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GEORG FRIEDRICH H Ä N D E L 1685-1759 JOSEPH HAYDN 1732-1809 FRANZ SCHUBERT 1797-1828 /-dus der lOassermusik (<Suife ^- c tDur') Ouvertüre (Grave-Allegro) Adagio e staccato Allegro - Andante - Allegro A tempo di Minuetto Air Menuett (Pomposo) Dirigent: Hartmut Haenchen, Leipzig Georg Friedrich Händels sogenannte „Wassermusik'' entstand wahrschein lich in den Jahren 1715/1716; gedruckt erschien sie erstmalig 1734 bei Walsh. Legen denumwoben sind Entstehungsanlaß und Aufführungsort: Händel soll sie geschrieben haben, um den über seinen (damals schon Jahre zurückliegenden) Weggang von Han nover erzürnten englischen König, der auch dort sein Landesherr gewesen war, zu be sänftigen. Gelegenheit bot sich dazu bei einer musikalisch auszugestaltenden Wasser fahrt auf der Themse. Entsprechende Lustpartien des Königs sind sowohl vom Jahre 1715 wie vom Jahre 1717 bezeugt; es ist möglich, daß zu beiden Gelegenheiten Teile dieser umfangreichen Musik geboten wurden, die nach zeitgenössischen Berichten außerordentlichen Anklang fand. Wie dem auch sei: Diese breit ausgebaute Suitenkomposition ist kaum in einem Schaffenszuge entstanden, weist aber andererseits deutlich Kennzeichen eines Gelegen heitswerkes auf. Anregungen verschiedenster Art und Herkunft sind hier zusammen geflossen zu einem mächtigen Strom unvergänglicher Musik; das Werk ist in seiner Instrumentationsfülle, in seiner Melodienfreudigkeit und seinem tänzerischen Schwung eines der herrlichsten Beispiele volkstümlicher Instrumentalmusik. Die besondere Eigen art der „Wassermusik" liegt in der überzeugenden Knappheit der Formgebung, in dem deutlichen Rückgriff auf volkstümliche Tanztypen, in dem heiteren, festlichen Glanz dieser Musik, die dem optimistischen Lebensgefühl des progressiven englischen Bürger tums Anfang des 18. Jahrhunderts überzeugenden Ausdruck verlieh. Aus der insgesamt mehr als 20 (teils längere, teils sehr knapp gehaltene) Stücke um fassenden „Wassermusik" erklingt heute eine Suite von sechs Sätzen. Dem schnellen Hauptsatz der Ouvertüre ist nach französischem Stil noch eine langsame Einleitung vorgestellt. Diese zeigt schon den festlichen, in vielem pompösen Charakter dieser Musik, die sich dann im fugatomäßig einsetzenden, aber bald zu kraftvoller Homo phonie gesteigerten Hauptsatz in frohem Glanze ausbreitet. Der folgende langsame Satz, mit der für Händel so typischen Angabe „Adagio e staccato”, läßt eines seiner ausdrucksvollen Oboen-Soli in breitflöchigem d-Moll erklingen, dessen nicht enden wollende und doch stark gegliederte Melodien zum stockenden Dominantschluß führen. In freudigem, fast übermütigem F-Dur konzertieren dann zwei Hörner mit den Holzbläsern (2 Oboen und Fagott) und Streichern - in seinen kraftvoll aufsteigenden Dreiklangsmotiven, lustigen Trillern und rauschenden Tonleiterskalen einer der volks tümlichsten Sätze Händels, der sehr poetisch einen langsameren d-Moll-Mittelsatz nach Art der Dacapo-Arie einschließt; hier scheint, wie in Händels Vokalwerken, jede Stimme mit echtem menschlichen Ausdruck zu uns zu sprechen. Ein hartnäckig die Eins beto nendes Menuett bringt weitere solistische Gelüste der Hörner zur Geltung, während der sich zögernd entwickelnde Mittelteil ausnahmsweise die Streicher allein zu Worte kommen läßt. In schönster harmonisch-kontrapunktischer Durcharbeitung singt die fol gende Air ihre geschmeidige Weise, im zweiten Teil von zarten Horntönen umsäumt. Ganz von Hörnern beherrscht ist das in „pompösem" Menuett-Rhythmus einherschrei tende letzte Stück, in dem die stolze Dreiklangsmelodik des Anfangs prächtig der dif ferenzierten Linie des f-Moll-Mittelteils kontrastiert. Prof. Dr. Walther Siegmund-Schultze kConzerl für Oioloncello und Orchester (3- c L)ur Moderato Adagio Allegro molto Solist: Manfred Reichelt, Violoncello, Dresden Dirigent: Hartmut Haenchen, Leipzig Das Konzert C - Du r fü r Violoncel Io und Orchester (Hoboken-Verzeich- nis VII b : 1) von Joseph Ha y d n galt lange Zeit als verschollen. Oldrich Pulkert ent deckte jedoch im Jahre 1961 im Musikarchiv des Nationalmuseums in Prag in dem Fonds Radenin, der vor allem handschriftliche Musikalien aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus der Sammlung des Grafen Filip Frantisek Kolovrat-Krakovsky (gest. 1836) und seiner Familie umfaßt, ein vollständiges handschriftliches Stimmen material zu diesem Werk unter dem verballhornten Namen „heydn". Als damals die Nachricht von dem bedeutenden Fund durch die tschechoslowakische Nachrichtenagen tur verbreitet wurde, erregte sie verdientermaßen beträchtliches Aufsehen in der tsche chischen und ausländischen Musikweit. Nach eingehendem Quellenstudium und Über prüfung der Originalschrift des Konzertes, also der einzigen bisher existierenden bzw. aufgefundenen, konnte auch vom Joseph-Haydn-Institut in Köln die gerade angesichts eines solch spät erfolgten Fundes doppelt berechtigte Frage nach der Echtheit des Ma terials verbindlich beantwortet werden: „Die Echtheit des Werkes ist unzweifelbar, weil das Thema in Haydns eigenem Werkkatalog (sog. Entwurf-Katalog) notiert ist. Darüber hinaus gestattet der Stil keinen Zweifel an Haydns Autorschaft. Das neuentdeckte Cellokonzert stellt eines der besten Werke aus den 1760er Jahren dar". Möglicherweise war die Komposition ein Repertoirestück von dem Violoncellisten Joseph Franz Weigl, dem in der Esterhazy-Kapelle von 1761 bis 1769 tätigen Freund Haydns. Stilistisch steht das Konzert in der Nähe der sinfonischen Werke Haydns aus der Zeit um 1765: Es besitzt deutlich Züge aus der frühen Schaffensperiode des Meisters. Haydns Cellokonzert C-Dur erklang erstmals nach der Auffindung am 19. Mai 1962 während des „Prager Frühlings" in einer Wiedergabe von Milos Sädlo, der von dem Prager Rundfunksinfonieorchester unter Charles Mackerras begleitet wurde. Das Konzert weist eine für die Entstehungszeit ungewöhnliche zyklische Konzeption auf: Der erste Satz (Moderato) ist in der klassischen Sonatenform, der zweite (Adagio) in der dreiteiligen Liedform, der dritte, das Finale (Allegro molto), wiederum in der Sona tenform geschrieben. Das thematische Material ist einprägsam. Dem Soloinstrumenr sind alle Möglichkeiten eingeräumt, technisch konzertante Ansprüche mit einem kulti vierten musikalischen Ausdruck zu verbinden. Der Schwerpunkt der Orchesterbegleitung liegt auf dem orchestralen Streichquartett, das lediglich in den Einleitungs- und Schlußteilen sowie in Zwischenspielen mit weiteren Violinen und Blasinstrumenten ver stärkt ist. Die Themenaufstellung des ersten Satzes (Orchestereinleitung) bringt zwei Hauptgedanken: ein barock-festliches Thema von entschiedener Haltung, dem sich später in der Durchführung vor allem der Solist zuwendet, und ein zurückhaltend gesangliches Thema, das mehr dem Orchester vorbehalten bleibt. Auf die Liedform des zweiten Satzes - mit kontrastierendem Mittelteil — wurde schon hingewiesen. Ein aus gedehnter Sonatensatz begegnet uns im Finale. Das heiter-freundliche Hauptthema und das seufzende Moll-Thema, das an zweiter Stelle steht, werden vom Soloinstrument und Orchester gleichermaßen verarbeitet. Dr. Dieter Härtwig ^infame h- llldl (LI, i vollendete) Allegro moderato Andante con moto Dirigent: Hartmut Haenchen, Leipzig Die Unvereinbarkeit zwischen Kunst und Leben, Wahrheit und bürgerlicher Wirklichkeit seiner Zeit erkannte Franz Schubert um so mehr, je reifer er wurde. Seit 1819 bemächtigte sich dieser tragische Antagonismus seines Liedschaffens, seiner Kammer musik und schließlich seiner Sinfonik. Wie der schmerzlich-heftige Streichquartett-Satz c-Moll aus dem Jahre 1820 blieb auch die Sinfonie h-Moll von 1822 ein Torso und ging als Schuberts „Unvollendete" in die Musikgeschichte ein. Zwingende äußere Gründe für die Nichtvollendung des Werkes gab es nicht. Daß Schubert es nicht zum Abschluß brachte, lag wohl an der noch nicht überwundenen Unschlüssigkeit seiner Flaltung: Auf der einen Seite spürte er die Übermächtigkeit jener für ihn neuen und schmerzhaften gesellschaftlichen Erkenntnis, auf der anderen Seite konnte er sich nur zögernd von einer alten Illusion lösen, vom ungetrübten Leben in der Kunst. So müssen wir uns mit den zwei vollendeten Sätzen der Sinfonie begnügen, die uns Schu berts Durchbruch zu einer neuen, konflikthaften sinfonischen Sprache belegen, deutlich am Beethovenschen Vorbild orientiert und doch eigenständig. Wirklich tragische Gedan ken finden in dem ergreifenden Werk Ausdruck. Nicht die Zerwürfnisse mit dem Vater bilden, wie vielfach angenommen wurde, den Kern des dargestellten Konflikts, sondern seine tragische Lebenserfahrung, daß seine humanistische Lebensverbundenheit unver einbar war mit den sich unaufhaltsam durchsetzenden kapitalistischen Produktionsver hältnissen, wenn ihm auch diese Ursache zu seinem Konflikt mit der Welt letztlich undurchschaubar blieb. Halten wir uns an seine Worte: „Wollte ich Liebe singen, ward sie mir zum Schmerz. Und wollte ich Schmerz nur singen, ward er mir zur Liebe. So zerteilte mich die Liebe und der Schmerz" - darin liegt auch der Leitgedanke seiner „Unvollendeten" beschlossen. Das der Sinfonie in den Bässen gleichsam mottohaft vorangestellte düstere achttaktige Thema, das in der Durchführung und der Coda des ersten Satzes (Allegro moderato) eine große Rolle spielt, läßt diesen Leitgedanken deutlich werden. Nach einem schmerz lichen Klagegesang in Oboen und Klarinetten, einem Hornruf stimmen die Celli, dann die Violinen eine wunderschöne Ländlermeiodie an, die so recht die Herzlichkeit, Wärme und Volkstümlichkeit demonstriert, deren Schubert fähig war. Aber dieser Gesang von der Liebe wird von brutalen Fortissimo-Schlägen des Orchesters unterbrochen, bis die Melodie wieder Kraft findet, sich durchzusetzen. Wie schon die Exposition spiegelt auch der weitere dramatische Verlauf des ersten Satzes die „ZerteiItheit" in Schmerz und Liebe wider. Das fatalisitische Mottomotiv verwandelt sich in ein heroisches Kampf motiv. Doch den heftigen Kämpfen und Auseinandersetzungen ist kein Sieg beschieden. Mit drei gebieterischen Schlägen scheint der Schmerz über die Liebe zu siegen, der Tod über das Leben. Der zweite Satz (Andante con moto) versucht, fern von den Kämpfen des ersten Satzes, einen Märchenfrieden zu gestalten, seine träumerische Ruhe vor dem Einbruch des Schmerzes, der Realität zu bewahren. Eine friedvolle Kantilene vermag denn auch im ersten Teil, den Eindruck tiefer Ruhe und Ergebenheit zu erzeugen. Doch bald kommt es wieder zu einer großen Klageszene. Der Schmerz bricht erneut auf, bis er sich aber mals in Liebe vewandelt. In der Reprise scheint dann die Verzweiflung noch gesteigert, bis eine endgültige Besänftigung in Wohllaut und Frieden eintritt. Dr. Dieter Härtwig