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Freitag. Nr. 423. IS. November 18S2. «Wahrheit und Recht, Freiheit «ud Gesetz!» «reis für da« Viertel jahr I'/, Thlr.; jede ein zelne NumMer 2 Ngr. LeitzlZig. Die Zeitung erscheint mit Ausnahme de« Wf R -M" DcuMc Mgkiiitlilc Zcitiing Zu beziehen durch alle Postämter de» In- und Auslandes, sowie durch die tkxpetltwn in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Vnsertionsgebühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Des Bußtags wegen erscheint morgen keine Nummer. Die Zoll- und Handelsfrage. L Berlin, l6. Nov. Es kann seht mit größern! Vertrauen als bisher ausgesprochen werden, daß das preußische Ministerium im Falle der Auf lösung des Zollvereins die Handelspolitik ergreifen wird, welche schon im Jahre 1818 von Seiten der Negierung als die allein richtige bezeichnet wurde und für welche mehr als jemals die öffentliche Meinung sich geltend gemacht hat. In der Thal ist das System des Schutzzolls im Minister- l rathe stets nur von Hrn. v. d. Heydt vertreten gewesen, während die an dern Minister nur von der irrigen Ansicht ausgingen, daß die Handels politik sich der Politik und nicht diese sich jener unterordnen muffe. Hrn. v. d. Heydt's Einfluß ist aber sichtlich im Abnehmen, seitdem die Kreuzzeitung ihm nachgewiesen, wie seine Kasseler Vorschläge genau die österreichischen waren, und dieses Zusammentreffen im Zusammenhänge mit der Thatsache, daß die rechte Hand des Hrn. v. d. Heydt, Hr. Delbrück, vor den Kasseler Ent würfen in Wien war, natürlich der Pauke des preußischen Patriotismus und der nationalen Arbeit des Handelsministers ein arges Loch schlug. Die Kammcrmajorität wird, soweit sich dies bisjetzt beurthcilen läßt, ebenso leb haft für eine freisinnige Handelspolitik sein, als sie jedenfalls gegen die österreichischen Projekte ist. Bcmcrkenswerth ist jedoch der Unterschied zwi schen principicllen und politischen Freihändlern, welcher sich schon jetzt in der Weise geltend macht, daß Jene im Fall der Spaltung des Zollvereins von Durchgangs- und Flußzöllen nichts hören wollen, während Diese meinen, die abgefallenen Staaten müßten durch alle möglichen Chicanen in ihrem Verkehre mit der Nord - und Ostsee gestört werden. Die Un- kenntniß der Wirkung solcher Störungen ist freilich eine Folge des bis herigen Systems. Galt es doch bisher als Staalsweisheit, Zölle zu erhe ben, welche nicht allein die Einfuhr und Concurrcnz fremder Waaren, son dern auch den Erwerb abhielten, welchen Eisenbahnen, Schiffer und Fuhr leute, also auch alle mit denselben in Verbindung stehenden Gewerbe, bei dem Gütertransport finden konnten. Der gute Geist Preußens war von jeher und ist heutzutage noch derjenige der principicllen Freihändler. Die Schutzzöllner haben nichts als Proletariat und Finanzverlegcnheiten hervor gerufen. An den Schutzzöllen würde Preußen zu Grunde gehen, daher empfehlen seine Feinde diese lustige Qualität Handelspolitik. Hoffentlich wird der Geist der prmcipiellen Freihändler gegen Diejenigen das Ueberge- wicht behaupten, welche Principienlosigkeit als Staatsprincip empfehlen. Un geachtet des Ernstes, mit welchem man sich bereits über die neue Ordnung der Dinge nach Bruch des Zollvereins unterhält, ungeachtet der Vorkeh rungen, welche die Regierung bereits in Betreff der neuen Grenzbewachung trifft, ist doch die Aussicht noch keineswegs verschwunden, daß der preu» ßisch-hannoversche Zollverein einen größern Anhang haben werde, als man in Wien ihm wünschen mag. Die Vereinigung der Coalilionsstaaten würde nur zwei Möglichkeiten vorhcrschen lassen: entweder garantirt Oesterreich die bisherigen Zolleinnahmcn und muß dann alljährlich große Summen bezah len, oder cs garantirt nicht, dann müssen die Coalilionsstaaten an Oester reich alljährlich große Summen verlieren. Es ist nicht cinzuschen, was Ver führerisches in solchen Verhältnissen liegt. Auf diese und andere Betrach tungen stützt sich hier namentlich die Ansicht, daß Sachsen mit uns zollver eint bleiben werde, obwol dies von unsern Fabrikanten am allerwenigsten gewünscht wird. In unsern Provinzen Sachsen und Schlesien wird nämlich die sächsische Concurrcnz von den Fabrikanten als eine Hauptschwierigkeit betrachtet. In allen Artikeln des großen Verbrauchs und der Ausfuhr ver mögen unsere Fabrikanten in der That kaum oder nur in sehr geringem Maße mit den sächsischen zu concurriren, was leicht erklärlich ist, wenn man sich erinnert, daß selbst auf dem englischen Markte sächsische Waaren eine bedeutende Nolle spielen. Dentsch t nnd. 2: Berlin, 16. Nov. Keine Frage, daß unter den Gegnern der Re gierung den Männern der Kreuzzeitung der erste Rang gebührt. Sie sind in der That eine Macht, aber — wie wunderbar das den privilegirten Trägern des Cvnservatismus klingen mag — ihre ganze Macht ist rein ne gativer Natur; sie gleichen hierin völlig ihren Antipoden auf der äußersten Linken. Die Schwäche dieser Partei würde sofort ans Licht treten, wenn dieselbe jemals berufen werden sollte, eine schöpferische Thäligkeit zu begin nen. Ihre Macht ist eine rein zufällige: Muth, hervorragendes Talent und begünstigte Stellung einzelner Persönlichkeiten haben ihr (die Gewich tigkeit ihr Gegnerschaft vorweg zugegeben) den Schein wirklichen Könnens verliehen, aber auch nur den Schein. Eine wahre Macht ist immer nur diejenige, die sich auf die vorhandenen großen Kräfte einer Nation zu stützen oder, noch besser, sich mit ihnen zu idcntisicircn vermag. In solchem Sinne hatten wir Kräfte zu Beginn dieses Jahrhunderts: Fichte, Stein, EörrcS. Körner war solche Kraft und selbst Herwcgh. Auf welche Kräfte im Volke, so frage ich jetzt, stützt sich die Partei des Hrn. v. Gerlach? Ist dieser biegsam-geschmeidige Stayl unserer Tage ein Stein gleich jenem Stein? Nein, und nochmals nein! Und doch, auf der andern Seite wieder, was wäre die ganze rostzcrfressene Partei ohne die Schärfe dieses Stahls, ohne die geistige Potenz eines Mannes, dessen Abstammung wie gesellschaftliche Stellung Einen glauben machen konnte, sein ganzes Auftreten sei Marotte oder höchstens doch das interessante Experiment eines Doctrinärs. Die Kreuzzeitungspartei ist da, aber sie ist ein Anachronismus und ein doppel ter und dreifacher in unserm Lande. Mag unser parlamentarisches Leben noch in den Kinderschuhen stecken, mag unsere Viclregiercrci sammt ihrem unliebcnswürdigsten Sohne: der Polizei, das Achselzucken aller Derer nach sich ziehen, die jensei? des Kanals inne wurden, daß Staatsmaschinen (wie alle übrigen) um so besser sind, je cinjachcr sie sind; mag man die Ba- yonnete verwünschen, die den harmlosen Reisenden noch immer vom Per ron entgegenblitzen, dennoch erfüllt uns der feste Glaube, daß wir, und nur wir, die Keime eines freien Volks in uns tragen, weil wir die einzig Durchbildeten und mehr als das, die einzig Gerechten sind. Was man so verächtlich unsere kosmopolitische Natur genannt hat, das ist unsere Tu gend und unsere Weltaufgabe. Falscher Kosmopolitismus mag Verbrechen, mag Selbstmord sein; der echte liebt das Nationale, aber er verklart es; er bekämpft nicht die Nationalität, sondern nur ihre Bornirthcit. Und uns, die wir drauf und dran sind, die großen Ideen von Freiheit und Gleich heit ihrer einzig denkbaren Verwirklichung cntgegcnzuführen, uns bietet diese Kreuzzeitungspartei die ständische Monarchie als den Schlüssel alles Glücks und als den Blitzableiter der Revolution; uns richtet man diesen Gcßler- hut auf und fodert „Reverenz", während doch selbst die Armee, um deren Gunst man buhlt, gleich jenem Leuthold sagt: „Es ist ein Popanz." Die Kreuzzeitung ist eine Macht wie die Vorlesung eines jung hcgel'schen Pro fessors: beide möchten die Weltgeschichte führen, aber die Weltgeschichte ist kein blindgewordcner Bclisar und sie führt selbst. Sie geht ihren großen Gang, wie sie ihn immer ging, und wenn sie Herz und Hand bedarf, um ihren Willen ins Werk zu setzen, so pocht sie nimmer an die Bureauthür in der Dessauerstraße. Man würde sie doch nicht cinlassen. Die Kreuz zeitungspartei ist nur reich an Selbstsucht, aber sie ist arm an Begeisterung und, wer dächte es, selbst an Berechnung. Ihre Siege haben sie übermü- thig gemacht und ihr den klaren Ueberblick über Das genommen, was sie kann und was nicht. Sie hat keine Wurzeln geschlagen in den Herzen des Volks und steht ununterstüht und sympathielos den Bestrebungen dcS übrigen Europa, der Völker wie der Fürsten, gegenüber. Die Kaiserschaft Ludwig Napolcon's, die immer mehr platzgrcifende Centralisation Oester reichs, die aus den factischen Kräften des Landes sich stets neugebärende Aristokratie Englands sind alle das völlige Gcgenthcil einer ständischen Mon archie. Mag man liebäugeln mit Rußland und von ihm den Mörtel er warten, um (so meint man) das zerbröckelnde Europa neu zusammenzukit- ten; mag man glauben, daß die Sonne künftigen Heils, wie die Sonne selbst, von Osten kommen werde, in Einem ist die Rechnung falsch: die ständische Herrlichkeit kommt nicht von dort; knirschend, aber gebrochen liegt der russische Adel zu den Füßen der Romanow. Wir bezweifeln es, daß die Nesselröde kommender Jahrzehnde, um des Wohlbefindens der Kreise Belgard-Schiefelbein willen, sich veranlaßt fühlen könnten, ein Privatissimum bei Professor Stahl zu hören und sind der Meinung, das dem wohlbcwähr- ten Gange russischer Politik nach wie vor das Testament Pcter's des Gro ßen, Nicht aber die Rundschau deö Hrn. v. Gerlach als Wegweiser die nen wird. 'V'Berlin, 17. Nov. Seit einiger Zeit schwebt zwischen unserm KL- nige und dem Kaiser von Oesterreich ein lebhafter brieflicher Austausch der gegenseitigen Ansichten und freundschaftlichen Gesinnungen. Man war wohl berechtigt, an diesen Umstand die Hoffnung auf eine nahe bevorstehende Verständigung zwischen Oesterreich und Preußen zu knüpfen. In gmuntcr- richteten Kreisen ist gestern das Gerücht verbreitet gewesen, der Kaiser von Oesterreich werde in kurzem dem hiesigen Hofe einen Besuch abstatten; auf eine weitere Nachfrage wird uns allerdings bestätigt, daß das Gerücht ge gründet sei und daß der hohe Besuch in Aussicht stehe, wenn nicht beson dere Umstände dazwischentrctcn sollten. Es dürfte kaum an Combinatio ncn fehlen, die sich hieran knüpfen werden; iudeß möchten wir darauf hin» deuten, daß wol weniger die handelspolitische Frage als vielmehr die Ge staltung der Dinge in Frankreich (wenn man denn doch einmal einen äu