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diese Gattung unter ganz neue Gesetze stellt: war doch das Entstehungsjahr 18U2, das Jahr des erschütternden „Heiligenstädier Testaments", für ihn durch die menschliche Tragik seiner beginnenden Ertaubung auch in persönlicher Beziehung äußerst krisenreich una bedeutungsvoll. Aus dem c-Moll-Konzeri: (schon die Wahl dieser Tonart ist charakteristisch) spricht bereits der gereifte Meister zu uns, der sich in großen, leidenschaftlichen Auseinandersetzungen durch die ihn bewegenden Probleme hindurchkämptt und sie endlich über windet. In formaler Hinsicht wird dabei in diesem Werk zum erstenmal in der Geschichte des Instrumentaikonzerts das Konzert der Sinfon.e angeglichen und auch in der Verarbeitung des thematischen Materials dem sinfonischen Prinzip unterworfen. So wie beim Soloinstrument das Virtuose jetzt vollkommen in den Dienst der inhaltlichen Aussage gestellt wird, wird nun auch das Orchester aus seiner bisher größtenteils nur begleitenden Funktion gelöst — Klavier und Orchester konzertieren im dramatischen, spannungsgeladenen Mit- und Ge geneinander in absoluter Gleichberechtigung. Das plastisch-einprägsame, männliche Hauptthema des ersten Satzes (Allegro con brio) setzt sich aus einem aufsteigenden c-Moll-Dreiklang, einem abwärts zum Grundton fallenden Schreitmotiv und einem ausgesprochen rhythmischen Quartenmotiv zusammen, das besonders in der Coda (hier von den Pauken gespielt) wichtig für die thematische Entwicklung wird. Einen Gegensatz dazu bringt ein schwärmerisches, gesangvolles zweites Thema in der Paralleltonart Es-Dur. Nachdem das Hauptthema die orchestrale Exposition energisch been det hat, beginnt in der an Auseinandersetzungen und Spannungen reichen, die Themen meisterhaft verarbeitenden großen Durchführung das intensive Wechselspiel der beiden Partner, das schließlich noch nach der Kadenz des Solisten in der Coda eine letzte Steigerung erfährt. Schon rein durch seine Tonart E-Dur hebt sich das folgende, innig-schöne Largo merklich von den Ecksätzen ab. Der dreiteilig angelegte Satz, von dem eine gelöste, feierlich-ruhevolle Stimmung ausgeht, setzt solistisch ein; das zuerst vom Klavier vorgetragene Thema ist von klassischer Größe und Erhabenheit. Im Zwiegespräch mit dem Orchester wird es dann durch das Soloinstrument mit feinem, filigranhaften Figurenwerk umspielt. Harfenähnliche Arpeggien des Klaviers umranken im Mittelteil des Largos den Gesang der Flöten und Fagotte, bis in der Reprise wieder die Ornamentik des begleitenden Soloinstrumentes, jetzt noch reicher angewendet, kennzeichnend wird. Der lebhafte, humorvoll-energische Finalsatz, ein Rondo, führt in die Haupttonart c-Moll zurück. Wiederum beginnt der Solist mit dem Hauptthema, das zu- packend-trotzige Züge trägt und im Verlauf des Satzes im geistvollen Dialog zwischen Orchester und Klavier mit Varianten immer wieder auftaucht, wobei interessante harmonische Rückungen, eigenwillige Modulationen charakteristisch sind. Nach einer zweiten kurzen Kadenz des Klaviers findet ein Wechsel von Takt, Tempo und Tonart statt. Die stürmische Coda (%-Takt, Presto) schließt in strahlendem C-Dur schwungvoll und glänzend das Konzert ab. Aus dem reichhaltigen und vielseitigen Schaffen Cesar Francks haben sich bei uns neben etlichen Orgel- und Kammermusikwerken eigentlich nur seine d-Moll-Sinfonie und die Sinfonischen Variationen für Klavier und Orchester einen festen Platz in den Konzertsälen erringen können. Das ist um so verwunderlicher, da die Musik des französischen Meisters der deutschen durchaus nicht wesensfremd ist und für Franck Anregungen seiner Zeitgenossen Brahms und Wagner als auch Bach geistig und formal von großer Bedeutung waren. Der 1822 in Lüttich geborene Komponist gelangte früh in den Bannkreis von Paris. Frühzeitig mit Preisen für Klavier- und Orgelspiel ausgezeichnet, blieb dem reifen Komponisten die gebührende Anerkennung versagt. In ärm lichen Verhältnissen lebte er als Musiklehrer und Organist in Paris, bis ihm 1872 eine Professur am Pariser Konservatorium angetragen wurde. Erst etliche Jahre nach seinem Tod (1890) begannen sich seine Werke durchzusetzen. Die musikalische Sprache der Romantik, ins Romanische transponiert, eine an vor klassischen Meistern geschulte Formklarheit und eine mit französischer Delika tesse behandelte Instrumentation sind die Wesensmerkmale der Musik Francks, dessen 150. Geburtstag am 10. Dezember dieses Jahres zu gedenken ist. Die Sinfonie d-Moll wurde zwischen 1886 und 1888 komponiert und 1889 in Paris uraufgeführt. Die schöne und bedeutende, in ihrer Grundstimmung schwermütig-nachdenkliche Schöpfung, in einem typisch spätromantischen, farbig-weicnen Ausdrucksstil gehalten, umschließt in ihrer weiten Gefühlsspanne Empnndungen von zarter Innigkeit ebenso wie starke dramatische Ausbrüche. Deutlich wird der leidenschaftliche Kampf gegen Gefühle tragischer Einsamkeit und Zerrissenheit, das innere Streben nach Klarheit und Licht, nach Befreiung und Freude. Das dreisätzig angelegte Werk, dem ein langsamer Satz fehlt, gehört seinem formalen Aurbau und seiner thematischen Gliederung nach zur zyklischen Form; der Sinfonie wird durch die leitmotivartige Verwendung der Hauptthemen in allen drei Sätzen, das Aufgreifen der einzelnen Themen in mannigfaltiger Beleuchtung, eine gedankliche und gestaltungsmäßige Einheit verliehen. Von einem langsamen Abschnitt (Lento) wird der erste Satz eingeleitet, der durch einen häufigen Wechsel von Tonarten und Tempi charakterisiert wird und vorwie gend heftige, stürmische Gefühlsausbrüche, schmerzliche Spannungen zum Aus druck bringt. Das melancholische Hauptthema des Satzes, das bestimmend für dessen Verlauf wird, erklingt anfangs in Bratschen, Celli und Kontrabässen und wird im folgenden Allegro rhythmisch und in seinem Charakter verändert. Noch einmal schließt sich der Wechsel zwischen schwermütigem Lento und heftig-trotzi gem Allegro an. Ein zweites, kantables Thema in Violinen und Holzbläsern bringt kaum Tröstung. Motive beider Themen werden in einem durchführungsartigen Teil verarbeitet. Obwohl es am Ende des Satzes, an dem das Hauptthema noch einmal wuchtig im Orchestertutti ertönt, zu einem Dur-Ausklang kommt, wird die schmerzliche Ausgangsstimmung nicht überwunden. Nach einer kurzen Einführung durch Harfe und Streicher trägt das Englischhorn das melodische Hauptthema des zweiten Satzes (Allegretto) vor. Klarinetten und Hörner, nach acht Takten durch die Flöte verstärkt, antworten ihm. Im Mittelteil des poetischen Satzes, der insgesamt heiterer und entspannter als der erste Satz angelegt ist, haben vor allem die Violinen eine führende Rolle inne. Hauptmotive der beiden anderen Sätze erscheinen wieder im Finalsatz (Allegro non troppo), der mit stürmischen Einleitungstakten einsetzt und den schließlichen Sieg über die — auch noch hier wieder wirksam werdenden — tragischen Elemente des Werkes bringt. Neu treten zu den bereits bekannten, wieder aufgegriffenen Motiven noch das Kopfmotiv des Finales (Fagotte und Celli) sowie ein Seiten thema der Blechbläser. Hell und licht bietet sich endlich der überzeugend ge staltete, befreiende Ausklang der Sinfonie in feierlichen Klängen der Bläser, in prächtigen Klangfarben des vollen Orchesters dar. VORANKÜNDIGUNG: Mittwoch, den 29., und Donnerstag, den 30. November 1972, jeweils 20.00 Uhr, Kulturpalast 4. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Günther Herbig Solistin: Liana Issakadse, Sowjetunion, Violine Werke von Beethoven, Lalö und Tschaikowski Freier Kartenverkauf Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1972/73 — Chefdirigent: Günther Herbig Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Die Einführung in den Sinfoniesatz c-Moll von Mendelssohn schrieb unser Praktikant Andreas Glöckner vom Fachbereich Musikwissenschaft der Karl-Marx-Universität Leipzig Druck: Polydruck Radeberg, PA Pirna - 111-25-12 3 ItG 009-110-72 »KilHarooooi 3. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1972/73