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38L — Die Kölnische Zeitung schreibt aus Köln vom 22. Febr.: „Die heu tige Koblenzer Zeitung enthält folgende Nachricht: «Koblenz, 21. Febr. Mit tags. Wie wir vernehmen, soll die französische Kriegserklärung an Rußland bereits abgegangen und diese Nachricht durch eine telegraphische Depesche gestern Abend über Saarbrücken amtlich hierher gemeldet worden sein.» Wir fanden uns veranlaßt, durch den Telegraphen sofort in Koblenz anzufragen, ob diese Nachricht irgend begründet sei, und erhielten darauf die Antwort, «aus Saarbrücken sei telegraphisch gemeldet, daß in Metz eine Proklamation in Betreff der Kriegserklärung gegen Rußland cingetroffen und mit vielem Jubel ausgenommen sein soll». Die Blätter und Briefe aus Paris vom gestrigen Abend wissen nichts von einer solchen Nachricht; ebenso wenig unsere bis heute Nachmittag 4 Uhr reichenden telegraphischen Depeschen aus Paris." — Die Börse, die vorgestern so stark gefallen war, ist gestern nach Ankunft der londoner Börse, auf die dieselben Ereignisse eine weit gerin gere Wirkung gehabt hatten (während die französischen Fonds um mehr als 2 Proc. heruntergingen, war es mit den englischen blos um Proc. der Fall), in eine etwas festere Haltung gekommen. Günstige Gerüchte über den Beitritt der Schweiz, Belgiens und Piemonts (man behauptete sogar, daß mit ersterer Macht bereits gestern Abend ein Defensiv- und Offensiv- bündniß unterzeichnet worden sei) und die freundschaftliche Stimmung Oester reichs trugen ebenfalls zum Steigen der Curse bei, und die 3proc. Rente stieg bald von 65. 85 auf 66. 40, womit sie schloß, nachdem sie einen Au genblick sogar auf 66. 50 gestanden hatte. Die Anleihe wurde wieder mit einer gewissen Bestimmtheit angckündigt und schien die Speculation anzure gen, da sie unter günstigen Bedingungen (man sagt zu 64, also 2 Fr. unter dem gegenwärtigen Curse) auf den Platz kommen soll. — Die belgischen Journale wurden gestern mit Beschlag belegt. Großbritannien. * Southampton, 22. Febr. (Telegraphische Depesche.) Soeben wer- den Grenadiere und Garden nach Malta eingeschifft. -j-London, 21. Febr. In der gestrigen Oberhaussitzung kündigte Lord Beaumont auf den 24. Febr. den Antrag auf eine Resolution an, daß das Haus mit gebührender Anerkennung der Bemühungen, die das Ca- binet zur Erhaltung des Friedens gemacht habe, nun auf energisches mili- tärisches Vorschreiten gegen Rußland dringen müsse. Damit war die Sitzung zu Ende. Im Unterhause erklärte auf Anfrage Hrn. Cobden's Lord I. Rus sell, daß die Negierung noch keine Ordre erlassen habe, russische Häfen zu blockircn. Auf eine Anfrage von Sir I. Walsh erklärte Lord I. Russell, die Regierung habe allerdings Kunde von einem Christenaufstande in der Türkei erhallen; aber nichts berechtige zu der Annahme, daß derselbe vom Kö nig von Griechenland angestiftet oder geschürt worden sei. (Hört, hört!) Auf eine Anfrage Hrn. Bright'S erklärte Hr. Wilson, das Waffen- und Ma schinenausfuhrverbot habe nur den Zweck, die Verschiffung solcher Artikel nach Rußland oder nach andern Ländern auf russische Rechnung, aber nicht den Verkehr mit Amerika, Dänemark, Oesterreich rc. zu verhindern. Die vertagte Debatte über die Flottenvoranschläge wird hierauf von Hrn. Cobden wicderaufgenommen, welcher vor allem ein großes Gewicht darauf legt, daß die Minister selbst vor einem Jahre der Meinung waren, der Streit sei lediglich aus dem Wunsch des französischen Präsidenten entstanden, sich durch Bekämpfung des Griechenthums bei der römisch-katholischen Partei beliebt zu machen. Daraus sei, wie er mit Hülfe des Blaubuch nachwcist, ein Streit zwischen Mohammedanismus und Christenthum überhaupt ent standen. Lavalette habe anfangs ebenso unbencidenswerthes Aufsehen in England gemacht wie Mentschikow. Freilich habe Frankreich darauf ver nünftig nachgegcben; aber man vergesse jetzt den Ursprung des Streits und stürze sich blindlings in einen umgekehrten Kreuzzug für den Halbmond ge gen das Kreuz. (Hört! und Oh!) Der ganze Diffcrenzpunkt zwischen Ruß land und den christlichen Mächten bestehe darin, daß die letzter« zwar die Beschwerden der Christen in der Türkei anerkennen, aber nicht gestatten wollen, daß Rußland ihnen Abhülfc verschaffe anstatt anderer Mächte. Ohne Zweifel intervenirc Rußland nicht ohne eigennützige Nebenabsichten; aber Thatsache sei, daß die Christen der Hülfe bedürfen, und um dieses elenden Grundes willen wolle man eine Blutsündflut über Europa loslassen! Hr. Cobden verbreitet sich darauf über die Misregicrung der Osmanen, welche sowol die griechischen wie die mohammedanischen Unterlhanen der Pforte in den Staub trete; hält bas Gerede von einem türkischen Fortschritt für sinn los, indem der Koran selbst jeden Fortschritt unmöglich mache; zeigt, daß die Psorte morsch und dem Sturz nahe sei und daß England, indem cs für die Herrschaft der Minorität über die große Masse der Bevölkerung streite, den Russen eine Popularität in die Hand spiele, die es sich selbst hätte sichern können. Davon auf die Jnlereffenfrage abspringend, behaup tet er, daß der Handel mit Rußland drei mal so große Wichtigkeit für das Land habe wie der Handel mit der Türkei. Endlich könne er nicht be greifen, wie man Rußland packen wolle, wenn der größte Theil Europas neutral bleibe. Stehe wirtlich nach Lord I. Russell's Behauptung das Wohl der ganzen Welt auf dem Spiele, so würden wol die der Gefahr Nächsten den ersten Schlag führen. Kurz, der Redner kann sich mit dem Gedanken eines Kriegs gegen Rußland nie und nimmer befreunden oder aussöhnen und glaubt/ die Regierung würde am besten thun, ihre ZustUcht zur Wie ner Note zu nehmen. (Höhnisches Gelachter.) Er sehe keinen Grund dage- aen. (Gelächter.) Die Note wahre die Ehre des Sultans, weil sic nicht Äcntschikow's Note, sondern die der vier Mächte sei, und England könne sehr wohl sagen: Wenn die Türkei diese Note nicht annimmt, so nehmen wir unser Versprechen zurück, ihr materiellen Beistand zu leisten. Man möge dies eine Jnconsequenz schelten; aber eine Jnconscqucnz mehr würde der Diplomatie nicht schaden, wenn sie dafür' die Welt vor Krieg rettete. Alle Unpopularität eines solchen Verfahrens wolle er gern auf sich nehmen; der Popularität Derjenigen aber, welche diesen Krieg predigen, gebe er keine sechs Monate Zeit. (Hört, hört!) Lord I. Manners, der nächstfolgende Redner, wendet sich erst gegen Cobden's Raisonnemcnt und dann gegen die langmüthige Blindheit der eng. lischen Negierung und fragt zum Schluß, welche Politik England jetzt »er- folgen, welche Zwecke und Ziele es dem Kriege stellen wolle, damit die Fe der der Diplomaten nicht vereitele, was das Schwert gewonnen. Hr. Hors man hat das Mitglied für den Westreding von Aorkshire, mit dem er in so vielen andern Fragen herzlich übereinstimme, nur mit Erstaunen und tie- fem Bedauern anhören können. (Hört, hört!) Solche Versündigung an Logik und Geschichte von Seiten eines sonst so scharfsinnigen ManncS sei ihm nie vorgckommen. (Hört, hört!) Hr. Cobden schlage den Thatsachen ins Gesicht und behandle die Frage als einen diplomatischen Streit zwischen zwei Nachbarn, dessen Ausgang keine dritte Macht etwas angehe, wäh rend es sich in Wirklichkeit darum handle, ob der Kaiser von Rußland auch Kaiser in Konstantinopel werden und die Unabhängigkeit Europas gefährden solle. (Hört, hört!) Nach einem heftigen Ausfall auf die Art des Auftretens der russischen Negierung und einer warmen Lobrede auf die Mäßigung und Humanität des Sultans muß Hr. Horsman auch die englische Regierung gegen das rücksichtslose Verdammungsurtheil frü- herer Sprecher in Schutz nehmen. Lord Aberdeen habe zwischen entge gengesetzten Schwierigkeiten gleicher Größe zu wählen gehabt, und weder er (Horsman) noch ein anderes Mitglied sei im Stande, zu sagen, welchen bessern Weg die Negierung hätte einschlagcn sollen. Dank der Klugheit der britischen oder den Fehlgriffen seiner eigene« Minister stehe der Zar auf dem Jsolirschemcl, und England werde dafür sorgen, daß er die Zeche bezahle. (Beifall.) Rußland müsse die Kriegslasten tragen (Beifall.) Es bange ihm nicht für den Ausgang dieses Kampfes; die Minister mögen nur fortan mehr als Männer denn als Diplomaten handeln; in allen Wechselfällen des Kriegs werde das Land zu ihnen stehen uyd kejn Brite werde ein Opfer scheuen, um Europa vor Barbarei, Knechtschaft und Finsterniß zu retten. (Beifall.) Hr. Drummond ist für Krieg gegen Rußland, aber aus keinem der für den Krieg angeführten Gründe. Alles was er gehört und gelesen überzeuge ihn, daß England einiger Aufklärung darüber bedürfe, weshalb cs Krieg führen werde. Gerade so vage sei das Gerede, „das Land" werde die Negierung unterstützen. „Das Land" sei eine abstrakte Redensart. Wer ist das Land? Etwa die Fabrikanten, die so bitterböse sind, weil man ihnen verboten hat, Bomben und Kartätschen für Rußland zu fabrjcircn, und die in dieser Unterbrechung eine Sünde gegen den Freihandel erblicken? (Gelächter.) Diese Fabrikanten, Freihändler und Friedensfreunde würden während des Kriegs die Regierung mit Interpellationen quälen, anstatt sie zu unterstützen, und am Ende würde Lord I. Russell Dasselbe thun, falls ihn das Kriegsglück im Laufe der nächsten Monate auf die Oppositionsbank verschlagen sollte. (Heiterkeit.) Er wünsche ihm indessen aufrichtig, daß sein Schatten nie kürzer werde, wie man im Orient sage. An und für sich sei der Krieg leider ein Rcligionskrieg, ein Kreuzzug um das Grab Gottfried von Bouil- lon's, welches so baufällig sei, daß man sich nicht einmal in Sicherheit darauf nicdersetzcn könne (Gelächter), und im Grunde sei die Höllensuppe vom Papst eingebrockt. (Wiederholtes Gelächter) Aber er wolle ihnen sagen, was das Volk jetzt erwarte, d. h. was die volksthümlichen Zeitungen erwarten. Das Haus solle eine Resolution fassen, daß der Kaiser von Rußland gezwungen werden müsse, die Kriegskosten zu zahlen. Er wolle ihm einen Auszug aus einem sehr talentvoll rcdigirlcn Blatte vorlcsen, das mehr als andere in Bierhäusern zu finden sei und folglich mehr gelesen werde als andere, weil eben die Leselustigen, die kein Blatt zu Hause halten können, das Bierhaus besuchen. Der Redner liest sodann eine Menge für ein conti- nentalcs Publicum unübersetzbarer Stellen aus dem erwähnten Blatte (Wcekly Dispatch) vor und sucht zu zeigen, daß Volk und Parlament über die Frage nichts weniger als einig seien, daß jeder Theil etwas Anderes erwarte und im Sinne habe, und daß die Regierung sich weder auf die Fabrikanten, noch auf die ärMern Gewerbsleute, noch auf die oppositionellen Kriegsfteunde verlassen könne Auf ihn selbst (Drummond) könne sich das Cabinct allerdings verlassen, besser als er auf das Cabinet. Er frage, wer sei Kriegssecretär? Und sitze nicht ein Mann mit schwachen, zitternden Hän den am Ruder? (Beifall der Opposition.) Keines Admirals und keines Ge nerals guten Ruf halte er für sicher in den Händen dieses Ministeriums. Anders würde er urtheilrn, wenn das Cabinet sich wirklich die Dcmüthi- gung und Lähmung Rußlands zum Ziel setzte. Ein solcher Krieg hätte einen Sinn, hätte Hand und Fuß. „Zwing?', „so schließt der Redner, „Oesterreich und Preußen, ihre Verpflichtungen zu halten; erhebt euch zu dem Muthe, einen Act später, aber gerechter Vergeltung zu vollführen; trefft Rußland ins Herz und proclamirt die Wiederherstellung des „Königreichs Pole«. (Beifall.) Dies wird mehr als eure Flotten und Heere > dazu bei tragen, die Herrscher des. Festlandes auf andere Gedanken zu bringen." (Hört, hört!) Hr. I. Butt widerspricht den mehr humoristische«, als poli- schen Ansichten des vorigen Sprechers. Es sei lächerlich, den beabsichtigten Krieg einen Religionskrieg zu Nennen; aber die Negierung habe noch immer nicht die Geradheit gehabt, den Krieg zu erklären Sie versehe ihre Ad mirale in eine ganz zweideutige Stellung; ihre Betheiligung an hcp Kriegs- vperationen vor der Kriegserklärung wäre halb und halb Piraterie. „Die