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lebendig. Neben vier Sinfonien und zwei Violinkonzerten schuf der Komponist mehrere Bühnenwerke sowie Kantaten, Messen, Lieder und Kammermusikwerke. Das 1933 in Paris geschaffene Violinkonzert Nr. 2 op. 61 entstand in Anlehnung an den frühen Strawinsky. Einflüsse der impressionistischen Schaffensperiode und folkloristische Intonationen sind hier unverkennbar. Farbenreiche Instrumentierung, häufiger Wechsel von Stimmungen und Tempi, breite melodische Bögen charakterisieren das zwar einsätzige, doch mehrglie drige Werk. Der Klavierklang ist als besonderer Farbwert in das Instrumentarium eingefügt. Die überaus anspruchsvolle Komposition wurde dem Geigenvirtuosen Paul Kochansky gewidmet. Leider wird das interessante, farbenfrohe Werk zu Unrecht vernachlässigt. Der Abstand von „Till Eulenspiegels lustigen Streichen" zu Richard Strauss' nächster Tondichtung ist sehr groß. Der junge Nietzscheaner hatte das Bedürfnis, die Stimmungen und Reflexe aus der Lektüre von „Also sprach Zarathustra" in einem Stück Programmusik niederzulegen. Die zeternden Zeitgenossen bekamen es schon bald zu spüren: mit „vertonter Philosophie" hatte das nichts zu tun. Was man in diesem neuen feuertrunkenen Tongedicht zu hören bekam, war weder das klangliche Porträt des frechen „Übermenschen" noch die tönende Widerspiegelung des pathologisch über steigerten Weltbildes des Dichter-Philosophen. In Wahrheit hat Strauss hier nicht die Philosophie Nietzsches in Klänge übertragen, sondern nur den lyrisch hymnischen Gehalt des Zarathustra-Buches zum Ausgangspunkt seines Werkes genommen. Daß es letztlich nur eine musikalische Volksausgabe Nietzsches wurde, gerade das Gegenteil einer intellektuell scharfen, gedanklich klaren Komposition, muß in diesem Falle geradezu versöhnlich stimmen. Der große Prophet steigt vom Berge herab — aber so gründlich, daß er im Tiefland einer höchst unphilosophischen, gesund-diesseitigen Stimmungsmusik anlangt. Und doch ist auch der Lebenshymnus „Zarathustra" ein gutes Stück Strauss. Man braucht nur die der sinnenhaft leuchtenden, spürbar südlich empfundenen Partitur mitgegebenen Nietzsche-Verse anzuführen: „Zu lang hat die Musik geträumt; jetzt wollen wir wachen. Nachtwandler waren wir, Tagwandler wollen wir werden." Der Widerspruch zwischen dem diesmal rein abstrakten Ideenprogramm des philosophierenden Dichters und des nachempfindenden Musikers läßt sich nicht übersehen. Während Nietzsche sich aus Siechtum, Gehemmtsein und Lebens rausch in eine ersehnte Wirklichkeit schmerzvoll hineinträumte, trat Strauss mit der bajuwarischen Vitalität seines geistigen und körperlichen Wesens an diese Weltanschauung heran. Mögen die dithyrambisch-ekstatische Sprache Nietzsches und einzelne erschaute Gedankenbilder die Phantasie des Kompo nisten beflügelt haben: eine solche „Tondichtung (frei nach Nietzsche) für großes Orchester" konnte in seinem Gesamtschaffen nur Ausdruck der „Ver wegenheit“ sein — ein Suchen nach neuen Ausdrucksformen. Sich selbst hat Strauss bei der tondichterischen Beschwörung des Nietzscheschen „Übermen schen" bestimmt nicht gemeint. Die August 1896 in München abgeschlossene und im gleichen Jahr in Frankfurt a. M. uraufgeführte Partitur enthält dafür keinerlei Anhaltspunkte. Sicher hat Romain Rolland recht, wenn er schreibt: „Das Programm, das sich Strauss gestellt hat, verliert sich keineswegs in unbe deutende, malerische und anekdotische Einzelheiten, sondern wird in einigen ausdrucksvollen und majestätischen Zügen umrissen.“ Aber er, der später von einem „schwachen Werk" sprach, übersieht, daß dies populär-weltanschauliche Kompendium von Diesseitigkeit und Mystik, von gelösten und ungelösten Welträtseln auch in solch klangsinnlicher Gestalt die Hörer verwirrt und den Zugang zu den musikalischen Schönheiten erschwert. Dabei ist gerade bei diesem Stück, das seiner Struktur nach gehört und nicht gesehen werden will, der Anteil des Formkünstlers und Klangzauberers Strauss bedeutend; aus seinen klangsinnlichen Reizen resultiert wohl auch in neuerer Zeit eine stärkere Ver breitung. Formal erkennt man mühelos eine sinfonische Fantasie, die ihre Anregung aus verschiedenen Partien der Dichtung empfängt. Das Grundproblem, das Nietzsche und somit auch Strauss bewegt, ist das Verhältnis des Menschen zur Welt - zur Natur. Sonnenaufgangspoesie, an knüpfend an den als Geleitwort vorangestellten ersten Teil des Hymnus an die Sonne, eröffnet die Partitur — diese nicht leicht zu überschauende Intro duktion mit ihren raschen Dur-Moll-Schaltungen und extremen Kontrasten von Licht und Schatten wächst aus dem lapidaren, der Trompete übertragenen C-Dur-Urmotiv der Natur heraus, das nichts anders als die durch die Quint geteilte Oktave ist. Daran reihen sich acht geschlossene, gleichwohl kunstvoll miteinander verbundene Gebilde, „Nummern", wenn man so will. Im Gegen satz zu den denkbar unphilosophisch einfachen Klangsymbolen für die strah lende Sonne (erstmals verwendet Strauss die Orgel), die Sehnsucht, Freuden und Leidenschaften stehen die dunkleren Klangbereiche der Einsamkeit, des Rätselvollen. Höchst eindrucksvoll, wie der Komponist beim abschließenden „Nachtwandlerlied" die H-Dur-Helligkeit des Diskantes gegen das surrende C der Bässe, den Grundton der Natur, setzt. Zur Charakterisierung der „Hinter- weltler" klingt das „Credo in unum Deum" in den Hörnern an; in neue nervös pathetische klangliche Räume stößt Strauss beim vielgeteilten, wunderbar strömenden Streichermelos des Gesangs des Glaubens vor. „Von der großen Sehnsucht" wird auch musikalisch zum unaufhaltsam sich steigernden Drängen und Emporstreben. Der Glorifizierung des Irdischen („Von den Freuden und Leidenschaften") folgt das Funebre des „Grabliedes". Bei der Ironie der Fuge, deren Reihenformung man allen Ernstes als frühes Beispiel einer Anwendung der Zwölftontechnik herangezogen hat, wird die Musik, dem Thema „Von der Wissenschaft" entsprechend — „scholastisch". Der „Genesende" kehrt sich nochmals dem sinnenfrohen, lachenden Leben zu; und beim beschwingten, merkwürdig wienerisch eingefärbten „Tanzlied" tritt der Musiker in naiv-unbe kümmerter Daseinsfreude auf den Plan. Doch selbst dieser „Tanz der leichten Füße“ vermochte nicht, Nietzsche den Menschen nahezubringen. VORANKÜNDIGUNGEN: Mittwoch, den 1., und Donnerstag, den 2. November 1972, jeweils 20.00 Uhr, Kulturpalast 3. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Lothar Seyfarth Solist: Dmitri Baschkirow, Sowjetunion, Klavier Werke von Mendelssohn, Beethoven und Franck Freier Kartenverkauf Freitag, den 10., und Sonnabend, den 11. November 1972, jeweils 20.00 Uhr, Kulturpalast Einführungsvorträge jeweils 19.00 Uhr Dr. habil. Dieter Härtwig 3. PHILHARMONISCHES KONZERT anläßlich der Heinrich-Schütz-Festtage der DDR 1972 Dirigent: Günther Herbig Solisten: Ilse Ludwig, Dresden, Alt Ludwig Güttler, Dresden, Trompete Wolfram Steude, Dresden, Orgel Chor: Philharmonischer Chor Dresden Einstudierung und Leitung Wolfgang Berger Anrecht A Programmblätter Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1972/73 — Chefdirigent: Günther Herbig Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Die Einführung in das 2. Violinkonzert Szymanowskis schrieb unser Praktikant Andreas Glöckner vom Fachbereich Musikwissenschaft der Karl-Marx-Universität Leipzig; der Beitrag über die Tondichtung „Also sprach Zarathustra" von Strauss wurde dem Buch „Richard Strauss — Gestalt und Werk", Leipzig 1963, von Ernst Krause entnommen. Druck: veb polydruck, Werk 3 Pirna - 111-25-12 3 ItG 009-96-72 »hihamnoni 2. PHILHARMONISCHES KONZERT 1972/73