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ZUR EINFÜHRUNG Paul Hindemiths Sinfonie „Mathis der Maler" verdankt ihr Entstehen den Beziehungen zwischen Musik und bildenden Künsten, nämlich den Gemälden des berühmten elsässischen Isenheimer Altars jenes vermutlich mit einem Meister Mathis Nithart identischen Matthias Grünewald, der um 1470 in der Maingegend geboren wurde und 1528 als Maler und Wasserkunstmeister des Rats der Stadt Halle an der Saale gestorben ist. In den drei Sätzen seines Orchesterwerkes, die drei Bildtafeln des jetzt im Museum zu Colmar befindlichen Altarwerkes entsprechen, verbindet Hindemith eine außerordentliche starke optische Bildkraft, die indessen nichts mit naturalistischer Nachahmung zu schaffen hat, mit einer gleich starken musikalischen Erlebnis- und Ausdrucks fähigkeit. Die Sinfoniesätze sind Ausschnitte — zum Teil in instrumentaler Umformung - aus Hindemiths Oper „Mathis der Maler“. In diesem 1932 bis 1934 entstandenen Werk entlud sich die Feindschaft des Komponisten gegen das Naziregime, das ihn kurz danach in die Emigration trieb. Seine Parallelen waren sehr deutlich. So entsprach eine Szene mit der Verbrennung lutherischer Schriften durch die Päpstlichen haargenau jenem schändlichen Vorgang der Vernichtung fortschritt licher Bücher vor der Berliner Staatsoper am 10. Mai 1933. Die braunen Macht haber verstanden den in künstlerische Form gebrachten Protest des Komponisten gegen ihre Kulturbarbarei sehr wohl und untersagten die Aufführung der Oper. Sie kam erst 1938 in Zürich heraus. In Matthias Grünewald versinnbildlichte Hindemith, der sein eigener Textdichter war, das Verhältnis zwischen dem schaffenden Künstler, dem Volk und der Kunstanordnungen erteilenden Obrig keit. Jahrelang hatte Hindemith — sehr im Gegensatz zu dem sich bewußt von der Menge absondernden Arnold Schönberg — nach neuen Bindungen zwischen Künstler und Hörer gesucht und sie in zahlreichen Jugendmusiken und Lehr stücken zu erreichen geglaubt. Deshalb ließen die Vorgänge Anfang der drei ßiger Jahre in ihm eine große Enttäuschung über die den braunen Rattenfängern widerspruchslos ins Netz gehenden Menschen aufkeimen. Sein Mathis findet trotz seiner Sympathien mit dem deutschen Bauernkrieg nicht zum wahren Volk zurück, sondern er resigniert in der Einsamkeit. Diese Haltung eines Künstlers entspricht Hindemiths eigener Entwicklung. Er hatte in den zwanziger Jahren bedauerlicherweise nicht den Anschluß an die wirklich fortschrittlichen Kräfte gefunden und verkündigte deshalb nach den Wirrsalen des 2. Weltkrieges in einer weiteren Künstleroper, die den Astronomen Johannes Kepler in den Mittel punkt stellt und „Harmonie der Welt“ heißt, noch deutlicher als in „Mathis der Maler" die Ausweglosigkeit des heutigen bürgerlichen Künstlers. Der 1. Satz der Sinfonie „Mathis der Maler" heißt „Engelkonzert" und vertritt in der Oper die Ouvertüre. Ihn durchzieht als Cantus firmus das mittelalterliche Lied „Es sungen drei Engel ein süßen Gesang". Der zu Beginn seiner komposi torischen Selbständigkeit äußerst ungebärdige und klanglich oft hemmungslos experimentierende Hindemith hatte um 1930 die belebenden Kräfte des deut schen Volksliedes neu erkannt, und gerade in der Oper „Mathis der Maler“ spielen die alten kämpferischen Weisen der Reformationszeit eine große Rolle. Drei scharf geschnittene Themen werden in diesem Satz geistvoll kontrapunktiert und am Schluß mit dem Engellied verbunden, so daß ein greifbar deutliches Abbild musizierender Gruppen entsteht, eine klingende Parallele zu der in ungeheurer Leuchtkraft strahlenden Darstellung der inbrünstig auf Arm- und Beinviolen spielenden Engel des Matthias Grünewald. Der 2. Satz („Grablegung") ist eine der erschütterndsten Trauermusiken, die wir kennen. Wer in den zwanziger Jahren geneigt war, Hindemith nur als Verneiner des Bestehenden und als musikalischen Ironiker anzusehen, mußte erstaunt und beglückt sein über die menschliche Wandlung, die sich im reifenden Künstler vollzogen hatte. Stoßweise verhaltene Rhythmen und mächtige melodische Ergüsse zeigen gerade in diesem Satz, daß Hindemith, der ursprüngliche Ver ächter jeglichen romantischen Gefühls, die echten Werte innerlicher emotionaler Spannungen wiedererkannt und ihnen klingende Gestalt gegeben hat. Dem 3. Satz der Sinfonie („Versuchung des heiligen Antonius) liegt das vielleicht eindrucksstärkste Bild des Isenheimer Altars zugrunde. Mit expressionistischer Grausigkeit stellt Meister Mathis schaurige, aus Tier- und Menschenleibern gemengte Höllengestalten dar, die den in der Oper mit dem Heiligen identifi zierten Mathis im Schlaf bedrängen. („Dein ärgster Feind sitzt in dir selbst . . . Wir plagen dich mit deines eigenen Abgrunds Bildern", heißt es in der Dichtung.) Vom ungemein plastisch wirkenden Streichermelisma des Anfangs reichen die gespenstischen Visionen dieses Satzes bis zum Teufelsgelächter und zu ekstati schen Klanghöhepunkten. Der Höllenspuk wird schließlich besiegt durch eine kraftvoll optimistische, aus dem Gregorianischen Gesang abgeleitete Melodik. So klingt auch dieses sinfonische Werk unseres Jahrhunderts, wie so viele Werke der Weltliteratur, aus mit dem Grundgedanken „Durch Nacht zum Licht". Johannes Brahms schrieb sein einziges, im Jahre 1878 komponiertes Violinkonzert D-Dur o p. 7 7 für seinen langjährigen Freund, den berühmten Geiger Joseph Joachim, der ihm auch bei der Ausarbeitung der Solostimme in violintechnischen Fragen ratend zur Seite stand (ohne daß Brahms allerdings auf alle Änderungsvorschläge Joachims eingegangen wäre). „Nun bin ich zufrieden, wenn Du ein Wort sagst und vielleicht einige hineinschreibst: schwer, unbequem, unmöglich usw.", können wir in einem Brief vom August 1878 an Joachim lesen, den der Komponist ihm zusammen mit der zu begutachtenden Violinstimme schickte. In seiner Antwort darauf bemerkte der Geiger, daß „das meiste . . . herauszukriegen" und ein Teil sogar „recht originell violinmäßig" sei. Bereits am Neujahrstag des folgenden Jahres wurde das in einer glücklichen, fruchtbaren Schaffensperiode entstandene Werk (auch die 2. Sinfonie D-Dur und das 2. Klavierkonzert B-Dur stammen aus dieser Zeit und zeigen manche dem Violinkonzert verwandte Züge) mit Joachim als Solisten unter Brahms’ Lei tung in Leipzig uraufgeführt. Das Konzert, das sich in bezug auf Aussage, Form und Anlage außerordentlich vom Typ des zeitgenössischen Virtuosenkonzertes unterscheidet, war vom Komponisten zu,erst viersätzig geplant worden. Da Brahms aber „über Adagio und Scherzo gestolpert ist", komponierte er den Adagio-Satz neu und ließ die beiden ursprünglichen Mittelsätze wegfallen. Trotzdem ist die ausgesprochen sinfonische Anlage des Konzertes unverkennbar. Schon Clara Schumann äußerte nach dem Kennenlernen des ersten Satzes, „daß es ein Konzert ist, wo sich das Orchester mit dem Spieler ganz und gar ver schmilzt". Niemals ist die virtuose Violintechnik hier Selbstzweck, wie bei so vielen zeitgenössischen Solokonzerten, sondern in vertiefter, gehaltvoller Gestal tung stets als dienendes Glied in den sinfonischen Ablauf eingefügt, wobei (für Brahms' Zeit ganz neue) große Aufgaben an den Solisten gestellt werden. In seiner größtenteils lyrisch heiteren, innig-warmen Grundstimmung, seiner klas sisch ausgewogenen Form gehört das Brahms’sche Violinkonzert zu den schön sten, vollendetsten und berühmtesten Werken dieser Gattung. Das weiche, in ruhigen D-Dur-Dreiklängen auf- und absteigende Hauptthema des großangelegten ersten Satzes (Allegro non troppo) erklingt eingangs in Bratschen, Violoncelli, Fagotten und Hörnern und findet seine Weiterführung in einer sehnsüchtigen Oboenmelodie. In der ausgedehnten sinfonischen Orchester- Einleitung werden noch weitere Nebengedanken entwickelt. Darauf setzt nach einem rhythmisch scharf betonten, später vom Solisten erweiterten Seitenthema kadenzartig das Soloinstrument ein, in gleichsam improvisatorischen Umspie lungen zum Hauptthema findend. Nachdem auch das eigentliche zweite, sehr