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tigsten Orchesterwerke des Komponisten, der als musikalische Erscheinung im Zwielicht der sogenannten „Spätromantik" gestanden hat. Sein Gesamtwerk ist eines der vieldeutigsten und widerspruchsvollsten der jüngeren deutschen Musik — ein typisches Spiegelbild jener Zeit, in der es entstand. Die Saturiert- heit und vordergründige Pathetik der Gründerjahre hat wiederholt in Regers Schaffen charakteristischen Ausdruck gefunden, desgleichen die Zeichen einer Zeit und gesellschaftlichen Ordnung, die unaufhaltsam dem Chaos des ersten Weltkrieges, der Auflösung entgegeneilte. Kennzeichnend ist Regers Freund schaft mit dem Maler Max Klinger, der zu etlichen graphischen Arbeiten durch seine Musik inspiriert wurde. Auf ausgedehnten Konzertreisen als Pianist, Orga nist und Dirigent errang er mit seinen Werken im In- und Ausland große Erfolge. Der 1873 in Brand (Bayern) als Sohn eines Lehrers geborene Komponist war Schüler von Hugo Riemann, der auch seine musikalischen Leitbilder wesentlich mitbestimmte. Seit 1901 war er als Lehrer an der Akademie für Tonkunst in München tätig. 1907 wurde er Universitätsmusikdirektor und Kontrapunkt lehrer am Konservatorium zu Leipzig. Eine Fülle von Klavier-, Kammer- und Orchesterwerken entstand und mehrte Regers Ruhm vor allem in Deutschland. 1908 ehrten die Universitäten Berlin, Jena und Heidelberg den Meister mit der Ernennung zum Professor und Ehrendoktor. Das Jahr 1911 brachte die Berufung zum Hofkapellmeister und Generalmusikdirektor in Meiningen, wo er das seit Bülow und Steinbach berühmte Orchester zu internationalem Rang erhob. Von 1914 ab lebte er als Universitätsmusikdirektor in Jena bis zu seinem frühen Tode im Jahre 1916. Regers letzte Lebensjahre waren ausgefüllt durch ein rastloses Schaffen, durch eine umfangreiche Lehr- und Konzerttätigkeit. Mehr als 150 Werke verschiedenster Gattungen hat der Komponist hinterlassen! Großartige Leistungen schuf er vor allem mit Orgel- und Kammermusikwerken, Klavierkompositionen und auch mit einigen unvergänglichen Chor- und Orche sterwerken. Sein reichhaltiges Oeuvre stand nur in den Anfangsjahren unter dem Einfluß Wagners. Die intensive Beschäftigung mit der Orgel, der Unterricht bei dem Kontrapunktiker Riemann, die Bekanntschaft mit Brahms, die Freundschaft zu dem Thomaskantor Karl Straube ließen die geistige Welt der Vorklassik wesentlich werden für das eigene Schaffen, das außer der Musikdramatik alle Gattungen umfaßt. Ein an der klassischen Strenge Bachs geschultes eminentes kontrapunktisches Können verlieh seinen Werken in zunehmendem Maße Klarheit und Folgerichtigkeit des musikalischen Aufbaus. Dabei benutzte Reger alle harmonischen, melodischen und instrumentatorischen Mittel seiner Zeit; freilich nicht immer entging er der Gefahr allzu großer Kompliziertheit, auch der Schwülstigkeit und Überhitzung. In seinen großen Variationswerken über Themen von Bach, Beethoven, Hiller, Mozart und Telemann für Klavier oder für Orchester entfaltete sich seine musikalische Phantasie besonders eindrucks voll. Die Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart o p. 132 sind neben den Hiller-Variationen rasch zu Regers berühmtestem und volkstümlichstem Orchesterwerk aufgestiegen. Das im Sommer 1914 entstandene Werk mutet in der umfassenden überschau der Regerschen Kunst wie ein testamentarisches Vermächtnis an. Der Komponist hat hier den Gipfelpunkt seines jahrelangen Ringens um Einfachheit, Klarheit und Durch sichtigkeit des Ausdrucks und der Orchesterbehandlung erreicht. Sein reifstes, schönstes und bedeutendstes Orchesterwerk müssen wir also in den Mozart- Variationen' sehen, denen das bekannte 6 /g-Thema aus Mozarts Pariser A-Dur- Klaviersonate zugrunde liegt. Mit einem harmonischen Raffinement ohneglei chen, einer hochgesteigerten Chromatik und differenzierten Rhythmik, einer stark kontrastierenden Dynamik wird der großartige Cantus firmus des Mozart- Themas, das hier nur als Phänomen, nicht als stilistische Vorlage, dient, wundersam zu etwas völlig Eigenem und Neuem umgeformt. Regers Werk reicht also weit über den Begriff „Mozart" hinaus. Seine überlegene Phantasie und Gabe zu konzentrierter Ausdrucksverdichtung ließen ein Werk entstehen, dessen gestalterische Vielfalt, dessen schöpferischer Reichtum scheinbar alle Formen sprengt und das doch in die Formen Variationen und Fuge, wie sie bei Reger oft begegnen, hineingepreßt ist. Das Mozart-Thema erklingt zunächst in Originalgestalt, von Holzbläsern und Streichern vorgetragen. Dann folgen acht Variationen, deren größter Teil das Thema oder Ausschnitte aus diesem unangetastet lassen. Im Sinne des vorklassi schen Figurationsprinzipes werden dabei neue Stimmungen durch andere Harmo nisierung (auch Mollversetzung), kontrapunktische Gegenstimmen, Umkehrungen, Veränderungen der Rhythmik und der Instrumentation usw. erreicht. In der vierten und fünften Variation verwandelt Reger auch den Charakter des Themas völlig, wie es in der Romantik üblich war. Die achte Variation ist eine ungemein ausdrucksstarke Fantasie über das Thema. Dann setzt als überwältigende Krö nung des Werkes eine Doppelfuge ein. Das erste Thema wird in leichtflüssigem Staccato angestimmt, das zweite besitzt einen mehr gesanglichen Charakter. Beide Themen werden verknüpft, als Kontrapunkte treten Reminiszenzen aus den Variationen hinzu. Auf dem Höhepunkt der Entwicklung erklingt zu den beiden Fugenthemen (in den ersten Violinen und in der Klarinette) mit strahlend-fest lichem Hörner- und Trompetenklang das originale Mozart-Thema gleichsam als fixe Idee. Der Kreis dieses einzigartigen Variationszyklus hat sich geschlossen. VORANKÜNDIGUNGEN: Sonntag, den 22. Oktober 1972, 19.30 Uhr, Landhaus 2. LANDHAUS-KONZERT Werke von Mozart, Finke und Dvorak Anrecht D Freitag, den 27., und Sonnabend, den 28. Oktober 1972, jeweils 20.00 Uhr, Kulturpalast Einführungsvorträge jeweils 19.00 Uhr Dr. habil. Dieter Härtwig 3. KONZERT IM ANRECHT C und 3. ZYKLUS-KONZERT Dirigent: Lothar Seyfarth Solistin: Renate Schorler, Berlin, Klavier Anrecht C und B Werke von Brahms, Mendelssohn und Reger Mittwoch, den 1., und Donnerstag, den 2. November 1972, jeweils 20.00 Uhr, Kulturpalast 3. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Lothar Seyfarth Solist: Dmitri Baschkirow, Sowjetunion, Klavier Werke von Mendelssohn Bartholdy, Beethoven und Franck Freier Kartenverkauf Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1972/73 — Chefdirigent: Günther Herbig Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Die Einführung in die Tragische Ouvertüre von Brahms schrieb unser Praktikant Andreas Glöckner vom Fachbereich Musikwissenschaft der Karl-Marx-Universität Leipzig Druck: veb polydruck, Werk 3 Pirna - 111-25-12 3 ItG 009-107-72 2. ZYKLUS-KONZERT UND 2. KONZERT IM ANRECHT C 1972/73