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DRESDNER PHILHARMONIE ZUR EINFÜHRUNG Freitag, den 24. November 1972, 19.30 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden SONDERKONZERT Dirigent: Günther Herbig Solist: Jean Mouillere, Frankreich, Violine Maurice Ravel 1875-1937 Ma Mere l’Oye (Meine Mutter, die Gans) - Märchensuite für Orchester Pavane de la Belle au bois dormant (Dornröschens Pavane) Petit Poucet (Der kleine Däumling) Laidernonnette, Imperatrice des Pagodes (Die Häßliche, Kaiserin der Pagoden) La Belle et la Bete (Die Schöne und das Ungeheuer) Le Jardin feerique (Der Zaubergarten) Joseph Haydn 1732-1809 Konzert für Violine und Streichorchester C-Dur Allegro moderato Adagio Finale (Presto) PAUSE Jean Sibelius 1865-1957 Sinfonie Nr. 1 e-Moll op. 39 Andante ma non troppo — Allegro energico Andante (ma non troppo lento) Scherzo (Allegro) Finale (quasi una Fantasia) Nach Beendigung seiner musikalischen Ausbildung am Pariser Consei vatoire, wo er 1960 den 1. Preis in der Violinklasse von Roland Charmy errang, widmete sich JEAN MOUILLl.RE über seine solistische Tätigkeit hinaus auch intensiv der Kammermusik, indem er ein Violin-Klavier- Duo gründete. 1963 erhielt er den 1. Preis des Kammermusiker-Wettbewerbes „Joseph Calvet , den Sonderpreis des Instrumentalisten-Wettbewerbes in München und den Solistenpreis der O. R. T. F. In der Folgezeit konzertierte er u. a. in Frankreich, in der Schweiz, in der BRD, in der VR Polen, in Schottland. 1965 gründete er ein Streichquaitett. Für seine Schallplatten aufnahmen erhielt er 1970 den Prix du Disque. Im gleichen Jahr errang der auch als Dirigent erfolgreich hervorgetretene Künstler den Faure-Preis. (Meine Mutter, die Gans) de Siecle, verkörperte die wie in Deutschland etwa Joseph Haydns Instrumentalkonzerte nehmen in seinem Werkverzeichnis nur einen kleinen Raum ein. Obgleich der Komponist fast alle Instrumente (Violine, Violoncello, Kontrabaß, Flöte, Oboe, Horn, Trompete und Klavier) berücksichtigte, galt sein Interesse in erster Linie nicht dieser Werkgattung Im instrumentalen Bereich konzentrierte er sich mehr auf die Komposition vor Sinfonien, Serenaden und Divertimenti. Die vermutlich nach 1760 entstandener vier Violinkonzerte, von denen allerdings eines verschollen zu sein scheint, sind Maurice Ravel, einer der prominentesten Vertreter französischer Musik um die Jahrhundertwende, begann zunächst in direkter Nachfolge Debussys. Später erst fand er zu einem eigenen Stil. „Ravel ist ein typischer französischer Musiker: auf dem gleichen Boden erwachsen wie Couperin und Rameau, und wie der letztere verbirgt er meisterhaft die Kunst eben durch die Kunst selbst", schrieb einmal H. Prunieres. Was ist es, das an Ravels Musik so fasziniert? Das Unbe schwerte, Graziöse, Charmante, Witzige, aber auch das klanglich Rauschhafte. Charakteristisch sind für sein Schaffen auch die Beziehungen zur spanischen Folk lore, die sich am erregendsten wohl in dem berühmten „Bolero" niederschlugen, aber auch in der „Rhapsodie espagnole", in der einaktigen Oper „Eine spanische Stunde", in „L’Alborado del Grazioso" zum Ausdruck kommen. In seinem Spät schaffen, das u. a. von Strawinsky und Schönberg nicht unbeeinflußt war, wurde sein Stil - im Gegensatz zu Debussys — kräftiger, realistischer und erstrebte wie der klarere Formen. Ravel, typischer Vertreter des Fin abklingende bürgerliche Musikkultur seines Landes Richard Strauss oder in Spanien Manuel de Falla. Die fünfsätzige Märchensuite „Ma Mere l’Oye" ging hervor aus Kinderstücken für Klavier zu vier Händen, die, komponiert im Jahre 1908, vom Komponisten erweitert und für ein Ballett orchestriert wurden, „Die Absicht, in diesen Stücken die Poesie der Kindheit wachzurufen, hat mich dazu geführt, meine Manier zu vereinfachen und meine Schreibweise durchsich tiger zu machen. Ich habe aus diesem Werk ein Ballett geschaffen, das vom Theatre des Arts einstudiert wurde. Das Werk wurde in Valvins für meine jungen Freunde Mimie und Jean Godebski geschrieben", heißt es in einer biographischen Skizze Ravels. Die Uraufführung am 21. Januar 1912 im Pariser Theatre des Arts gestaltete sich zu einem ganz großen Erfolg. Die Choreographie führte Jane Hugard. Besonders Ravels anmutige und humorvolle Musik mit ihrem Vorrang der Melodie begeisterte allgemein. Fünf stimmungszarte Märchenbilder werden in dem Stück gezeichnet, das der Ravel-Biograph Roland-Manuel „erlesen und köstlich gelungen" nennt. „Dies Werk, in dem man die Luft eines glücklichen Selbstvergessens, zarter Emotion und feinsinniger Poesie atmet, verdankt seinen Reiz und seinen Zauber dem Ton souveräner Einfachheit, von dem es nicht einen Augenblick abgeht. Durch einen Vorzug, den er mit den größten Schaffenden teilt, hat Ravel in sei nem rastlosen Bemühen, die technische Meisterschaft zu erringen, nie jene Frische der Empfindung eingebüßt, die den Kinderjahren eigen ist und sich für gewöhnlich mit ihnen verliert. Er hat sich die Freiheit der Phantasie unberührt erhalten, jene naive Kraft, die beim Herangewachsenen meist der Tyrannei der elementaren Instinkte weicht. Auf dem Punkt seines Lebens angelangt, da die Kräfte der Jugend sich durch Übung steigern, da Können und Wissen der Schaffensfreude die Waage halten, lüftet der Ravel von ,Ma Mere l’Oye' das Geheimnis seiner tiefen Natur und läßt uns die Seele eines Kindes entdecken, das niemals das Zauberreich des Märchens verlassen hat, das keinen Unter schied zwischen Natur und Kunst macht und dem im Bereich der Materie alles denkbar und realisierbar erscheint, was im Bereich des Geistes unfehlbar vorgezeichnet ist."