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Dienstag. Leipzig. Di- Zeitung erscheint mu Ausnahme d<» Montags täglich und wird Nachmittags -1 Uhr auS- gegchen. Preis für daö Viertel- fahr I /, Thlr-; jede ein zelne Nummer 2 Ngr. — Nr. 384. October 1852. Deutsche Mgemciue Zeitung. «Wahrheit »ob Recht, Freiheit aud Beseh!» Zu beziehen durch alle Postämter des In- und Auslandes, sowie durch lie V^pecition in Leipzig sQuerstrahc 4!r. 8>. Jnsertionagebüh, sür den Raum einer -feile 2 Ngr. Sachsen und der Zollverein. X Leipzig, 3. Oct. In der Zollangelegenhcit hat die Presse zeit- her vorzugsweise die allgemeinen Verhältnisse erörtert. Es scheint jetzt die höchste Zeit zu sein,, die spcciellere Frage zu untersuchen und zu beantwor ten: Welchen Zuständen geht Sachsen entgegen, wenn eS eine Zollgrenze von Preußen trennen sollte? Man halte erwarten können, daß di« Han- delsvorstände Sachsens schon vor längerer Zeit eine solche wichtige Frage mit allen zu Gebote stehenden Hülfsmitteln und Fachkenntnissen ausgearbeitet, solche der Negierung unterbreitet, und hiervon mittels der Presse öffentliche Rechenschaft abgelegt hätten; allein bisjetzt hat man zum allgemeinen Leidwesen von einer solchen Arbeit noch nichts vernommen. Um die oben aufgestellte Frage genügend beantworten zu können und zum allgemeinem Verständniß zu bringen, ist es nölhig, vorerst einen Blick auf den Zoll- zustand Sachsens vor dem Zollverein zu werfen und vor allen Dingen der oft ausgestellten, grundlosen Behauptung entgegenzulrcten, als habe Sach- sen vor dem Zollvereine eine Art von Freihandelssystcm gehabt. In Sachsen war vor dem Zollanschlussc das schrecklichste Accissystem, welches je auf der Erde bestanden hat, denn mit Ausnahme Leipzigs, welches einige nam hafte Zollbegünstigungen voraushatte, war jede Stadt, ja jede Gemeinde einem Zollcordon unterworfen. Wer von irgend einer sächsischen Gemeinde nach einer andern Waaren des Auslandes oder das geringste im Jnlande selbst erzeugte Product brachte, wurde als Conlrebandicr festgchalten und bestraft, wenn er sich nicht im voraus durch Versteuerung an der hierzu bestimmten Hebestelle schützte. Der Nachweis von bereits auf einer andern sächsischen Hcbestclle erfolgter Versteuerung ein und derselben Waare schützte nicht gegen Confiscation und Strafe, jede Waare mußte aufs neue in der Stadt versteuert werden, wo sie zum Verkauf oder zur Consumlion kam. Ein solches Zollsystem war höchst nicdcrdrückcnd und demoralisirend für die Bevölkerung, das Bestechungswesen der schlechtbesoldctcn Beamten nahm überhand, und die damaligen mit der Leitung dieses Departements betrauten Männer waren von dec Unhaltbarkcit eines solches Zustandes so klar überzeugt, daß sie bereits an einer vollständigen Umwandlung des sächsischen Zollwesens mehre Jahre gearbeitet hatten, als die Anträge Preu ßens und die spätere Annahme dieses Zollsystems erfolgte. Der Anschluß an Preußen brachte Sachsen sofort zwei große Vorthcile: der eine bestand darin, daß der Binnenverkehr völlig frei wurde und somit die für jede Hauswirth schaft sehr lästige Visitatorangclcgcnheit wegfiel; der andere Vortheil war, daß die mit Bestechung der alte», niedern Beamten in der Mehrzahl zoll frei eingebrachten Waaren zum größten Theile einer Nachsteuer entgingen und somit dem handeltreibenden Publicum ein ansehnlicher Gewinn in die Tasche gespielt wurde. Dagegen wurde zum großen Nachtheil der sächsischen Grenzbewohner der Paschhandel nach Preußen mit einem Schlage vernich tet, der nach Oesterreich aber, theils durch beschränkende Maßregeln der Zoll vereinsstaaten, theils durch Tarifherabsctzungen der österreichischen Mauth- direction im Laufe der Jahre so herabgedrückt, daß er fast auf Nichls re- ducirt worden ist. Für die nicht unbedeutende Industrie Sachsens ging der wesentliche Vorthcil aus dieser Zolleinigung hervor, daß sich eine Menge zeilher verschlossener oder schwer zugänglicher Absatzmärkte des deutschen Bin nenlandes dem Verkehre eröffneten, ihr einen höhcrn Aufschwung verliehen, ünd sich eine nicht unbedeutende Anzahl kleinerer industrieller Etablissements auf den Absatz dieser neu eröffneten Märkte basirtcn. Wie dies bei dem freien Binnenverkehr des Zollvereinsgebiels nicht anders sein konnte, nah men die Messen Leipzigs durch den größern Zufluß von Einkäufern und Verkäufern einen höhcrn Aufschwung, die Grundstücke dieses Meßplatzcs stie gen zu einer gewaltigen Höhe des Wcrthcs, und eine allgemeine Zufrieden heit mit diesem Zollanschlusse gab sich durch ganz Sachsen kund. Anders hat sich dies im Laufe der Jahre gestaltet. In dem früher« so wohlhaben den Sachsen zeigte sich nach und nach der schreckcnerrcgcnde Fortschritt größ ter Annuth, und namentlich den Gemeinden in den Jndustriebezirken drängt sich die traurige Bemerkung auf, daß die Masse der Hülfloscn und HülfS- bedürftigen seit einem Jahrzchcnd immer stärker, die Zahl der Steucrfähigen immer schwächer geworden ist. Von vielen Seiten wird diese krebsartig umsichgreifcnde Armuth dem Zolltarif des Zollvereins aufgcbürdct, und wenn es auch richtig ist, daß der Industriearbeiter weit mehr hochbesteuerte, über seeische Producte consumirt als der Ackerbautreibende, welcher sich mehr von unbcstcucrten, eigenen Erzeugnissen nährt, und daß Erstem« hierdurch zu Gunsten mitverbündctcr Länder, die mehr ackerbautreibend sind, eine Steuer aufgelegt wird, die weit über seine Sleuerfähigkcit geht, so möchte doch die Hauptursache der fortschreitenden Verarmung mehr darin zu suchen sein: daß die Gesetzgebung kleiner übervölkerter Staaten die Entwickelung der Maschinen einerseits auf alle Weise begünstigt, das Individuum aber andererseits im alten Zunftzwang gefesselt erhält. Früher lieferten die Ma schinen nur Halbfabrikate, der Hand des Menschen war cS Vorbehalten, dieselben zu Ganzfabrikaten umzuwandeln. In neuerer Zeit aber liefern die Maschinen Ganzfabrikate, und es ist kein Wunder, wenn daS Individuum, vom Zunftzwang gefesselt, einem so mächtigen Gegner physisch und moralisch unterliegt. Sachsen, zwischen zwei mächtige Länder, Oesterreich und Preußen, gedrängt, hat jetzt di« Wahl, sich nach Süden oder Norden zu wen den. Der Norden, bestehend aus Preußen, Hannover, den Herzogthümern Sachsen und Ncußenland, bietet Sachsen die Fortsetzung des alten Ver hältnisses, eine Tarifhcrabschung auf Zucker, Kaffee, Syrup, Taback rc., und die kürzeste freie Verkchrsstraße nach den Welthandel treibenden besten Häfen Deutschlands. Der Süden, bestehend aus Baiern, Württemberg, Baden, beiden Hessen und Nassau, bietet Sachsen das alte Verhältniß ohne Tarifverändcrungcn und die Aussicht einer spätem Vereinigung mit Oester reich. Um zu ermitteln, welche von diesen Offerten die beste sei, wenn das zeithcr bestandene Zollvcrhältniß ferner nicht zu ermöglichen wäre, müßte zunächst die geographische Lage Sachsens zu seinem künftigen Verhältniß er wogen werden. Auf die Zusicherung Oesterreichs, in circa fünf bis sechs Jahren dem Zollvereine beitretcn zu wollen, kann hierbei keine Rücksicht ge nommen werden, da ein so überwiegend industrieller Staat wie Sachsen er wägen muß, was sofort gut ist; denn bis dahin, wo Oesterreich versproche nermaßen seine Grenzen öffnen will, nutzt diese Aussicht dem sächsischen Volke ebenso viel als einem Hungernden die Aussicht auf die Ernte eines folgenden Jahres, und geschähe in der Wahl der Zollgruppc von Seiten Sachsens ein Misgriff, so könnte die Blüte des ganzen Landes zerstört sein, ehe der mögliche Ausgleich durch den Bcitri t Oesterreichs erfolgte. Seiner zeithcrigen Handelspolitik angemessen ncigt sich Sachsen nach dem Süden, und trennte es sich demnach von seinen cm Norden gelegenen Bundesgenos sen, so würde, da die reußischcn Fürstcnihümcr wie die sächsischen Herzog- thümer definitiv bei Preußen verbleiben, es nur durch ein Band, circa eine Meile breit, mit seinen künftigen, südlichen Bundesgenossen, mittels Baiern, verbunden sein und somit der gebrauchte Ausdruck: „cs sei eine Thür nach Süden offen erhalten", wörtlich zu verstehen sein. Die ganz« Lausitz würde eine Binnenstadt gar nicht mehr besitzen, da dieGrcnzwlllinien gegen Preußen wie ge gen Oesterreich, nach der gewöhnlichen normalen Entfernung, auf dieser schmalen Zunge förmlich übereinander wcgschriltcn. Die Grcncbewachung würde dort so kostspielig werden, daß cs vortheilhaster erscheinen dürfte, die ganze Oberlaufitz als Zollenclave zu behandeln und Preußen oder Oesterreich einzuverlciben. Nicht viel besser dürfte dies mit dem leipziger oder voigtländischen Kreise ergehen, deren jeder, von zwei S-itcn mit Grenze umschlossen, dann nur in der Mitte noch einige Städte haben würde, wo der Verkehr ohne Lcgitimationsschein stattsindcn dürfte. Endlich müßte fast jede Station der von Leipzig nach Hof führenden Eisenbahn in ein Grenzstcucramt umgewandclt werden. Die zweite Seite, von welcher eine solche Trennung zu beleuchten sein dürfte, ist die volkswirlhschaftliche. In jedem civilisirtcn Staate gibt es zweierlei Verkehr, einen langgcgliedcrten und einen kurzgeglicdertcn. Der langgeglie- dcrte Verkehr wird durch den Handel, als gewinnsuchcnden Ausgleich des entfernter» Bedürfnisses, vermittelt, und umfaßt nur den reinen Ucberschuß der Arbeit eines Staats. Dcr kurzgegliedcrte Verkehr begreift in sich den Austausch der Arbeitscrzeugnissc der züsammcnlicgendcn Gemeinden. Dcr letztere ist viel größer und wichtiger sür das Staatsleben als der erstere, denn in ihm liegt das ganze Gchcimniß der gleichmäßigen Vcrtheilung des rollirenden Geldes als Wcrthsmassc. Jemchr bewachte Grenze ein Land hat, desto mehr Hindernisse bieten sich diesem kungeglicdcrten Verkehre dar, zum größten Nachthcile der nächsten Bewohner derselben. Schließt sich Sachsen der Darmstädter Koalition, für den Fall eines Bruches mit Preu ßen, an, so ist cs bis auf eine Meile in bewachte Grenze cingcpackt und nimmt fast der Hälfte seiner Einwohner allen Verkehr mit den jenseitigen Grcnznachbarn. Für die Industrie Sachsens würde dann dcr außerordentliche Nachthcil eintceten, daß die von der Nordsee zu beziehenden Rohstoffe und Halbfabrikate den preußischen Durchgangszoll zu tragen hätten, und in Fa brikate, zum Versandt per Nordsee umgewandclt, demselben nochmals unter- warfen wären. Diese DurchgangSzöllc hin und zurück vcrthcuern mindestens den Ccntncr um einen Thaler, bei gefärbten Stoffen noch weit mehr, wcl- chcn Thaler dcr sächsische Fabrikant rein aus dcr Tasche zugibt, wenn er wie frü her concurrircn will. Da dcr Bezug aller Eolonialwaarcn nur von dcr Nordsee auö vorthcilhaft für Sachsen ist, so muß auch jcdcr Ccntncr dic- scr Waarc mindestens einen halben Tsaler preußischen Durcbgangszoll zah- len und vcrtheuert um so viel die Steuer der südlichen Zollgruppc, was keine unbedeutende Last für den sächsischen Consumcntcu ist. Nach den Vor- schlügen PrcußcnS wird der nordische Bund ansehnliche Tarifermaßigungeu auf die hauptsächlichsten Colonialartikel cintrcteu lassen, während die Darm städter Coalirtcn, schon Oesterreichs halber, hierauf bei einer zu erfolgen den Trennung nicht einzugehen gesonnen find. Die Differenz beträgt aus