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DRESDNER PHILHARMONIE Sonnabend, den 20. Januar 1973, 20.00 Uhr Sonntag, den 21. Januar 1973, 20,00 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 6. ZYKLUS-KONZERT UND 6. KONZERT IM ANRECHT C MENDELSSOHN - BRAHMS - REGER Dirigent: Lothar Seyfarth Solist: Anton Kuerti, Kanada, Klavier Fahrt“ und glückliche e vivace Orchester Nr. 1 d-Moll PAUSE Johann Max Reger 1873-1916 (Piu Andante) (Allegretto con grazia) (Vivace) (Poco vivace) (Andante sostenuto) (Tempo di Minuetto) (Presto) (Andante con moto) (Allegro con spirito) (Allegro appassionato) (Andante con moto) Johannes Brahms 1833-1897 Konzert für Klavier und op. 15 Maestoso Adagio Rondo (Allegro non troppo) op. 27 Adagio — Molto Allegro Variationen und Fuge über ein Thema von Adam Hiller op. 100 Thema (Andante grazioso) 1. Variation 2. Variation 3. Variation 4. Variation 5. Variation 6. Variation 7. Variation 8. Variation 9. Variation 10. Variation 11. Variation Fuge (Allegro moderato) Felix Mendelssohn Bartholdy Ouvertüre „Meeresstille 1809-1847 ANTON KUERTI wurde in Wien geboren, wuchs aber in den USA auf, wo er auch seine pianistische Ausbildung am Curtis Institute of Music als Schüler Rudolf Serkins erhielt bcnon als Neunjähriger debütierte er als Orchestersolist. Seine internationale Karriere begann, als er nach zahlreichen Auszeichnungen 1957 den begehrten Leventritt-Preis errang usge dehnte Konzertreisen führten ihn durch den amerikanischen Kontinent, und auch seine ersten Konzerte in Europa, anläßlich des Dubrovnik-Festivals und in Spoleto (Italien) .verliefen so erfolgreich, daß sich sogleich Verpflichtungen in andere europäische Länder (Österreich, VR Polen, BRD, Großbritannien, Belgien, Portugal u. a.) ergaben. Er musizierte mit zahl reichen bedeutenden Klangkörpern unter so berühmten Dirigenten wie Adrian Boult, Josef Krips, Zubin Mehta, Eugene Ormandy, Seiji Ozawa, Witold Rowicki, George Szell. Wenn er keine Konzertreisen unternimmt, hält er sich an der musikalischen Fakultät der Universität von Toronto auf, die ihn zum „Pianist in Residence" ernannte. Anton Kuertis Schallplatten erlebten eine für einen jungen Künstler ungewöhnlich hohe Auflagenzahl. In der DDK konzertierte Anton Kuerti erstmals 1970. ZUR EINFÜHRUNG Die Ouvertüre „Meeresstille und glückliche Fahrt" o p. 2 7 gehört zu Felix Mendelssohn Bartholdys programmati schen Werken. Sie entstand 1828, zwei Jahre nach der genialen Musik zu Shakespeares „Sommernachtstraum". Mendelssohn, der seinen Werken sehr selbstkritisch gegenüberstand, brachte sie aber erst sieben Jahre später in einer Neufassung zur Aufführung. Am 4. Oktober 1835 erklang sie zusammen mit Beethovens 4. Sinfonie im ersten Gewandhauskonzert, das Mendelssohn in Leipzig dirigierte. Begeistert über den glänzenden Erfolg der Aufführung schrieb er: „Ich wollte, Ihr hättet die Einleitung meiner .Meeresstille' gehört (denn damit fing das Konzert an). Es war im Saal und auf dem Orchester eine Ruhe, daß man das feinste Tünchen hören konnte, und sie spielten das .Adagio' geradezu meisterhaft . . • Als Anregung und Programmvorlage für die Ouvertüre dienten die gleichnami gen Gedichte J. W. Goethes. Jedoch ist die programmatische Bindung nicht die einer naturalistischen Illustration, sondern vielmehr ist das Werk unter dem Beethovenschen Leitgedanken „Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei" zu verstehen. Obgleich die Komposition eine einsätzige Konzertouvertüre dar stellt, besteht sie — bedingt durch den unterschiedlichen Stimmungsgehalt der beiden zugrunde liegenden Gedichte — aus zwei spannungsvoll ineinander übergehenden Teilen. Die Adagio-Einleitung nach den Worten „Tiefe Stille herrscht im Wasser, ohne Regung ruht das Meer . . .“ atmet die lastende Meeresstille, die bewegungslose Ruhe der Natur und ihre unendliche Weite. Jedoch plötzlich unterbricht ein unterdrücktes Freudenmotiv in der Piccoloflöte die erdrückende Naturstille; ein leichter Wind ist aufgekommen. „Die Nebel zerreißen, der Himmel ist helle . . ." über einem Orgelpunkt entfaltet sich in großen Spannungsbögen das schwungvolle Allegrothema, erst zögernd in den Holzbläsern bis zur festen Entschlossenheit im vollen Orchestertutti. Das Spiel der Wellen vereinigt sich mit der Freude des Seefahrers über die glückliche Fahrt. Kraftvoll aufstrebende Skalen und schmetternde Fanfarensignale künden in der Coda von der bevorstehenden Ankunft im heimatlichen Hafen. Das Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll op. 15 von Johannes Brahms gehört zu den Jugendwerken des Meisters. Es wurde in seiner Urform als Sonate für zwei Klaviere entworfen (1854), auch Pläne für eine Sinfonie hatte der Komponist ursprünglich damit verbunden. Die ersten Aufführungen des dann endgültig zum Klavierkonzert umgestalteten Werkes fanden mit Brahms als Solisten kurz nacheinander Anfang 1859 in Hannover und im Leipziger Gewandhaus statt, wobei es allerdings besonders in Leipzig zu einem völligen Durchfall des Konzertes kam. Der Komponist äußerte sich darüber in einem Brief an seinen Freund, den berühmten Geiger Josef Joachim, recht sarkastisch: „Ohne irgend eine Regung wurden der erste Satz und der zweite angehört. Zum Schluß versuchten drei Hände, langsam ineinanderzufallen, worauf aber von allen Seiten ein ganz klares Zischen solche Demonstrationen verbot. Weiter gibt’s nun gar nichts über dieses Ereignis zu schreiben, denn auch kein Wörtchen hat mir noch jemand über das Werk gesagt! Dieser Durchfall machte mir übrigens durchaus keinen Eindruck ... Ich glaube, es ist das beste, was einem passieren kann: das zwingt die Gedanken, sich ordentlich zusammenzunehmen, und steigert den Mut. Ich versuche ja erst und schaffe noch. Aber das Zischen war doch zuviel . . Die Gründe für diese überaus schlechte Aufnahme der ersten bedeutenden Orchesterschöpfung des jungen Brahms bei seinen Zeitgenossen mögen beson ders darin zu suchen sein, daß es sich hier nicht um eines der üblichen Virtuosen konzerte, sondern um ein rein sinfonisch angelegtes Werk handelte, bei dem