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Dienstag. — Nv. 32 7 Februar 1885 iSstPhiG. Dl» Zeitung erschckn» MNl»»«ch«r de* Montag t^OMnd wird Nachmittag« « Uhr au»- gegeben. Prei« für da» Biertel- iahr l'/, Ltzlr., jede ein zeln« Nummer 2 Rgr. DcuMt Mgcmtim Ztituilg. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Zu beziehen durch alle Postämter de» In- und Au-lande», sowie durch die Expedition in Leipzig (Querstraße Rr. 8). «nferttonsgedühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Zur Neutralitätsfrage. Die officiellt Preußische Correspondenz vom 5. Febr. sagt: „Ein con- servatives sächsisches Blatt, die Freimüthige Sachsen-Zeitung, ergeht sich in Betrachtungen über die Haltung, welche die deutschen Mächte der gegen- wärtigen Lage der Ding« im Oriente gegenüber beobachten, und komnit dabei zu dem Schluffe, daß Preußen in seinem «eigenen Interesse handeln» würde, wenn «S die orientalische Sache am Bundestage «wieder in An regung bringen wollte». Wir maßen uns nicht an, ein Urtheil darüber zu fällen, welche Handlungsweise Preußen in der gegenwärtigen Lage der orientalischen Angelegenheit durch sein Interesse geboten sei; doch glauben wir der Freimülhigen Sachsen-Zeitung bemerklich machen zu dürfen, daß -a- Raisonnement, durch welches sie zu ihrer Schlußfolgerung gelangt, aus dem einfachen Grunde nicht zutreffend ist, weil die Voraussetzungen, von denen dasselbe auSgeht, der Wahrheit entbehren. Die Voraussetzung, von der das sächsische Blatt ausgeht, ist nämlich, daß die Erklärungen, welche die beiden deutschen Großmächte in der Sitzung der Bundesversammlung vom 10. Nov. über ihre Haltung in der orientalischen Angelegenheit abge geben hätten, wesentlich verschiedenartigen Inhalts gewesen seien, indem Oesterreich «offen» erklärt habe, «es werde sich neutral verhalten, solang feine Interessen in den orientalischen Wirren nicht bedroht seien», wogegen Preußen, «ohne den geringsten Bezug auf das Zusammenstehen beider deut scher Großmächte zu nehmen», die Erklärung abgegeben habe: «es habe sich die Freiheit seiner Entschließung Vorbehalten.» Die Darstellung der Freimülhigen Sachsen-Zeitung scheint darauf berechnet, die Auslassungen der Vertreter Preußens und Oesterreichs im Sinne eines entschiedenen Ge gensatzes, nämlich dahin zu deuten, als ob Oesterreich der Bundesver sammlung eine Mittheilung gemacht habe, deren wesentlicher Inhalt eine Neutralitätserklärung gewesen sei, und als ob Preußen dadurch, daß es sich die Freiheit seiner Entschließung Vorbehalten, es verweigert habe, sich der österreichischen Neutralitätserklärung anzuschließen oder gleichfalls seine Neutralität zu erklären. Um sich zu überzeugen, daß zu einer solchen Dar- stellung nicht der geringste Grund vorhanden ist und daß dieselbe keines wegs dem wirklichen Sachverhalte entspricht, darf man sich jedoch nur den Gang der Verhandlungen vergegenwärtigen, die in der Sitzung der Bun desversammlung vom 10. Nov. stattgefunden haben. Aus dem Protokoll auszuge, welcher zuerst durch die Darmstädter Zeitung und nach die ser durch die Frankfurter Postzeitung mitgetheilt ist, ergibt sich, daß Oesterreich eine bestimmte Veranlassung hatte, der Bundesversammlung «ine Eröffnung zu machen, welche aber keineswegs den Charakter einer förmlichen Neutralitätserklärung trug, sondern die vielmehr zum Zwecke hatte, der Bundesversammlung im Allgemeinen Aufschlüsse über die Mo tive zu geben, von denen Oesterreich bei seinem Verhalten in der orienta lischen Ang«l«genheit geleitet werde, und insbesondere kundzugeben, daß das österreichische Cabinet »im Verein mit den Höfen von Berlin, Paris und London die Bemühungen freundschaftlicher Vermittelung fortsehen» werde, «an deren glücklichem Erfolge die an die Erhaltung des allgemeinen Frie dens geknüpften Interessen der Regierungen und der Völker so tief bethei- ligt» seien. Die Veranlassung zu der österreichischen Eröffnung war, wie der mit derselben beauftragte österreichische Präsidialgesandte es aussprach, durch den Umstand gegeben, daß «Se. Maj. der Kaiser Franz Joseph sich entschlossen, die bereit- früher beabsichtigte Herabsetzung des Effectivstandes allerhüchstihrer Armee auch angesichts des zwischen Rußland und der Pforte förmlich erklärten Kriegsstandes theilweise eintreten zu lassen», und nur bei Gelegenheit der Mittheilung dieses Entschlusses war als Motiv desselben beiläufig angeführt, daß Oesterreich «nicht gesonnen» sei, «an dem ausge- -rochenen Streite sich zu betheiligen, solange nicht durch denselben die eigenen Interessen des KaiserstaatS bedroht» seien. Da Preußen keine Ähnliche Veranlassung zu einer Eröffnung an den Bundestag hatte, so war der preußische Bundesgesandte auch nicht beauftragt, eine solche zu machen. Es wurde daher von Preußen weder eine Neutralitätserklärung noch über haupt irgendeine Erklärung abgegeben, wozu, wie bereits erwähnt, keine Veranlassung vorlag, sondern der preußische BundeSgcsandte begnügt« sich, «mit Bezug auf die von dem kaiserlich österreichischen Herrn Präsidialgc- sandten gemachte Mittheilung» zu versichern, «daß die königliche Regierung auch ferner fortfahren» werde, «die Freiheit der Entschließung, welche sie sich vorbehalte, zu benutzen, um im Verein mit den erhabenen Verbündeten Sr. Maj. des Königs alle ihre Kräfte der Sicherung des Friedens zu Widmen». Daß diese Versicherung, weit davon entfernt, in einem Gegen sätze oder Widerspruche zu der österreichischen Eröffnung zu stehen, sich vielmehr in vollkommener Uebereinstimmung mit derselben befand, läßt sich nach dem Zusammenhang der Verhandlungen nicht bezweifeln, und man begreift um so weniger, wie die Freimüthige Sachsen-Zeitung dazu kommt, der angeblichen österreichischen Neutralitätserklärung den preußischen Vor behalt freier Entschließung entgegcnzusetzcn, als in der Stelle der öster reichischen Eröffnung, welche das sächsische Blatt als eine Neutralitätser klärung zu bezeichnen beliebt, ausdrücklich gesagt wird, daß Oesterreich nicht gesonnen sei, sich an dem ausgebrochenen Streite zu betheill'gen, so lange nicht durch denselben die eigenen Interessen des Kaiserstaats gefähr det seien, wodurch also Oesterreich sich ebenso wie Preußen die Freiheit sei ner Entschließungen vorbehielt. Daß Preußen bei aller Freiheit seiner Entschließungen nicht gesonnen sein kann, sich bei dem Kampfe im Orient zu betheiligen, solange nicht seine Interessen durch denselben gefährdet sind, versteht sich von selbst; ebenso versteht es sich aber, unserer U«b«r- zeugung nach, von selbst, daß, wie überhaupt die preußischen Interessen in allen großen Fragen der Politik mit den deutschen zusammenfallen, so ins besondere die preußischen Interessen, die möglicherweise durch den Kampf im Orient gefährdet werden können, mit den allgemeinen deutschen Inter essen in jeder Beziehung identisch sind. Wir glauben daher die Freimü thige Sachsen-Zeitung vollkommen darüber beruhigen zu können, daß Preu ßen niemals daran denken wird, seine Interessen, wie sie zu befürchten scheint, von jenen des Deutschen Bundes zu trennen." Deutschland. Preußen. «Berlin, 5. Febr. Die Orlow'sche Mission in Wien ist vollständig misglückt. Auch hier war, auf einen Brief des Kaisers von Rußland hin, wahrscheinlich in der neulichen Audienz des Hrn. v. Budberg übergeben, von Erwägungen die Rede, deren von vornherein unzweifelhaftes Resultat in einer der bisher eingehaltenen Neutralität gün stigen Kundgebung der Majorität des Ministeriums seinen Ausdruck fand. Ob es wahr, daß dem Grafen Orlow von hier aus in indirekter Weise augedeutet worden, sein etwaiger Besuch würde keinen Erfolg haben, ist gleichgültig, da cs der Graf nach dem Ausgange der wiener Reise wol kaum für nölhig finden wird, in Berlin zu erscheinen. Die Dinge gehen einer weitern Entscheidung entgegen. Die Abreise der russischen Gesandten von London und Paris wurde schon vorgestern Abend als eine ausgemachte Sache, wenn nicht als erfolgt angesehen. Einen Beweis übrigens, daß Hr. v. Kisselcw nicht lang« in Brüssel verbleiben werde, will man in dem Umstande finden, daß er, wie erzählt wird, in einer telegraphischen De pesche angefragl habe, ob sein Gepäck, ohne untersucht zu werden, die preußischen Grenzen passiren könne, was in telegraphischer Antwort dem bei diplomatischen Effecten eingeführten Gebrauch zufolge natürlich zuge- sagt wurde. V Berlin, 5. Febr. Die Ansichten über die gegenwärtige Situa tion haben sich in den maßgebenden Kreisen in letzter Zeit viel bestimm ter gestaltet, und es dürfte kaum noch an ein freiwilliges Aufgeben der Politik der Neutralität gedacht werden. Beachten Sie es wohl: diese An sicht hat erst in letzter Zeit trotz aller Gegenströmungen Geltung gewonnen, und es ist dies, wie mir auf das bestimmteste versichert wird, erst infolge des Entlaffungsgesuchs des Hrn. v. Manteuffel geschehen, welches derselbe vor etwa zehn Tagen einreichtc, das aber vom Könige unter ehrender An erkennung der Motive abgelehnt wurde. Die beharrliche Energie des Mi nisterpräsidenten hat auch diesmal einen dem Lande nur heilsamen Erfolg gehabt. Sieht man aber selbst von diesen Vorgängen ab, so würde Preu ßen angesichts der wichtigen Sendung des Prinzen Napoleon Bonaparte an den Hof in Brüssel sich kaum bewogen finden, gegen Rußland irgendwelche Verpflichtungen einzugehen; denn Preußen ist von jener Mission, die Bel gien mit Frankreich aussöhnt, wesentlich berührt, da die Zahl der neutralen Staaten um einen durch seine Lage wichtigen verringert ist. Aus allen die sen Umständen läßt sich wol die Ansicht begründen, daß Preußen in Betreff der Sendung des Grafen Orlow in seiner Politik nicht verlegen oder un entschieden sein kann. — Die Preußische Correspondenz sagt unterm 4. Febr.: „Die bereits seit mehren Tagen mit großer Zuversichtlichkeit verbreiteten Gerüchte von der erfolgten Abreise der russischen Gesandten aus London und Paris veranlassen uns zu der Erklärung, daß uns bisjetzt eine verbürgte Nachricht der angegebenen Art nicht zugegangen ist. So viel wir erfahren, sollen allerdings die betreffenden Gesandten von den ihnen gewordenen Er klärungen über die Bestimmung der englisch-französischen Flotte im Schwar zen Meere so wenig befriedigt word«n sein, daß ihre Abreise, falls nickt eine plötzliche Wendung der Dinge eintritt, binnen kurzer Frist zu erwarten steht. Wenn durch diesen Jncidenzfall auch die Bedingungen, an welche wir die Aussicht auf eine friedliche Lösung der orientalischen Verwickelungen knüpften, wesentlich verändert worden sind, so glauben wir doch darauf Hin weisen zu müssen, daß die Anwesenheit des Grafen Orlow in Wien die Entscheidung über den eigentlichen Kern der Frage von de» Ergebnissen der dortigen Verhandlungen abhängig macht."