fiel. Im Gegenteil; durch unsere erfolgreichen Operationen an Ler Aa waren Lie Russen auf einen deutschen Vorstoß gegen Riga vorbereitet worden und trafen die ihnen möglichen Abmehrmaß'nahmen. Unserer überlegenen Führung und der unüberbietbaren Tapferkeit unserer heldenhaften Truppen waren sie nicht ge wachsen. Bei üxküll, 25 Kilometer südöstlich von Riga, überschritten deutsche Divisionen nach sorgsamer Vorbereitung und unter starker Artillerie- und Minenwerferwirkung den dort 600 Meter breiten Strom und setzten sich nach kurzem Kampf in Len Besitz des Nordufers. Die im Rücken und in der Flanke bedrohten russischen Truppen zum Schutze Rigas gerieten in Gefahr, abgeschnitten zu werden und suchten in wilder Flucht ihr Heil, wobei sie wie gewöhnlich Vorräte und Gehöfte, soweit sie es in der kopflosen Hetz jagd nur irgend vermochten, in Asche legten. Am Kleinen Jägel, der etwa 10 Kilometer weiter nach Nordosten parallel der Düna verläuft, suchen die Russen zunächst erneuten Widerstand zu leisten. Den Besitz Rigas konnte uns die geflüchtete 12. russische Armee von dort aus nicht streitig machen. Die Bedeutung dos Erfolges liegt zunächst darin, daß wir durch die Einnahme Rigas in den Besitz der großartigen Hilfsmittel des wichtigen Handels und Verkehrsmittelpunkts der russischen Ostseeprovinzen ge langt sind. Mögen die Russen mancherlei während der letzten Kriegsmonate nach dem Innern verlegt haben; es bleibt immer noch vieles übrig, was unserer Heeresleitung willkommen sein wird, zumal die Russen bei der Plötzlichkeit Les deutschen Anrückens keine Zeit zu Brandlegungen größeren Umfanges mehr gehabt haben und zufrieden waren, durch eilige Flucht das nackte Leben zu retten. Auch bas um liegende Gelände und besonders die Küste mit ihren für die Kriegführung zur See wichtigen Stützpunkten wird in unsere Hände fallen, unS eine wertvolle Basis zur Seeherr« ilbast in der Ostiee geliefert haben. Die Insel Olel, auf der sich die wichtigsten russischen Megerstaiionen befänden, ist Riga unmittelbar vorgelagert. Die russische Dünafront ist zusammengebrochen. Höher aber noch als alle diese mili tärischen Erfolge steht die politische und militärische Bedeu tung der Einnahme von Riga. Während wir die gewaltigen Angriffe im Westen abzuwehren hatten, während Cadorna seine Scharen gegen unsere Verbündeten ergebnislos antrieb, während Sarrail sich aufs neue rührte, und während alK diese feindlichen Unternehmungen ergebnislos verliefen und nur die ungeheuren Verluste der Gegner erhöhten, lieferten wir mit dem Dreitagewerk der Eroberung Rigas einen so leuchtenden Beweis unserer Kraft und unseres Siegeswillens, daß unsere Feinde mit Blindheit geschlagen sein müssen, wenn sie daraus jetzt im vierten Kriegsjahre Nicht endlich die Nutzanwendung ziehen. Rundschau. „Ein neuer Markstein deutscher Kraft." Der Kaiser richtete an die Kaiserin folgendes Tele gramm: Generalfeldmarschall Prinz Leopold von Bayern meldet mir soeben die Einnahme von Riga durch unsere Truppen. Ein neuer Markstein deutscher Kraft und unbe irrten Siegeswillens! Gott helfe weiter! Ferner richtete der Kaiser an den Generalfeldmarschall Prinz Leopold von Bayern folgendes Telegramm: Dir und der achten Armee spreche ich aus Anlaß der Einnahme von Riga meinen und des Vaterlandes Glückwunsch und Dank aus. Weit sichtige Führung und stahlharter Wille zum Sieg verbürgten den schönen Erfolg. Weiter mit Gott! Der Kanzler in Belgien und an der Westfront. Der Reichskanzler ist von einer fünftägigen Reise nach Belgien und an die Westfront nach Berlin zurückgekehrt. Der Zweck der Reise war persönliche Information des Reichskanzlers über die Verhältnisse in Belgien und die Stimmung an der Front. In Belgien nahm der Reichs kanzler Gelegenheit über eine Reihe von Fragen mit dem Generalgouverneur zu beraten und mit den Behörden in Verbindung zu treten. Wie bereits mitgeteilt worden ist, empfing er auf dieser Reise auch den Rat von Flandern und erklärte ihm, daß durch den Kanzlerwechsel eine Ände rung unserer Flamenpolitik nicht eingetreten sei. An der Westfront besuchte der Reichskanzler die Führer der Heeres gruppen und hatte Besprechungen mit dem Deutschen Kron prinzen und dem Kronprinzen von Bayern. Durch Besuche bei den Truppen an der Front und durch Besichtigung der wirtschaftlichen Einrichtungen in dem besetzten Gebiete gewann er ein Bild von der gewaltigen Leistungsfähigkeit unseres nach wie vor zu allen Opfern für die Verteidigung Deutschlands freudig bereiten Heeres. Lev internationale Gewerkschaftskongvetz ge sichert. Die Veranstaltung Les internationalen Gewerk schaftskongresses ist > gesichert. Von den französischen, eng lischen, italienischen und deutschen Gewerkschaften liegen bereits Zustimmungserklärungen vor. Auch die Gewerk schaften der neutralen Staaten haben die Einladung ange nommen. Der Kongreß findet am 7., 8. und 9. Oktober im Volkshause zu Bern statt und wird von dem Berner Polizeidirektor Oskar Schneeberger geleitet. Kampf zwischen U-Böot und Luftschiff, unter den vielen Abwehrmitteln, welche die Engländer gegen Lie immer wachsende U-Bootsgefahr im Sperrgebiet verwenden, werden neuerdings häufiger Luftschiffe beobachtet, die teils nach dem Parseval-, teils nach dem Zeppelin-Schiff gebaut sind, aber im allgemeinen nur eine geringe Geschwindigkeit entwickeln. Ihre hauptsächliche Aufgabe besteht darin, U-Boote aufzuspüren und ihre Anwesenheit drahtlos weiter zumelden. Kürzlich wagte sich ein englisches Luftschiff in ziemliche Nähe eines unserer im Englischen Kanal arbei tenden U-Boote, vielleicht mit der Absicht, einige Bomben herunterzuwerfen. Von diesem Plan stand es aber schleu nigst ab, als das Geschütz Les Unterseebootes ihm einige Lchrappnellsalven auf den breiten Stücken brannte. Es machte schleunigst Kehrt und entfloh mit höchster Fahrt nach der englischen Küste zu. Mit unseren U-Booten ist eben nicht gut Kirschen essen. Wieder einmal eine plumpe englische Verleum dung. Vor dem Londoner Prisengericht hat der englische Aaviiän Maxwell Anderlon behauptet, daß dis deutschen ' a-Boots-Besatzungen tarn einem Gesetz, das seit Februar 1917 in Kraft sei, für jedes versenkte neutrale oder feind liche Schiff 16 v. H., für jedes in den Hafen eingebrachte Schiff 50 v. H. des Wertes als Prisengeld erhielten. Wenn die Angaben des englischen Kapitäns nicht zum Zwecke der Verhetzung und Verleumdung erfunden sind, dann ist nur anzunehmen, daß die englische Regierung, von der Anderson >ie Nachricht angeblich bekommen haben will, sich hat täu- chen lassen. In Deutschland gibt es weder ein solches Ge- etz noch Prisengelder irgendwelcher Art. Das Leitmotiv ür das Handeln der deutschen U-Boots-Besatzungen ist Er« üllung ihrer Dienstpflicht und Heroismus, nicht aber per- önliches und egoistisches Juteresse. England ist das einzige Zand, das in diesem Kriege bisher Kopf« und Prisengelder gezahlt hat. Die begeisterten Griechen. Das tapfere Hellenen« oolk, das sich so lange wacker gegen den Druck der Entente gewehrt hat, ist nun auch auf die Seite unserer Feinde ge« zwungen worden, und seine Seeleute müssen für die Eng länder fahren, wenn anders sie nicht verhungern wollen. Da ist es verständlich, daß die armen Teufel die Versenkung ihres Schiffes manchmal mehr als eine gute Fügung des Schicksals betrachten, wie als eine böse Tat dec Deutschen. Das kam vor einiger Zeit deutlich zum Ausdruck. Nachdem in der Straße van Gibraltar ein griechischer Dampfer ver senkt worden war und das betreffende U-Boot sich den Rettungsbooten näherte, um den Namen des Schiffes fest« mstellen, nahmen die Griechen alle ihre Mützen ab und brachten unter lauten begeisterten Zurufen dem deutschen Unterseeboot eine Kundgebung dar. Eigentlich konnten einem die Burschen leid tun, aber zum Glück war die spa nische Küste nicht weit entfernt. Sie werden bei den ritter lichen Spaniern vermutlich ein besseres Los eingetauscht haben gegen die Unterdrückungen in ihrer durch Venizelos an die Entente verschacherten Heimat. Die Friedensbedingunge» deS Papstes? Wie ein Londoner Blatt aus Washington berichtet, geht dort in politischen Kreisen das Gerücht um, daß der Papst die Ab sicht habe, den Frieden auf folgender Grundlage vorzu schlagen: Wiederherstellung der Ünabhängigheit Belgiens, Bewilligung an Deutschland, in Antwerpen eine Floltenbasis zu errichten, Selbständigkeiiserklärung Lothringens, das Elsaß bleibt deutsch, Triest wird Freihafen, der Friedenskongreß regelt die Balkanfrage. Nach Berichten italienischer Blätter zu schließen, hat man im Vatikan noch nicht jede Hoffnun : auf eine dem Friedenswunsch des Heiligen Vaters Rechnung tragende Antwort des Vierverbandes aufgegeben. In den maßgebenden katholischen Kreisen herrsche zum Teil eine skeptische, zum Teil eine optimistische Auffassung vor. Die Antwort des Vierverbandes und der Zentralmächte scheine noch einige Zeit auf sich warten zu lassen. Die Offensiopläne der Entente. Wenn die feindlichen und neutralen Völker ein etwas besseres Gedächtnis hätten, würden sie längst jedes Schwan- lens überhoben sein. Jeder Offensioplan der Entente hat dasselbe Schicksal. Mit vielem Lärm wird er als etwas ganz Außerordentliches angekündigt, und die Fanfarew in den Zeitungsspalten werden zu Lodgesängen der Minister. Dann kommt eine Frist, über der ein großes Fragezeichen teht, und endlich heißt es, so wie das große Publikum es ich vorstellt, sei es nicht gemeint gewesen, das Ziel des filanes sei erreicht. Schluß, bis wieder etwas anderes kommt. Höchstens findet noch etwas Gemurmel über den Engländer statt, der seine Verbündeten bluten ließ, sich aber bei Seite hielt. So geht es einmal wie immer und die Pariser haben sogar den Spott vergessen, mit dem sie 1870-71 den großen Plan des Generals Trochu, des Ge neralissimus in Paris, bewitzelt hatten. Damals hieß es in einem Gassenhauer: „Das ist der große Trochu-Plan, es kann ihn nur kein Mensch verstahn. Und als der schöne große Plan ins Reine geschrieben war, da trug ihn als sein Testament Herr Trochu zum Notar. So endete der seine Plan, weil niemand konnte ihn verstahn". So ist's auch heute, aber schon seit mehreren Jahren. König Konstantin gegen Venizelos. König Konstantin ließ nach schweizerischen Meldungen folgende Erklärung der Öffentlichkeit mitteilen: „Aus dem Exposee, daß das gegenwärtige Ministerium vor der neulich in Athen einberufenen Kammer über die von Griechenland während des europäischen Krieges befolgte Politik entwickelt bat. erlebe ich. — weniastens soweit ich aus den bis jetzt Aus eigener Kmst. Roman von H. Oehmke. „Künstlerin werden, ja das möchte sie, wie Ler Herr Papa.... und nachher die Familie im Elend sitzen lassen, die hungrigen Gören Len Verwandten auf den Hals jagen" - La blitzte Empörung aus Len sanften Augen, und ernst erwiderte Manche: „Ich verbiete dir, meinen Vater zu schmähen. Wagst Lu es noch ein einziges Mal, so sage ich der Tante, daß ich ein Haus verlassen muß, in Sem Las Heiligste, was ich bo- sitze, das Andenken an meine Eltern, an meine Mutter, die Schwester der deinigen, mit Füßen getreten wird." Die Festigkeit, mit der das sonst so gefügige Mädchen sprach, verfehlte ihre Wirkung nicht. Mit einem giftigen Blick ging Gesine in Las andere Zimmer. Als Blanche, Lie vor Aufregung bebte, die Küchen tür öffnete, prallte sie gegen Lie umfangreiche Gestalt der Aufwärterin, die Las Ohr dicht ans Schlüsselloch gelegt, natürlich jedes Wort erhorcht hatte. „Js ja' n Unsinn, Fräulein Blanche," wehrte sie heftig ab, als das junge Mädchen ihr zu helfen versuchte. „Hab mein Lebdage noch meine Küche alleene rsene jekriegt. Wär nich sehr reputierlich von mir, wenn ick't nich könnte. Js ja man blos wieder so'n Stück Bosheit vont Fräulein Je- sine. Se wollte Se eent auswischen, det war Lie Sachs. Ss hat nu mal'n Pik uff Ihnen Fräulein Blanche; se ärgert sich, det se nich so'ne jlatte hübsche Visasche hat, und so'ns feine plusterischen Haare! Und wenn Sie se nu ooch noch Len Liebsten wegfischen — da wird se Woll janz aus de Pelle jehn." Blanche, die das Kaffeegeschirr ordnete, rief halb är gerlich, halb belustigt: „Was schwatzen Sie da wieder für dummes Zeug, Fahrken? Ich — meiner Cousine den Liebsten wegfischen? Du liebe Zeit! Den Schönsten, den dis Erde trägt, gönne ich ihr. Leider ist nicht die geringste Aussicht vorhanden! Denn Ler alte Sanitätsrat zählt doch wohl nicht mehr mit, Fahrken?" ..Justement! Jrade der is't, um den se sich bat." ' „Wer?" fragte Blanche erstaunt. „Ach wat, Fräulein," sagte die Alte ärgerlich, „Lun Se doch nich, als wenn Se von'n hellichten Dag nix wüßten! Meenen Se denn, det der so oft de Treps-vn ruffpustet, bloß um de Frau Tante nach'n Puls zu fühlen, oder Fräulein Jefines Jekeife anzuhören? Hat ja hier nix zu suchen — is ja Keener nich marode — wenn er nich seine Mfichtes hat." „Sanitätsrat Waldow?" rief Blanche ganz starr vor Verwunderung. „Fahrken, Fahrken, was haben Sie für Einfälle! Der alte Herr!" Blanche lachte. „Wat heeßt alt?" rief die Aufwärterin verweisend. „Js'n Mann in die besten Jahre, so um Fünfzig 'rum wird er sind. Js doch vor'n Mann keen Alter! Ick kenn'n all von die Zeit her, wo de erste Frau gestorben war. 'Ne pik- feine Wirtschaft, sage ick Sie, allens jut bei'n ander. 'Ne bessere Partie jibt's ja jarnich." „Und Sie meinen, Fahrken, Laß Sanitätsrat Waldow Gesine den Hof macht? Ich kann mir nur nicht denken, Laß er sich für sie interessiert!" „Det er ihr nachloofen dut, jlobe ick ooch nich. Wer Lei Fräulein Jefine. Lie hat'n sich in'n Kovv jeiedt. Frau Sann tätsrat zu werden. Meenen Se denn, se puddelt sonst dei janzen jeschlagenen Dag vor'n Spiegel 'rum, und kooft fick eene Brennschere uf de annere? Und det et nu allens nischl hilft, det er doch man bloß Oogen vor Ihnen hat, det kletter! se in de Krone und legt ss det Jift uff die Zunge. Wen« ick Ihnen wat raten derf, Fräul'n Blanche: — find Se nick so freundlich mit den sllen Herrn, La haben Se bessere Tage hier." Frau Fahren nahm eine mächtige Bürste, steckte sie in einen großen Zuber und bearbeitete alles, was sich dazu hergab, mit Sand, Seife und wahren Wasserfluten. »Ich kann es nicht glauben," sprach Blanche mehr für sich. „Gesine — lieben — heiraten? In dem Alter . . ." „Na, se is immer man erst in de Dreißig. Warum soll se da nich noch Jefühle haben? Ja, ja, sehen Se mir man nich so an. Wat meenen Se denn, det Ville Putzen und Reenemachen und all det Jewese und Jedue, det det nischt zu bedeuten Kat?"" _ Blanche hatte inzwischen die Küchenschürze mit einem Weißen Lätzchen vertauscht, um den Kaffee zu servieren. „Nu man Kopp' hoch, Fräul'n Blanche. Und wenn Ihnen de beeden da drinnen ooch so anblaffen, dann halten Se man bloß det Zerwiesse feste." Als Blanche das Wohnzimmer betrat, empfing sie all seitiges Stillschweigen. Frau Bartmuß saß in ihrem Sorgenstuhl und las. Therese, die älteste Tochter, Lissin einem Wäschegeschäft an- gestellt war, hatte bereits den Hut auf dem Kopf. Gesine nähte mächtig große Namenszüge in seidigglänzenLen Da mast, deren wundervoll arabeskierte Zeichnungen Blanches Künstlerhand entworfen hatte. Auf den eingesunkenen Wangen der Erzürnten brannten noch zwei bläulich-rote Flecke, was sie gerade nicht anziehender machte. Ohne die verbitterten Gesichter der drei Insassen bot das Zimmer den Eindruck trautester Wohnlichkeit. Eines nur fehlte: jener unbeschreibliche Hauch, jener Zauber, Len die Zufriedenheit, der Friede, auch über die ärmlichste Hütte zu verbreiten weiß. Auf den wächsernen Gesichtern der drei Frauen lag der gleiche Zug von Grämlichkeit. Während bei der Mutters und der älteren Tochter Kleidung und Haartkacht ihren Jahren angemessen waren, bekundete Gesines Außere die ängstliche Beflissenheit, die längst entschwundene Jugend zurückzuerobern. Das dünne Haar war hoch aufgetürmt; zahllose Falbeln, Rüschen und Aufschläge dienten dazu, den Mangel jeglicher Körperrundung zu decken. Therese in ihrem einfachen Krimmercape, eine kleine Samtkapotte auf dem leicht ergrauten Scheitel, machte einen vorteilhafteren Eindruck. Sie schien überhaupt die gutmütigste der drei an Blanche „Mutterstelle vertreten den" Verwandten zu sein. Der mitleidige Blick, mit dem sie das blasse Gesicht der jungen Cousine streifte, bewies dies. In ihrer anmutigen Geschäftigkeit bot Blanche einen viel zu reizvollen Anblick, als daß das Herz Gesines sich nicht in Neid zusammenkrampfen sollte. Mit selbstquäle rischer Scheelsucht musterte sie die herrlich ausblühende Ge stalt, Lie rüden Schultern, den weißen Hals, den das zier liche Köpfchen trug., ' Fortsetzung folgt.
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