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kalischen Bewegungen das wollüstige Wortspiel der Dichtung in einem fast lasziven Tanz ausdeutet. Zwischen pathetisch-monumental stilisierten Klän gen und den mimischen Gesten einer musikalischen Szene wechselt der folgende, vierte Satz „Royaute" (Königswürde), während im Allegro con brio des fünften Satzes „Marine” (Seebild) die Darstellung des wildbewegten Meeres von einer dynamisch gegliederten Fläche des Streichorchestersatzes begleitet wird. Me lodische Imitationen eröffnen den sechsten Satz (Zwischenspiel) und leiten über zu einer Wiederholung des Mottos „Ich allein besitze den Schlüssel...". „Being beauteous" (Das ist schön) — der siebente Satz verbleibt zwar in der Haltung des Dichters auf der Ebene der kaleidoskopartig wechselnden Be schreibungen, hier handelt es sich jedoch mehr um Visionen, die sich vom Ge genständlichen entfernen, um ein Umschreiben des Schönen und des Nicht schönen in seiner Vielgestaltigkeit: Leben und Tod, Licht und Schatten, Lust und Ekel, Wohlklang und Dissonanz. Die Musik überhöht diese Andeutungen zum Teil in kantabel-sinnlicher Melodik. Ganz auf den hektischen Ton einer wort reichen Beschreibung ist der achte Satz mit häufig dominierendem Parlando abgestellt, die eigentliche „Parade", eine in greller Buntheit bis ins Fratzenhafte übersteigerte Groteske des Dichters, deren Sentenz jedoch unergründlich bleibt, denn nur er allein hat „den Schlüssel zu dieser wilden Parade". Knapp, kühl, fast vom Hauch der Melancholie überschattet, beendet der neunte Satz „Deport" (Aufbruch) den Zyklus, ein Aufbruch, der sich neuen Leidenschaften und Visio nen zuwendet. Ausgesprochenen Seriacharakter, also den Stil der ernsten italienischen Oper, trägt die Tenor-Arie „M i s e r o I O sog no” (Wehe mir! Ist's Wahrheit) KV 431 von Wolfgang Amadeus Mozart. Der Komponist schrieb diese Ge sangsnummer im Jahre 1783 für den Tenor Adamberger, seinen ersten Belmonte. Diese breit angelegte, wirkungsvolle und tiefempfundene Arie, die Adamberger zum ersten Mal in einem Konzert der Wiener Pensionsgesellschaft sang, kann auch als Einlage in eine fremde italienische Oper gedacht gewesen sein; eine damals durchaus übliche Praxis, der sich auch Mozart nicht verschloß. Auf alle Fälle handelt es sich bei diesem Stück um eine der zahlreichen Kerkerszenen, ohne die im 17. und 18. Jahrhundert kaum eine Opera seria auskam. Eine affekt reiche Arie, in der die schreckliche Situation des Eingekerkerten, sein Gedenken an die Geliebte sowie sein Aufbegehren gegen das Schicksal überzeugenden musikdramatischen Ausdruck finden. Aus dem reichhaltigen und vielseitigen Schaffen Cesar Francks haben sich bei uns neben etlichen Orgel- und Kammermusikwerken eigentlich nur seine d-Moll-Sinfonie und die Sinfonischen Variationen für Klavier und Orchester einen festen Platz in den Konzertsälen erringen können. Das ist um so verwun derlicher, als die Musik des französischen Meisters der deutschen durchaus nicht wesensfremd ist und für Franck Anregungen seiner Zeitgenossen Brahms und Wagner als auch Bachs geistig und formal von großer Bedeutung waren. Der 1822 in Lüttich geborene Komponist gelangte früh in den Bannkreis von Paris. Früh zeitig mit Preisen für Klavier- und Orgelspiel ausgezeichnet, blieb dem reifen Komponisten die gebührende Anerkennung versagt. In ärmlichen Verhältnissen lebte er als Musiklehrer und Organist in Paris, bis ihm 1872 eine Professur am Pariser Konservatorium angetragen wurde. Erst etliche Jahre nach seinem Tod (1890) begannen sich seine Werke durchzusetzen. Die musikalische Sprache der Romantik, ins Romanische transponiert, eine an vorklassischen Meistern geschulte Formklarheit und eine mit französischer Delikatesse behandelte Instrumentation sind die Wesensmerkmale der Musik Francks, dessen 150. Geburtstages am 10. Dezember dieses Jahres zu gedenken ist. „Psyche", die letzte der vier sinfonischen Dichtungen Francks, wurde 1887 88 komponiert, also in unmittelbarer Nähe der Sinfonie d-Moll, und erlebte am 10. März 1888 in Paris ihre Uraufführung. Das zu den Höhepunkten im Schaffen des Komponisten gehörende Werk offenbart seine ganze schöpferische Eigenart, die menschlich-künstlerische Reife seiner Spätzeit, den Reichtum seiner melodisch harmonischen Erfindung. Obwohl an einigen Stellen des Stückes zum Orchester klang der Chorgesang (Text von Sicard und Louis de Fourcaud in deutscher Fassung von Friedrich Fremery) tritt, handelt es sich um keine Kantate; das inhaltliche Geschehen wird ausschließlich vom Orchester getragen. Die Chorrolle ist der des Chores in der antiken Tragödie vergleichbar. Er hat keine drama tische Funktion, sondern er kommentiert nur das Geschehen und trägt zur allge meinen Atmosphäre des Ganzen bei. Die Bässe fehlen, wodurch der Chor einen transparenten, schwebenden Klang erhält. Als Vorwurf diente dem Kompo nisten der antike Mythos von Eros und Psyche. Das Werk besteht aus drei Teilen: „Psyches Schlaf"; „Die Gärten des Eros"; „Psyches Verstoßung, Leiden und Verklärung". Wie in Wagners „Lohengrin" Elsa das Verbot bricht, nach Nam' und Art ihres Ritters zu fragen, so wird die unschuldige Psyche dadurch schuldig, daß sie das Antlitz des Geliebten zu sehen begehrt. Für die Erkennt nis von Liebe und Glück muß Psyche büßen, Leid und Verstoßung tragen. Der erste Teil der Tondichtung besteht seinerseits aus zwei Unterabschnitten: „Psyches Schlaf" und „Psyche wird vom Zephir entführt". Uber zarten Streicher harmonien schwebt eine weitgespannte, leicht dahingleitende Holzbläsermelodie: das Bild der schlummernden Psyche. Die anmutig-zarte Grundstimmung ist auch dem anschließenden, sehr beschwingten Tonbild eigen. Leichte Achtelketten der Holzbläser leiten den ebenfalls aus zwei Abschnitten bestehenden zweiten Teil, „Die Gärten des Eros", ein. Hier setzt erstmalig auch der Chor ein, der die reine Liebe preist und Psyche warnt, jemals das Angesicht ihres Geliebten sehen zu wollen. Die „Schlafmotive" des ersten Teiles kehren wieder. Im folgen den Abschnitt, „Psyche und Eros" überschrieben, wird die lyrische Stimmung noch vertieft. Es ist herrlichste Musik von wunderbarer Leuchtkraft, gleichsam ein Wechselgesang zwischen Eros und Psyche. Am Schluß tönt in den Bratschen die Mahnung des Chores wieder auf, doch die entscheidende, schicksalsschwere Frage ist schon gestellt. Der dritte Teil der Komposition beginnt mit der Klage des Chores über Psyches Verstoßung. Die Gärten des Eros versinken, werden zu schmerzlich-sehnsüchtigen Erinnerungen. Psyche irrt klagend umher. Ihre Leiden werden vom Orchester leidenschaftlich dargestellt. Doch dann wird die Hoffnung der Verstoßenen auf Verzeihung des Gottes Wirklichkeit. Uber dem „Eros"- und „Garten"-Motiv entfaltet sich ein wahrer Sturm von Jubel und Verklärung. Zu Beginn der Apotheose läßt sich auch der Chor nochmals vernehmen, während der festliche Schluß dem Orchester gehört. Programmblätter der Dresdner Philharmonie - Spielzeit 1971/72 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Die Einführung in das Brittensche Werk und die Mozart-Arie stammen von Prof. Dr. Alfred Brockhaus und Günter Rimkus Druck: veb polydruck, Werk 3 Pirna — 111-25-12 3 ItG 009-7-72 (•Inilhiamnoni 5. ZYKLUS-KONZERT UND 5. KONZERT IM ANRECHT C 1971/72