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DRESDNER PHILHARMONIE Sonnabend, den 4. Dezember 1971, 20.00 Uhr Sonntag, den 5. Dezember 1971, 20.00 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 4. ZYKLUS - KONZERT UND 4. KONZERT IM ANRECHT C Dirigent: Lothar Seyfarth Solisten: Herbert Rössler, Berlin, Baß Hans Pischner, Berlin, Cembalo Chor: Kinderchor des Philharmonischen Chores Dresden Einstudierung Wolfaang Berger Johann Sebastian Bach Konzert für Cembalo und Streichorchester A-Dur 1685-1750 BWV 1055 Allegro Larghetto Allegro Georg Philipp Telemann Der Schulmeister - Komische Kantate für Baß, 1681-1767 Kinderchor und Streichorches'er Ouvertüre Rezitativ „Ihr Jungen, sperrt die Ohren auf" Aria „Wenn der Schulmeister singet" Rezitativ und Chor „Das war ein rechtes Meisterstücke" Rezitativ „Das war eins aus dem C" Aria „Wer die Musik nicht liebt" PAUSE Francis Poulenc 1899-1963 Kurt Hessenberg geb. 1908 Concert champetre für Cembalo und Orchester Adagio — Allegro molto Andante Finale (Presto) Erstaufführung Struwwelpeter-Kantate nach dem Bilderbuch von Heinrich Hoffmann für 1- bis 3stimmigen Kinderchor und Orchester op. 49 Der Struwwelpeter Die Geschichte vom bösen Friedrich Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug Die Geschichte von den schwarzen Buben Die Geschichte vom wilden Jäger Die Geschichte vom Daumenlutscher Die Geschichte vom Suppen-Kasper Die Geschichte vom Zappel-Philipp Die Geschichte vom Hanns Guck-in-die-Luft Die Geschichte vom fliegenden Robert PROF. DR. HANS PISCHNER wurde 1914 in Breslau geboren. Er erhielt eine Ausbildung im Klavierspiel — später wandte er sich vor allem dem Cembalo zu — und studierte Musik wissenschaft an der Universität seiner Heimatstadt. 1947 wurde er geschäftsführender Direktor der Weimarer Musikhochschule, 1950 Leiter der Hauptabteilung Musik beim Berliner Rundfunk. 1954 übernahm er die Leitung der Hauptabteilung Musik des Ministeriums für Kultur und wurde 1956 zum Stellvertreter des Ministers für Kultur berufen. Seit 1963 ist Prof. Pischner Intendant der Deutschen Staatsoper Berlin. Der 1961 mit dem Nationalpreis ausgezeichnete prominente Cembalist und Musikwissenschaftler ist außerdem Stellvertretender Vorsitzender der Neuen Bach-Gesellschaft (Sitz Leipzig), Ordentliches Mitglied und Vizepräsident der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin. Hans Pischner konzertierte u. a. in vielen Städten der DDR, in der CSSR, in Ungarn, Bulgarien, Polen, Rumänien, der Sowjetunion, in Jugoslawien, Frankreich, Österreich, in der Schweiz und in der VAR. Er produzierte zahlreiche Schallplatten, darunter sämtliche Sonaten für Violine und Cembalo von Bach gemeinsam mit David Oistrach. ZUR EINFÜHRUNG Bei Johann Sebastian Bachs Klavierkonzerten (der Meister verwendete bis zu vier Soloinstrumenten) handelt es sich in den meisten Fällen um Über tragungen von Violin- und Orgelkonzerten, zum Teil von fremder Hand stammend. Aus derartigen Transkriptionen ist die Gattung des Klavierkonzertes überhaupt entstanden. Unter dem Klavier verstand man in der Bach-Zeit natürlich nicht den modernen Hammerflügel, sondern das Cembalo, dessen Saiten nicht „angeschlagen", sondern „angerissen" werden. Der konzertierende Gegensatz zwischen Orchester und Soloinstrument ist in diesen frühen Gattungs belegen nicht klanglich, sondern musikalisch durch Tutti- und Solo-Themen ausgedrückt. Die Mehrzahl der Bachschen Klavierkonzerte entstand um 1730 und dürfte in dem von dem Thomaskantor geleiteten studentischen Collegium musicum in Leipzig das erste Mal erklungen sein. Die Art der Stimmenbehandlung in dem unser heutiges Programm einleitenden Konzert für Cembalo und Streichorchester A-Dur BWV 1 0 5 5 deutet darauf hin, daß Bachs Vorlage möglicherweise bereits ein Cembalo- oder Orgelkonzert war, obwohl in der Bach-Forschung auch die Ansicht vertreten wird, daß es sich hier um die Bearbeitung eines früheren Violin konzertes des Meisters handeln könnte. Auf alle Fälle ist die Substanz des Werkes bedeutend. Zwei lebendige Allegro-Sätze von echt Bachscher Plastik rahmen ein fis-Moll-Larghetto von ergreifender Schönheit im Siciliano-Rhythmus ein: „eine Klage, welche die ersten Violinen in weitgedehnten, abwärts sinken den Schritten über einem chromatisch absteigenden Baß (der damals immer Klage bedeutet, Lamento-Baß) den Satz hindurch führen, während das Cembaio in langen, langsamen Tonranken der Oberstimme die Linie der Violine in sanfte Bewegung auflöst" (H. Engel). Georg Philipp Telemanns Kantate „Der Schulmeiste r", eine auch zeitgeschichtlich aufschlußreiche, possierliche Satire auf die Alltags nöte eines Schulmeisters des 18. Jahrhundets, ist nicht im Original, sondern in einer Bearbeitung des in Kopenhagen wirkenden Organisten und Komponisten Christoph Ernst Friedrich Weyse (T 1842) überliefert. Daß Telemann, der von seinen Zeitgenossen auch als „Dichter" gerühmt wurde, selbst den Text verfaßt hat, wie Weyses Partitur angibt, erscheint wahrscheinlich; denn bei den Worten des Schulmeisters „dergleichen weder Telemann noch Hasse selbst zuwege bringen kann" handelt es sich offenbar um eine witzige Selbstzitierung und Apostrophierung Johann Adolf Hasses, der übrigens den gleichen Text vertont hat. Weyse hat das Original für Streichorchester, zwei Oboen, zwei Fagotte und zwei Hörner instrumentiert. Bei der Rekonstruktion der mutmaßlichen Urfassung wurde die Besetzung mit zwei Violinen und Continua gewählt, die die weltliche Kantate des 18. Jahrhunderts bevorzugt. „Wie in seinen komischen Singspielen (Pimpinone, Der geduldige Sokrates u. a.) erweist sich Telemann, dessen .schertzhafte Ausschweifungen, originalen Ton und komische Launen' schon seine zeitgenössischen Kritiker rühmten, auch in dieser, von echtem Lustspielgeist beschwingten Kantate als überlegener Humorist und witziger Satiriker. Der langjährige Kantor des Hamburger Gymnasiums und Johanneums, der die Mühsale eines vielgeplagten Singepräzeptors am eigenen Leibe zur Genüge erfahren hat, schildert mit sprühender Laune und köstlicher Selbstironie eine Gesangstunde, die ein hypochondrisch brummender, doch gemütvoller und von seiner Kunst begeisterter Schulmeister, ein ebenbürtiger Vorläufer von Lortzings unsterblichem Baculus, mit seinen begriffsstutzigen, ungezogenen Jungen abhält. Sein Pomposo-Auftritt im alten gravitätischen Ouvertürenrhythmus, sein grimmiger Ausfall gegen die welsche Solmisation, das zweimalige klägliche Steckenbieiben in seiner wichtigtuerischen ,Aria', wobei er