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L6I2 hier ankam; kein Ruf indessen ließ sich bei dem festlichen Empfange, der ihm wurde, hören, erst Abends im Theater flogen ihm Acclamationen zu. Nirgends und niemals aber haben die Breker mehr die Welt bedeutet als am 14. und 15. Aug in Nantes, sie stellten die Gegenwart allegorisch dar. Ich schweige von der sonstigen Feier des einzigen Nationalfestes, das uns jetzt geblieben ist, sic bestand, wie gewöhnlich, in einem Tedcum, Revue, unbedeutendem Feuerwerk und schwacher Illumination, durch die festlustige Menge zog nebenbei die feierliche Procession des Marientags und gab so dem Tage noch religiösen Glanz, was in dem frommen Nantes nicht ohne Bedeutung ist. Die Hauptsache blieb das Theater. Dem Prinzen Jerome zu Ehren gab man zwei Episoden aus Napoleon'S Leben mit der Apotheose des Kaisers, in den Zwischenacten las man ein Gedicht an den Gast, sowie eins an den Prinz-Präsidenten vor; am 15. Aug. ward die Vorstellung Zvati8 wiederholt; das war natürlich ein Fest für das Volk und die Stoffe waren gut gewählt. Voran ging der „Pariser Taugenichts", der dem Ncstau- rationsadcl so herbe Wahrheiten, der napoleonischen Armee so viel Lob und dem Volke gewaltige Schmeicheleien sagt. Aus Napoleon's Leben aber gab man die „Belagerung von Toulon" und „Napoleon in Schönbrunn nach der Schlacht bei Wagram"; Sie sehen, cs beginnt mit der Republik und endet mit dem Kaiscrthume ganz wie heute. Welch herrliche Moral ließ sich aber in diese Scenen hincinlegcn! Wenn z. B. der junge Napoleon Bonaparte den De- putirten des Convents sagt: „Ihr treibt euer Handwerk von Volksrepräsen tanten, ich treibe das meine!" so ist natürlich zu ergänzen: sauver la krunos". Drastischer und speciellcr werden die Anspielungen in» zweiten Stück; nicht nur dictirt der Kaiser arge Neprimanden über den Prinzen v. Ponte- corvo wegen Verletzungen der Nationalgarde, die noch heute der schwedische Norden verstehen wird; er sagte vor allem mit Ausdruck: „Die Armee ist immer dieselbe, nur einige Namen haben gewechselt." Das ist der Kern. Wenn indessen auf die Blockirung Englands großes Gewicht gelegt ward, so brachte ein starkes Zischen den Beifall des andern Theils zum Schwei gen; natürlich, der Nationalhaß zwischen Frankreich und England erlischt und vor allem lebt unsere Handelsstadt in gutem Einverständniß mit Al bion. In jene Zeit des Kaiserthums fiel bekanntlich der Mordversuch des jungen Staps, das Ereigniß war in die Scene verwebt, aber ich war nicht ohne Ueberraschung, als ich die Nutzanwendung davon aus des Kaisers Munde hörte: „Man erhitzt jetzt die Geister der deutschen Jugend gegen mich, man nährt ihren Freihcitsenthusiasmus, mich zu stürzen; die armen Deutschen! Wenn ich gefallen wäre, würde man ihre Fesseln nur um so scharfer zuschnüren!" Ja, kommen Sie nur in die Bretagne, um den Franzosen die politische Moral zu lesen! Eine Hand wäscht die andere, sagt das Sprüchwort, es läßt sich ohne viel Verdrehung darauf anwenden. „Aber alles Das sind ja meist nur Anekdoten", sagen Sie mir zum Schluß; was wollen Sie Anderes erwarten aus der Provinz? Geschichte macht man nur in Paris. Als die Menge Abends müde nach Hause zog, las sie an den Mauern die telegraphische Depesche, daß an demselben Tage in Paris die Armee bei der Revue den Prinz-Präsidenten mit dem Rufe Vivs I'om- porsur! begrüßt habe. Da haben Sie Geschichte. Vivs Lompeisul ! Großbritannien. -j-London, 18. Aug. Die Freundschaft zwischen Downing-Street und dem Elysee muß einen hohen Wärmegrad erreicht haben, wenn der ministe rielle Morning Herald in einer Polemik gegen die antinapoleonische Sprache der Times sich bis zu folgender Parallele versteigen kann: „Nach unserer Meinung klingt (die von der Times gebrauchte Bezeichnung) Monsieur Bonaparte oder MasterBonaparte ebenso falsch, wie MasterLeopold oder Master Otto, welche beiläufig gesagt mit ihren respectiven Nationen nicht so innig durch 7 Mill. Stimmen und eine innerhalb zwei Jahren zweimal rati- ficirte Wahl 'identificirt sind, klingen würde." Wir bemerken bei dieser Gelegenheit, daß die bonapartistischen Sympathien des Morning Herald sich seit der Veröffentlichung des angeblich apokryphen Vertrags der drei nordi schen Mächte auffallend gesteigert haben; augenscheinlich zur Bestärkung sei ner dreimaligen Erklärung, daß er an die Existenz des Vertrags nicht glau ben kann und denselben, wenn er eine Wahrheit wäre, mißbilligen müßte. — Bekanntlich suchte der Erzbischof von Canterbury seine Autorität als Primas von England jüngst im Interesse der Eiferer geltend zu machen, und begab sich an der Spitze einer hocharistokratisch-hochkirchlichen Deputa tion zu Lord Derby, um im Namen Gottes und der Staatskirche die Schließung des sydenhamer Krystallpalastes an Fast- und Sonn tagen, d. h. die Ausschließung des Volks von demselben zu verlangen. Wel chen Erfolg der Prälat hatte, weiß man nicht, aber der ministerielle Morn ing Herald kommt heute der Petition des Erzbischofs mit einem puritani schen Artikel gegen die beabsichtigte „Sabbathschändung" zu Hülse. Das fromme Blatt sieht in dem Project die Einführung continentaler Gottlosigkeit. Der Papismus, meint unser Eiferer, hat die Zehn Gebote dem Volke vorenthal- ten und verfälscht (?) und an die Stelle des vierten Gebots die Worte ge setzt, „Du sollst die Feiertage halten", während es in der Bibel heißt: „Du sollst den siebenten Tag heilig halten; du sollst keinerlei Art Arbeit thun, weder du, noch dein Weib, dein Knecht, dein Vieh rc." Es heiße auch nicht, den Morgen, sondern den ganzen Tag. In dieser Auffassung des Sabbaths sieht das ministerielle Blatt das wahre Christenthum und das Heil der Welt. Der katholische Kontinent und leider auch das protestantische Preußen schän den, so sagt das ministerielle Blatt, den Sabbath in der verruchtesten Weise; dort gehe man Morgens in die Kirche, und dann, siorribilo cliotu, in den Park, auf den Ball, ins Theater! Das sei der Sabbath von Wien, Paris, München und leider auch von Berlin. „Und als natürliche Folge davon", ruft das staats weise Organ Derby's, „sah ein einziger Monat im Jahre ! 1848 die Herrscher von Paris, Wien, München und Berlin auf der Flucht vor ihren rebellischen UnterthaneN. DaS Volk Englands blieb unbe rührt von diesem plötzlichen Wahnsinn; es war loyal gegen seine Königin, weil es seinen Gott fürchtete", und Sonntags nicht ins Theater ging, son- dern in dj^ Schnapsbude, möchten wir hinzufügen. Die Habeas-CorpuS- actr und andere Kleinigkeiten fallen dem Morning Herald nicht ein. Die Puritaner von 1648 fürchteten ihren Gott wie die antiken Juden, und doch was für abscheuliche Rebellen waren sie gegen ihren König. Auch Das beliebt der Morning H-rald zu vergessen. Die Sabbatarians oder Sabbath. eiferer, welche selbst die Eisenbahn am Sonntag zum Stillstand verurtheilen möchten, gehörten sonst nur den methodistischen, presbyterianischen und an dern Sekten an. Die Staatskirche galt in dieser Beziehung für duldsamer. Der oben erwähnte Schritt des Primas machte daher großes Aufsehen. Das Schlimmste an dieser Erscheinung ist die unverkennbare Heuchelei, die der Agitation zu Grunde liegt. Jene Frommen, die am Sonnabend auf ihre Landsitze fahren, wo sie, wie die Times sehr richtig bemerkte, ihre eige nen Parks, ihre eigenen Wasserfälle und Nachtigallen haben, wird eine noch so verschärfte Sabbathfeier nicht hindern, ihren Sonntag bei Por- ter und Champagner recht weltlich zu genießen. Doch denkt der Editor des Morning Herald nicht daran, am Sonntag keinen Thee zu trinken, da mit „seine Magd oder sein Knecht" nach dem Buchstaben der Bibel kei nerlei Art Arbeit verrichte, aber das arme Volk, wenn man ihm die Ei senbahn nimmt, wird sich den kärglichen Schluck Landluft abgewöhncn, und seinen Gott früh in der Kirche und Abends in der — Schnapskneipe fürch ten. Das vierte Gebot der Sabbatheiferer hat demnach in der Praxis kei nen andern Sinn als: „Wer keine Equipage besitzt, darf Sonntags nicht spazieren fahren." Während der Morning Herald sich mit den Feinden Napoleon's und den Freunden des Krystallpalastes hcrumschlägt, vergißt er die ungleich wich tigere Tagesfrage. Die merkwürdige Eröffnung seines Abendcollegen, des Standard, über die plötzliche Ausgleichung der Fischereienfrage wird von ihm weder wiederholt, noch widerlegt, noch beleuchtet. Globe,' Times und Daily News dagegen schlagen die Hände vor Erstaunen über dem Kopfe zusammen. Denn ist dem osficiösen und officiellen Abend-Herold — wie man den Standard nennen kann — zu glauben, so hat das britische Cabi- net plötzlich den Amerikanern größere Zugeständnisse gemacht, als sie er warten konnten. Es läßt die Buchtenbeschränkung fallen, also den einzigen Streitpunkt, um den es sich handelte, und hat dafür nicht Eine Gegencon- cession erwirkt oder nur verlangt. Dazu, wahrlich, bedurfte es nicht, den grimmen Dreizack zu schwingen, nicht 13 Kriegsschiffe nach der Bai von Fundy zu senden, nicht einen blinden Kriegslärm zu erheben. Ein so an genehmes Conipliment hätten die Amerikaner auch von unbewaffneten Hän- den angenommen. War das der wahre Sinn der Pakington'schen Depe sche, so versteht er nicht englisch zu schreiben; wo nicht, so hat er nach der tollsten Eisenfresserei die Segel gestrichen. In beiden Fällen ist die Bla mage unerhört. Der richtige'Weg war, den Amerikanern die Buchten Ca nadas unter der Bedingung zu öffnen, daß sie das Prämiensystem fallen lassen, damit die Fischer beider Nationen auf gleichem Boden miteinander concurriren können. Die Times ist ermächtigt, zu erklären, daß die beab sichtigte Reise Hrn. Thomas Baring's nach Nordamerika mit keiner di plomatischen Frage in Verbindung stehe; auch habe zwischen ihm und der Regierung über die Fischereienangelegenheit keine Besprechung stattgehabt. Die Königin kam gestern Mittag glücklich in Osborne wieder an. Auf der Heimfahrt war die See nicht eben glatt und schmeichelnd, aber die ganze königliche Familie befand sich recht wohl dabei. Der von uns früher erwähnte Proceß Lord Frankfort's (Nr. 343) ist vor das Criminalgericht der Hauptstadt (Old Bailey oder New- gate) gewiesen. Die Ernteberichte aus dem Norden Irlands sind nicht ungünstig. Aus England dagegen laufen von allen Seiten Klagen über den Schaden ein, den das nasse und veränderliche Wetter anrichtet. Gestern entlud sich in der Umgegend Londons ein heftiges Gewitter, das von stoßweisen Platz regen begleitet war, und wenn" die heute ««getretene feuchte, trübe Witte rung anhalten sollte, dürften die Besorgnisse auf dem Getreidemarkt nicht ungegründet und übertrieben sein. Belgien. In der Jnde'pendance gibt Hr. Colonges, früherer Notar zu Mira- mond (Löt et Garonne) einige Aufschlüsse über die Entsetzung und den ge zwungenen Rücktritt vieler französischen Notare, Avoue's und Ge richtsvollzieher. Ec gibt die Versicherung, daß diese Männer einzig und allein wegen ihrer politischen Principien hätten zurücktreten müssen und zwar weil man ihren Einfluß zur Verbreitung demokratischer Ideen fürchtete. — Hr. Bocher, Verwalter der Güter der Familie Orleans, war am 15. Aug. in Brüssel cingetroffen; er hatte Audienz beim Könige, welche die Erbschaftsangelegenheitcn Ludwig PhilipP's betraf. Dänemark. Kopenhagen, 18. Aug. Flyvepostcn will wissen, daß man in wohl unterrichteten Kreisen von einer theilweisen Ministerkrisis spreche, und hält dies nicht für unwahrscheinlich, da die Abmachung der vorliegenden wichtigen politischen Fragen dissentirende Meinungen im Geheimen Staats- rath hervorgcrufen haben dürfte. — Fädrelandet berichtet über Reibun gen, die an den beiden letzten Abenden in der Krankcnhausgasse zwischen den holsteinischen Soldaten, Volk und hinzugerufener Wachmannschaft statt gefunden haben. Auch am Norderthore ist es, wie Fädrelandet und Dag-