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Sonntag. Nr. 242. IS. Oktober I8S4. -Leipzig. Die Zeitung erscheint nm Ausnahme de- Montaas täglich und wird Nachmittag« 4 Uhr aus- gegeben. Dtutscht Mgtmim ZcitMg. gtrei« für das Viertel jahr I'/, Thlr.; jede ein zelne Nummer 2 Ngr. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Zu beziehen durch aiie Postämter de« In- und Auslandes, sowicdurchdir Erpedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). BnsertionSfledühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Preußens Entschluß. — Leipzig, 11. Oct. Es ist wol begreiflich, was die Berichte aus Berlin melden, daß in den officicllen Kreisen daselbst die jüngste österreichi sche Note einen tiefen und nicht gerade angenehmen Eindruck gemacht hat. Weniger begreiflich scheint und ist dennoch leider wol wahr, was dieselben Gerichte hinzufügcn: daß an eine Aenderung der preußischen Politik trotz dem im Augenblick noch immer nicht zu denken sei. Dem Auslande, welches, mit den innern Verhältnissen Preußens we nig vertraut, an dessen auswärtige Politik lediglich denselben Maßstab an- legt wie an die irgendeiner andern Großmacht, muß cs allerdings rein unerklärlich erscheinen, wie ein Staat solchen Ranges und in solcher Stel lung, bei so vorthcilverheißenden und so wenig gefahrdrohenden Umständen, sich so schwer zu dem entscheidenden Schritt entschließen könne, den seine eigenen Interessen, die Stimme seines Volks, der laute Ruf der deut schen Nation, die öffentliche Meinung ganz Europas dringend von ihm fodern. Daher die maßlosen Angriffe, namentlich der englischen Blätter, gegen Preußen, das sie der Schwäche, der Muthlosigkeit, der Verblendung über sein wahres Interesse beschuldigen. Zn der Sache haben sie Recht, in Bezug auf die Beweggründe seines Handelns thun sie aber, wie uns scheint, Preußen Unrecht. Daß Furcht vor Rußland an Preußens Zurück haltung schuld sei^ mögen wir nicht glauben. Daß Preußen nicht begrei fen sollte, welche Gefahren sein längeres Zaudern für seine Großmachts stellung habe, welche Vortheile dagegen ein entschlossenes Auftreten ihm in Aussicht stellen würde, läßt sich kaum denken. Selbst traditionelle Sym pathien und Antipathien, verwandtschaftliche Rücksichten und religiöse Stim mungen der leitenden Persönlichkeiten erklären nicht ausreichend eine Politik, die, vom Standpunkt der äußern Machtverhältnisse des Landes, nicht mehr als Alles gegen sich hat. Etwas Anderes muß es sein, was Preußen in dieser Bahn festhält. Wer die preußischen und die deutschen Zustände eini germaßen kennt, wird dieses Andere unschwer finden. Für Preußen, das ist nicht zu leugnen, hat ein Frontemachcn gegen Rußland, ein entschlosse nes Eintreten in die Reihen seiner Gegner noch eine ganz andere, eine viel mehr principielle Bedeutung, als für irgendeine der übrigen mitbetheiligtcn Mächte, Oesterreich nicht ausgenommen. Eine entschieden antirussische, in Lhaten documentirte Haltung Preußens würde dasselbe sofort nicht blos mit den lebhaftesten Sympathien des ganzen Deutschland (diese fallen unter der gleichen Voraussetzung auch Oesterreich zu), sondern mit solchen Wünschen und Bestrebungen in Berührung bringen, deren Gegenstand und Mittelpunkt, den gegebenen Verhältnissen nach, nun einmal nur Preußen, nicht Oesterreich sein kann. Um cs mit Einem Worte zu sagen: eine Kriegserklärung Preußens gegen Rußland hätte beinahe unausbleiblich die Bedeutung und die Wirkung eines Aufrufs an die nationale Partei in Deutschland zur Wiederaufnahme ihrer Ideen, ihrer Plane, ihrer Hoff nungen auf Preußen. Eine solche Aussicht, sollte man meinen, möchte für die Regierung eines Staats wie Preußen weit eher etwas Anfeucrndes als Absprechendes haben; allein auf das gegenwärtig dort herrschende System wirkt sie offenbar beängstigend und trägt viel dazu bei, demselben den Entschluß, den man so lange schon von ihm erwartet, zu verleiden und zu erschweren. Von ähnlichen Schreckbildern sieht sich dieses System im eigenen Lande um geben. Zn Preußen hat eine allgemeine Mobilisirung, eine Berufung der Land wehr, d. h. des ganzen waffenfähigen und waffcngeübtenVolks unter die Fahnen, jedesmal einen mehr oder weniger demokratischen Charakter, erweckt in den weitesten Kreisen der Bevölkerung einen Aufschwung und Gemeingeist, der, wenn auch zunächst nur ein soldatischer, doch alsbald in einen staatsbürger lichen, politischen übergehen dürfte; führt in ihrem Gefolge gewisse geschicht liche Erinnerungen mit sich, welche der herrschenden Politik nichts weniger als angenehm sind. Wäre cs möglich, Preußen einen bloßen CabinetSkricg führen zu lassen mit rein gouvcrnementalen Mitteln, ohne Beimischung ir gendeines populären und nationalen Elements — wir sind überzeugt, man würde sich in Berlin weniger lange bedenken. Allein das ist unmöglich. Mit der Schlacht von Jena ist für Preußen die Periode der Cabinetskricgc für immer geschlossen; seitdem hat es nur Volkskriege geführt, kann es nur Volkskriege führen. Darum halten wir aber auch einen Hinübertritt Preußens auf die Seite Rußlands, von dem jetzt, infolge des anscheinenden völligen Bruchs zwischen ihm Und Oesterreich, eine gewisse Partei in Ber lin träumen mag, für undenkbar. Preußen kann noch ein« längere oder kürzere Zeit hindurch zaudern, ehe es sich zum aktiven Handeln entschließt, aber zuletzt muß es sich entschließen, und auf welche Seite dieser endliche Ent schluß cs führcn werde, kann nicht wohl zweifelhaft sein. Dann aber wird mit der äußern Wendung der preußischen Politik auch eine hochbedeulsame innere cintreten. Bei einem Kriege gegen Rußland, zumal in dem jetzigen Stadium der Ereignisse, kann weder die KreuzzeilungSpartci noch das herr schende System die Leitung Preußens länger auf sich nehmen. Eine an dere, im Innern gediegen liberale, nach außen vor allem deutsch-nationale Politik wird ans Ruder treten müssen. Welche Rückwirkungen dies barm weiter auf die Verhältnisse aller übrigen deutschen Staaten, wclchSn mäch tigen Einfluß auf den Gang der allgemeinen europäischen Ereignisse äußern müsse, brauchen wir nur anzudeutcn. Wie Preußen, wenn cs einmal am Kampfe gegen Rußland theilnimmt, mit seiner trefflichen HcereSorganisaticn und in der wichtigen strategischen Stellung, die ihm seine geographischen Verhältnisse zu Rußland anweisen, gegen dieses letztere den entscheidenden Schlag führen wird, der vielleicht den Krieg beendet und den Frie- den erzwingt, so wird es auch, durch diese Wendung zugleich politisch regcnerirt und mit sich ganz Deutschland regenerirend, der Angelpunkt des ganzen künftigen politischen Systems von Europa, der zuverlässigste Garant des europäischen Rechts- und Friedenszustandes werden. Solche Hoffnungen (und sic sind nicht unbegründet, denn sie wurzeln in den that- sächlichen Verhältnissen) müssen uns trösten gegenüber den immer noch fort gesetzten und immer von neuem verlängerten Zaudersystem Preußens. Deutschland. Q Frankfurt a. M-, 12. Oct. Zu der Widerlegung der von andern Blättern gebrachten Nachricht, daß die von dem politischen Ausschuß der Bundesversammlung geschehene Gutheißung des vom Hamburger Senat vorgelegten Versassungsentwurfs hauptsächlich auf den Betrieb und die Verwendung Oesterreichs erfolgt sei, hat wol unstreitig mehr der poli tische Antagonismus als dec Drang, der Wahrheit die Ehre zu g«ben, mitgcwirkt. Wir wollen es dahingestellt sein lassen, ob Hr. v. Prokesch- Osten wirklich mit Instructionen versehen ist, welche sich ganz bestimmt gegen den gedachten Entwurf aussprcchcn. Aber Thalsache ist es, daß die Hamburger Verfassungsangelegenhcit schon vor Monaten auf Betrieb des inzwischen i» seine Heimat zurückgekehrtcn Senators Kirchenpauer der Er ledigung sehr nahcgebracht war, und daß nur die politischen Wirren cs sind, welche auch auf diese und ähnliche am Bunde schwebende Fragen einen lähmenden Einfluß ausüben. Am augenscheinlichsten zeigt sich dies wol bei der kurhessischcn Verfassungsg cschichtc, die trotz der eifrigsten Verwendungen des Hrn. Hassenpflug und seines Freundes Uhden ihren Aus gangspunkt nicht finden kann. Hier tritt jetzt infolge der Schwenkung, welche die Hofpolitik in der orientalischen Frage gemacht hat, die eigcn- thümlichc Erscheinung zutage, daß die bisherigen Förderer Hassenpflug'srhcr Plane heute seine Widersacher sind, während seine bisherigen Gegner ge genwärtig für ihn Lanzen brechen. Für den Hofrath Meinel, der sich als Mandatar des landgräflichcn Hauses Hessen-Philippsthal seit länger als acht Tagen hier aufhält, um für die Sicherstellung der durch die neue Ver fassung gefährdeten Rechte und Interessen seiner Auftraggeber zu wirken, ist es daher keine leichte Aufgabe, bei seinen Schritten an den rechten Mann zu kommen. Preußen. /X Berlin, 13. Oct. Noch immer spielen die Glück wünsche eine Hauptrolle in dem erbitterten Kriege, den unsere Russen- freunde gegen alle Andersmcincnde führen. Zwar hat das amtliche Auf- treten des österreichischen Gesandten in Paris, Barons v. Hübner, indem er sich für beauftragt erklärte, namens seines Cabincls die französi sche Negierung und den Kaiser wegen des Siegs an der Alma zu beglück wünschen, in sehr begründeter Weise allgemeines Aufsehen in der ganzen politischen Welt erregt, da allerdings die russische Regierung in diesem Schritt eine unzweideutig feindselige Demonstration Oesterreichs erblicken mußte; wie aber, wenn die Partei der hiesigen Kreuzzeitung die Wichtigkeit dieses Vor gangs bei weitem überschätzte? In der Lhat gewinnt es den Anschein, als bestä tige sich die von den Hamburger Nackrichten gebrachte Miltbeilung, wonach Hr. v. Hübner zwar zu einer allgemeinen Acußcrung der Lhcilnahme au den KriegSercignisscn, keineswegs aber zu einer so speciellen Beglückwün schung sowol des Ministers des Auswärtigen als des Kaisers, wie er sie abgestattet, autorisirt gewesen, und daß er deshalb von seinem Cabinct ge tadelt worden sei. Um in der Würdigung der durch Hrn. v. Hübner aue- geführten Demonstration die richtige Mitte zu halten, wird man wol zwei Falle zu unterscheiden haben, die beide gleich möglich zu sein scheinen. Ent weder ist Hr. v. Hübner, wie einst Ritter Bunsen in London, von der Ge walt der eigenen Sympathien getrieben und in der festen Ucbcrzeugung, im Geist des durch ihn vertretenen Cabincts zu handeln, in seinem Eifer zu rasch gewesen, und dann ist daS Dementi, welches seinem Handeln zuthcil geworden, ein wohlbegründetcs; es ist dann äußerlich gerechtfertigt, selbst wenn des Gesandten Voraussetzung, im Sinn seiner Negierung gchandelc zu haben, zutreffen sollte. Oder der österreichische Gesandte hat wirklich den direkten Auftrag von seinem Cabinct empfangen, Frankreich für seinen Sieg