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Dienstag. Die Zeitung «rschejntnnt Ausnahme de« Montag« täglich und wird Nachmittag» 4 Uhr au«, gegeben. Drei« für da« Biertel- jahr »'/, Lhlr., jede ein- zelne Nummer 2 Ngr. —- Nr. 02. — 14. März 18S4. Deutsche Allgeiiitiiit Zeitung. «Wahrheit und Recht, Frciheit und Gesetzt» Zu beziehen durch alle Postämter de« Zn- und Autlande«, sowie durch die Erpcdition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). ^nsertionSgedühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Deutschland t Berlin, 11 März. In Bezug aus den Zweck der vielbesprochenen Sendungen nach London und Paris ist noch ein sehr wichtiger Punkt hcr- vorzuhrben, der hier in den Kreisen hochstehender Personen angedeulet wird. Außer der Erklärung Preußens, daß es seine volle Neutralität nach beiden Seiten hin aufrechtzuerhalten beschlossen habe, indem cs zugleich Hinsicht- lich deS NechtSpunktes in der russisch-türkischen Streitfrage bei seiner bis herigen Auffassung verharre, daß die russischen Federungen nämlich zu weit gehende seien: außer dieser Erklärung haben die beiden in Rede stehenden Abgesandten Preußens, wie man hört, auch den Auftrag, neue Vermit telungsvorschläge dem londoner und dem pariser Cabinet zu überbrin gen. (Nr. 61.) Nach den von Seiten Rußlands hier gemachten neuesten Eröffnungen würde bat russische Cabinet sich geneigt finden lassen, unter ge wissen näher angegebenen Bedingungen die Donaufürstenthümer zu räumen, insofern eine längere Frist gesetzt werde, innerhalb welcher die Räumung thatsächlich ausgeführt werden könne. Die von Rußland gestellten Bedin gungen werden auch als gemäßigter und nachgiebiger als die bisher von demselben beharrlich festgehaltcnen bezeichnet, sodaß aus Allem hcrvorgche, daß eine friedlichere Stimmung im Petersburger Cabinet sich vorbereite. ES kann wol keinem Zweifel unterworfen sein, daß die Haltung der beiden deutschen Großmächte, namentlich aber deren unwandelbare völkerrechtliche Auffassung der Streitfrage, die im vollen Einklänge mit der Anschauung der Westmächte steht, zu dieser dem Frieden wenigstens mehr als bisher zugewendeten Stimmung des russischen Cabinets hauptsächlich beigetragen hat. In Petersburg wird man sich nicht verhehlen können, daß bei allen Beziehungen der Freundschaft, welche bis dahin zwischen dem preußischen, österreichischen und russischen Cabinet bestanden haben, die moralische Un möglichkeit für Preußen und Oesterreich vorlicgt, auf die Seite Rußlands in der verhängnißvollen orientalischen Angelegenheit zu treten, wollen diesel ben nicht anders in den vollsten und offenkundigsten Widerspruch mit sich selbst angesichts ihrer in dem Protokoll der Wiener Conferenz unabänder lich niedergelegten Beurtheilung der Streitfrage gerathen: einer Beurtheilung, welche, was die rechtliche Seite der Frage betrifft, eine sittliche Verpflich tung für die beiden deutschen Großmächte in gleicher Weise wie für Eng land und Frankreich in sich faßt. VBerlin, 11. März. Die eigentliche Bedeutung der in der Politik Preußens eingetretenen Wendung, welche die Neue Preußische Zeitung bereits als einen Systcmwechsel bezeichnet, stellt sich mit jedem Tage deut licher heraus. Heute erfährt man, daß die den Westmächten gegenüber beabsichtigte, von dem wiener Cabinet der preußischen Regierung mitgeihcilte Uebercinkunft oder Declaration von der letztem abgelehnt ist. Die Conven tion basirte lediglich auf den Wiener Conferenzbeschlüssen und enthielt für die deutschen Großmächte keineswegs eine Verpflichtung zu einer kriegerischen Cooperation mit den Wcstmächten. Aus der Natur der in Wien von den Vertretern der vier Großmächte gefaßten Beschlüsse uno aus der Feststellung der Bedingungen für eine friedliche Beilegung des Streits zwischen Ruß land und der Türkei ergibt sich, daß die vorgeschlagene Convention, wenn sie auf jene Beschlüsse gegründet war, nur die Basis für einen künftigen Friedensschluß enthalten konnte. Die Ablehnung derselben seitens Preußens zeigt mindestens eine Inkonsequenz, wenn nicht eine lheilweise Negation der Beschlüsse der Wiener Conferenz. Es steht uns nicht an, zu untersuchen, welchen Einflüssen die letzten Entscheidungen der Regierung zuzuschreiben sind, und inwieweit cs begründet ist, daß sich dieselbe auf diese Weise den entschiedenen Drohungen der Westmächte in der letzten Zeit entziehe; we nigstens läßt sich dies mit den zugleich aufgenommenen Vermittelungsversu chen schwerlich zusammenreimen. Aber das müssen wir vor allen Dingen hervorheben und constaliren, daß diese Politik im entschiedenen Widerspruche gegen die bisherige steht und daß Hr. v. Manteuffel auch zu der letztem die Hand geboten. Man hat, vielleicht nicht mit Unrecht, die Politik Preußens eine im Sinne der altpreußischen Partei gehaltene genannt und cs ist eine Thatsache, daß der Ministerpräsident in dieser Richtung die lebhafteste Un terstützung dieser Partei hatte. Noch mehr, Graf Pourtalcs, dessen Name unter dem Programm dieser Partei steht, hat bisher im Ministerium des Auswärtigen alle auf die orientalische Frage bezüglichen Angelegenheiten bearbeitet und für die von ihm vertretene Richtung die Zustimmung des Königs gefunden. Mit der Ablehnung der oben erwähnten Convention hat die altpreußische Partei, wie aus bester Quelle versichert werden kann, aus jede Betheiligung an der eingeschlagenen Politik und auf eine fernere Un terstützung der Regierung verzichtet. 'Die Kölnische Zeitung ist offenbar in ihrem anerkennenswcrthen Eiser getäuscht und die von ihr mit Recht gebrand- markte Haugwitz'sche Politik darf auf dieser Seite nicht gesucht werden. 4 Berlin, 12. März. Dcr Vorlage des Ministeriums in Betreff einer Anleihe sieht man in diesen Tagen entgegen. Die allgemeine Aufmerk samkeit ist dcr Kammersitzung, in welcher diese Vorlage der Genehmigung vorgclegt werden wird, nm so mehr zugewendet, als man vom Ministe rium bei diesem Anlaß eine offene und bestimmte Erklärung hinsichtlich der von Preußen schließlich einzunehmenden Stellung erwartet, indem an die Möglichkeit der Aufrcchthaltung dcr Neutralität bei dcr ferner» Entwicke lung der Ereignisse nicht geglaubt wird. In einer Jsolirung Preußens er blicken hiesige namhafte Männer die größten Gcfahrcn für Preußen, indem letzteres dadurch gleichsam aus dcr Reihe der europäischen Großmächte aus scheide und dieselben factisch ihrer moralischen Verpflichtungen und Rücksich ten gegen Preußen durch dessen Jsolirung entbunden würden. Preußen habe deshalb in der Gemeinschaft Oesterreichs, Englands und Frankreichs zu verbleiben und an der durch die Lage der Dinge dringend gebotenen Uebercinkunft derselben theilzunchmcn. Eine solche Uebercinkunft, von den vier Mächten mit Ehrlichkeit und ohne jedweden Hintergedanken abgeschlos sen, sei auch für die Rettung Preußens und Deutschlands aus den jetzigen Gefahren unbedingt nothwcndig. Preußen brauche sich vorderhand zu kei ner Art von speciellem Handeln zu verpflichten; aber es müsse durchaus in der europäischen Uebereinstimmung, den gefahrdrohenden Bestrebungen Ruß lands gegenüber, verharren. Wir haben in unserm gestrigen Schreiben be reits darauf hingewiesen, daß in der zu London und Paris abzugebenden neuesten Erklärung Preußens die Aufrechthaltung der von Preußen im vollen Einklänge mit den Westmächten und Oesterreich zu Wien kundgegc- benen Anschauung der russisch-türkischen Streitfrage, namentlich was den Rechtspunkt anbclangt, hervorgehoben werden soll. Wie wir hören, wird mit dem Einbringen der Vorlage wegen einer von Preußen zu machenden Anleihe von der diesseitigen Regierung so lange gewartet werden, bis die Erklärung Preußens zu London und Paris von dem General v. d. Gröben und dem Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen abgegeben ist. — Das heutige Preußische Wochenblatt erklärt sich mit aller Entschiedenheit gegen eine Jsolirung Preußens, in welcher dieses Organ nur eine Unterstützung Rußlands sieht. Die Politik der Jsolirung Preußens findet nur noch in der Neuen Preußischen Zeitung ihre Pertheidigung, indem der Widerstand der hiesigen öffentlichen Meinung gegen eine solche Politik im Interesse Rußlands mit jedem Tage sich steigert. Wenn die Neue Preußische Zei tung den Rath ertheilt, daß man der öffentlichen Meinung nur dreist ins Angesicht schlagen solle, so möchte cs sich fragen, ob dieser Rath auch dann ausführbar ist, wenn man im Begriff steht, eine Anleihe zu machen und mithin so zu sagen die Tasche der öffentlichen Meinung in Anspruch neh men will. Es würde ein ganz eigcnthümlichcs Verfahren sein, Dem, von welchem man Geld borgen will, vorher einen Schlag zu versetzen. — An die'neuen Vermiltelungsversuche, welche von Seiten Preußens gegen wärtig in London und Paris gemacht werden, knüpft man hier hinsichtlich des Erfolgs wenig Hoffnung. In vielen hiesigen Kreisen ist man sogar der Meinung, daß Rußland durch die in Anspruch genommene Vermitte lung Preußens wieder nur Zeit gewinnen wolle. — Die National-Zeitung entgegnet dem Angriff der Preußischen Korrespondenz (Nr. 60) Folgendes: „Wir haben diesen gegen uns gerichteten Bemerkungen gegenüber anzuerkennen, daß der neueste Standpunkt der preußischen Politik allerdings noch nicht scharf genug fixirt ist, um zu dem Urtheil zu berechtigen, daß dieselbe einfach und unbedingt mit ihrer letzten Vergangenheit gebrochen habe. Wir sprachen daher nur von einer Wen dung derselben, welche zwar nicht durch bestimmt formulirte Acte bereits einen unwiderruflichen Charakter erhalten habe, doch aber, wenn sie dahin gelange, ihre Conscquenzen zu entwickeln, nolhwendig von dem bisher ver folgten Wege zuletzt völlig abführen müsse. Es ist von einer nicht klar bezeichneten Stellung immer schwer zu sagen, was eigentlich Richtung und Ziel ist. Uns schien die dringendste Nolhwcndigkeit vorhanden, in einem Wendepunkte von der entschiedensten weltgeschichtlichen Bedeutung irgendeine völlig unzweideutige und zweifellose Wahl zu treffen, und wir glaubten, daß die Macht der Ereignisse bald jene Frciheit dcr Entschlüsse, welche bis- her nicht beeinträchtigt war, aufhcbcn und uns unfreiwillig in irgendeine unsern Interessen vielleicht widersprechende Bahn hincindrängen könne. Es lag die Entscheidung vor, entweder für oder gegen Rußland vorzuschrcitcn. Wollte man weder das Eine noch das Andere, so boten sich dann noch drei verschiedene Formen der Neutralität. Entweder man erklärte, bei dem ganzen Conflicte so wenig betheiligt zu scin und darum den Ausgang des selben so gleichgültig abwarten zu können, daß man nach keiner Seite weder einen materiellen, noch auch nur einen moralischen Beistand zu leisten sich veranlaßt finde. Oder man kündigte an, daß man zwar vorläufig nicht dircct gegen die Westmächte Vorgehen wolle, die von ihnen verfochtene Sache aber für die ungerechte halte und, sobald der Moment des Einschreitens gekommen sei, gegen sie Partei ergreifen werde. Oder man gab Rußland gegenüber eine Erklärung dieses Inhalts ab. Unsere Ansicht ist, daß die