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Nr «4. I». März L8S4 Dciltschc Algmciic Zcitiilig - Wahrheit »d Recht, Freiheit «ud Gesetz I» Donnerstag. EetPßib' EX« Zeitung erscheint mit Auinahme det Montag» täglich und wird Nachmittag» 4 Uhr aus- gegeben. für da» Biertel, jahr l'/, Lhlr., jede ei>» telne Nummer 2 Ngr. Zu beziehen durch alle Postämter de« Zn- und Auslände», sowie durch dir Expedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Ans«rti,««g<»ühr für den Raum «inerZeile 2 Ngr. Oesterreich und Deutschland. ---Leipzig, 13. März. Unter demselben Datum, unter welchem wir uns (Nr. 60) über Preußens Pflicht gegen Deutschland bei dem gegenwär- ti-en Confllcte auSsprachen und eine Politik, wie sie der preußischen Regie rung in der Broschüre „Zur Neutralitätsfrage" empfohlen wird, für unver- «täglich mit dieser Pflicht erklärten, brachte der Wiener Lloyd einen gehar- nlschtest Artikel gegen ähnliche, vom Preußischen Wochenblatt entwickelte Anschauungen über die Stellung der beiden deutschen Mächte -u der schwe benden Weltfrage. Er bezeichnet den Rath, daß Preußen, wahrend Oester- reich für deutsche Interessen an der Donau kämpfe, sich unthätig verhalten und ungestört von dem anderwärts beschäftigten Rivalen, seine Hegemonie plane über die kleinern deutschen Staaten wiederaufnehmen solle, geradezu und „mit Vorbedacht" als einen „Vcrrath" und spricht die Hoffnung aus, daß das Preußische Wochenblatt bei diesem Vorschläge „nicht die preußische Re gierung, viel weniger Preußen, viel weniger Deutschland bedeute", daß im Gegentheil in der immer mehr nahenden Stunde der Entscheidung „ganz Deutschland zusammenhalten, zusammen kämpfen und zusammen siegen werde". Diese Hoffnung, soweit sie sich auf die öffentliche Meinung in Deutsch land stützt, wird, wir zweifeln daran nicht, vollständig gerechtfertigt wer- den. Wir für unsern bescheidenen Theil haben derselben bereits, wie schon erwähnt, vor dem Erscheinen jenes Artikels des Lloyd entsprochen. Wir haben den Versuch, den man von Berlin aus machen zu wollen scheint: die öffentliche Meinung Deutschlands und insbesondere die nationale Partei durch Hindeutungen auf eine von dort aus zu ergreifende Initiative nativ- naler Neugestaltungen anznlocken und für Preußen zu gewinnen, als einen von HauS aus vergeblichen und verunglückten bezeichnet, haben es als un sere Ueberzeugung ausgesprochen, daß Deutschland, soweit cS auf seine freie Entschließung ankomme, seine Geschicke keiner Macht anvertrauen werde, nlrlchr nicht durch die That bewiesen habe, daß ihr Deutschlands Würde, Unabhängigkeit und Sicherheit nach außen wahrhaft am Herzen liege. Daß Preußen diese Macht nicht sein würde, wenn es wirtlich eine solche Neutralitätspolitik des Zusehens und Abwartens befolgte, wie sie ihm von manchen Seiten anempfohlen wird, versteht sich von selbst. Das MiStrauen, welches gegen Preußen seit den Vorgängen des Jahres 1850 in Deutschland herrscht, kann am wenigsten durch eine so unentschie dene Haltung beschwichtigt werden, wie sie dieser Staat schon bisher, vollends aber seit den allerletzten Tagen, in der orientalischen Frage angenom men Hal. Damit ist freilich für die Sache, welche der Lloyd vertritt, nur erst ein halber und negaliver Vortheil gewonnen. Um diesen in einen ganzen und positiven zu verwandeln, hätte der Lloyd den Beweis zu führen und Bürgschaft dafür zu leisten, daß Oesterreich wirklich „bereit ist", in die von Preußen aufgegebene Position einzurücken, Deutschland voranzugehen auf dem „leuchtenden Wege der Ehre und des RechtS" und in seinem mächtigen Sturmschritt „Alles in der rechten Richtung mit sich fortzureißen und Alles umzuwerfen, das diese Richtung nicht einhalten will". Wie gern würden wir uns der Hoffnung hingeben, daß der Lloyd mit die sen Worten die innersten und festesten Entschließungen der österreichischen Regierung ausgesprochen habe. Allein — scheuen wir uns nicht, es offen zu sagen, denn in diesem ernsten Augenblick ist größte Wahrheit nach allen Seiten hin die erste Pflicht der Presse — auch Oesterreich hat viel gutzu machen, auch Oesterreich hat alte und nicht unbegründete Vorurtheile gegen sich im deutschen Volke zu überwinden. Der Lloyd erinnert an „die Schlachtopfer von Fridericia"; er hat vielleicht nicht bedacht, welche andere, tiefschmerzliche Erinnerungen diese Erwähnung einer Angelegenheit wach- ruft, bei deren Nennung jedes echtdeutsche Herz aufs neue zu bluten an- fä'ngt — Erinnerungen, die leider nur zu nahe an jene Politik anstreifen, welche der Lloyd in Bezug auf die gegenwärtige Frage mit so heftiger und so gerechter patriotischer Entrüstung verdammt! Ungern reißen wir alte Wunden auf; aber woher soll das Volk seine Meßstäbe nehmen, sobald es sich darum handelt, Vertrauen und Mistrauen, Sympathien und Antipa thien abzuwägen, wenn nicht von Thatsachen? Denn Worte, die- hat uns ja die Erfahrung, namentlich des letzten Lustrums, nur zu empfindlich ge- lehrt, Worte sind „Schall und Rauch". Wie wohlthuend daher auch für jeden deutschen Patrioten die so kräf tige und so wahrhaft deutsche Sprache eines Blatts sein muß, welches, so urtheilt man hier außen, diesen Ton unmöglich anschlagen könnte, wenn di« österreichische Regierung einer geradezu entgegengesetzten Auffassung der schwebenden Frage huldigte — die Suspension des Blatts auf acht Tage ist bekanntlich nicht wegen dieser Artikel, sondern wegen einer Besprechung des Briefs des Kaisers von Rußland erfolgt —, so wird es doch Niemand dem deutschen Volke verargen können, wen» cs, bevor es sein Vertrauen und seine Sympathien nach irgendeiner Seite hin sixirt, noch andere Bürg schaften »erlangt als schöne Worte und emphatische Versicherungen, wenn es vor allen Dingen Thaten sehen will. D e«tsch lan » Preußen. Das neueste Blatt der officiellen Preußischen Correspon- denz schreibt: „Die Politik einer Regierung in den verschiedenen Phasen einer verwickelten Frage darf billigerweise nicht von einem einseitigen Stand- punkte aus und nach vorgefaßten Meinungen beurtheilt werden; doch gibt es einen Grundsatz, welcher in solchen Fragen den Vorrang vor allen an- dern Anschauungsweisen zu behaupten berechtigt ist und in der öffentlichen Meinung die allgemeinste Geltung sich erworben hat. Nicht leicht kann eine Regierung in den Augen der Nation eines schwerer« Vergehens sich schul dig machen, als wenn sie irgendwelchen Rücksichten auf auswärtige Mächte die Interessen des eigenen Landes unterordnet. Diesen schwersten aller Vor würfe haben die Widersacher der preußischen Politik — wie unerschöpfiich sie auch in Scheingründcn sind, um dieselbe zu bekämpfen — nicht gegen die königliche Regierung zu erheben gewagt, in der richtigen Erkenntniß, daß die gewandteste Sophistik gegen das überwältigende Zeugniß offenkundiger Thatsachen nicht Stand hält. Die Rede, mit welcher der Herr Minister- Präsident die gegenwärtige Session der Kammern am 28. Nov. v. I. eröff nete, enthält bereits in wenigen klaren Worten das Programm der preußi- schen Politik, an welches der Herr Graf Schwerin jüngst sehr zeitgemäß erinnerte. «Welche Wendung die Ereignisse auch nehmen mögen», heißt cs darin, «die Negierung Sr. Majestät wird bei Allem, was sie hierunter vorzunehmen berufen sein könnte, das wahre Interesse des Landes, welches von demjenigen der Krone ganz unzertrennlich ist, zur ausschließlichen Richt schnur ihrer Bestrebungen und Handlungen nehmen» Von dieser Richt schnur ist Sr. Majestät Negierung im ganzen Laufe der bisherigen Ver handlungen nicht um eines Haares Breite abgewichen und die Ereignisse haben ihr Gelegenheit gegeben, ihr festes Beharren auf diesem Wege in unzweideutigster Weise und nach allen Richtungen hin zu bewähren. Wir begreifen cs daher vollkommen, daß die Organe der bei dem orientalischen Conflicte betheiligken auswärtigen Staaten mit einer Politik rechten, welche sich nicht zur Dienerin fremder Interessen und zur Vollstreckerin fremder Entschließungen machen will. Allein es ist eine beklagenswerthe Erschei nung, daß auch ein großer Theil der heimischen Presse gegen die selbstän dige Haltung der Regierung ankämpft. Kaum sind die Stimmen zum Schweigen gebracht, welche den Anschluß an Rußland als nothwendigc Politik Preußens bezeichnen wollten, und schon tritt mit dictatorischer An maßung die andere Ansicht hervor, welche Preußen die solidarische Theil- nähme an allen Beschlüssen der Westmächte zur Pflicht machen will. Und welcher Mittel bedienen sich die Anhänger dieser Ansicht, um die unab hängige Stellung der preußischen Politik zu erschüttern? Den Beweis dafür, daß Preußen bei allen aus der Entwickelung der gegenwärtigen Kri sis entspringenden Eventualitäten mit England und Frankreich nur identische Interessen haben könne, daß es zur Wahrung der Selbständigkeit Deutsch lands und des europäischen Gleichgewichts von vornherein zu dem Programm der Westmächtc und den von ihnen beschlossenen Maßregeln sich verpflichten müsse — diesen Beweis bleiben sie, aus begreiflichen Gründen, schuldig. Dagegen empfehlen sie (wir verweisen unter Anderm auf einen Artikel in der Kölnischen Zeitung vom 10. März unter der Ueberschrift «Tür kei») den Westmächtcn, mit kriegerischen Thaten vorzugehcn und, auf 30 Linienschiffe in der Ostsee gestützt, Preußen «zur Bundesgenossen- schäft aufzufodern». Wir enthalten uns jeder weitern Bemerkung über diese eigenthümliche Art einer patriotischen Polemik. Die öffentliche Mei nung wird entscheiden, wo die Ehre und das Interesse der Nation besser vertreten sind, ob durch die selbständige Politik der Regierung oder durch die Herbeirufer auswärtigen Zwanges." /^Berlin, 1ä. März. Mit Recht sind gegenwärtig Aller Augen dar aus gerichtet, welche Stellung schließlich Preußen in dem orientalisch-euro päischen Streite einnehmen wird. Das betheiligtc Ausland sowol als vor nehmlich Deutschland sind hierbei im allerhöchsten Grade interessirt. Das Verhalten Preußens ist im gegenwärtigen Augenblicke diejenige Frage ge worden, von deren Lösung der Weiterfortgang der großen, allgemeinen An gelegenheit abhängt und wesentlich bedingt wird Daher die Interpellation deS Abg. Grafen Schwerin, unterstützt durch die Fraction v. Bethmann- Hollweg, an das Staatsministerium in der gestrigen Sitzung der U. Kammcr. Sah sich auch der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Ministerprä sident v. Manteuffel, noch nicht in der Lage, die an die Staatsrcgierung gerichtete inhaltschwere Frage des Ausführlichen zu beantworten, so waren doch, indem er die verlangte Erklärung für die nächsten Tage in Aussicht stellte, die wenigen Worte: „Die Flotten, welche in die Ostsee einlaufen wer den, gehören Staaten an, mit denen Preußen im Frieden und gutem Ein-