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nur wünschen, nur erträumen konnten, war nunmehr Realität geworden. Der Übergang zur klassenlosen Gesellschaft war geschaffen worden, in der die Ideale der Brüderlichkeit, des Friedens und damit der Freude verwirklicht werden können. Und nun soll eine Aufführung der Neunten Sinfonie im Dresdner Kulturpalast Euer 1. Zentrales Rätetreffen krönen. Ein bedeutungsvolleres, ein schöneres und zugleich großartigeres Werk hätte man nicht für Euch aussuchen können. Einen Lobgesang auf die Freude wollte Beethoven mit seiner Neunten Sinfo nie schreiben. Daß ihm dieser Freudengesang so überzeugend, die Hörer be geisternd gelungen ist, liegt nicht zuletzt daran, daß er in den ersten Sätzen vom Gegensatz ausgeht. Der Gegensatz zur Freude ist die Trauer. Der Gegensatz zu Menschenliebe sind Haß und Verachtung. So wie ein Sonnen tag die Menschen umso freudiger stimmt, wenn ihm Regentage, Sturmtage vorangegangen sind, so spricht uns das Finale der Neunten Sinfonie umso stärker an, wenn wir im ersten Satz Musik hören, die Trauer und Trotz aus spricht, die Verzweiflung eines Menschen, der den brüderlichen Menschen sucht, ohne ihn zu finden. Und der zweite Satz, das Scherzo, greift solche Stim mung wieder auf. Wie ein Unwetter prasseln in den einleitenden Takten die Schläge des Orchesters herab, und diesen Charakterzug wahrt der ganze Satz. Nur ein eingeschobener Mittelteil läßt uns aufatmen — das Mittel des Gegen satzes wird auch hier vom Komponisten angewendet — das Bild einer heite ren Landschaft bietet sich unseren Augen dar. Ja, man kann Musik hörend, auch Bilder sehen, wie man aus Bildern Musik hören kann. Wir in Dresden machen das unseren Pionieren immer in den Galeriekonzerten klar, indem wir die Beschreibung eines Bildes verbinden mit der Beschreibung der auszu führenden Musik. In unserer Beethoven-Sinfonie taucht hier schon das „Freuden- Thema" des letzten Satzes auf, ein Hinweis darauf, daß der Mensch bereits an die Erfüllung seines Glaubens, an eine bessere Welt glaubt. So verstehen wir es auch, daß im folgenden langsamen Satz die Sehnsucht danach, mit einer Musik voll inniger Gedanken, ausgesprochen wird. Nichts Schmerzliches, nichts Dunkles, nichts Widerwärtiges scheint es im Leben des Men schen mehr zu geben. Die Geigen stimmen ein schlichtes Lied an, in das man einstimmen könnte, so leicht zu singen ist es. Auch wenn dann einmal Trom petenfanfaren erklingen, wird der Traum vom Glücklichsein nicht gestört. Sie ordnen sich organisch in das Lied ein und in völliger Verklärtheit klingt der Satz aus. Daß es nur ein Traum war, nur Sehnsucht und noch nicht Erfüllung, sagt uns der Überleitungsteil zum Finale. Dissonanzen (Mißklänge) zerreißen die eben noch friedliche Stimmung. Zwar versucht das uns schon bekannte „Freuden- Thema" sich durchzusetzen, aber es gelingt nicht. Schreckensrufe vertreiben es. Da setzt die menschliche Stimme ein, der Solo-Baß ruft uns zu: ,,O Freunde, nicht diese Töne! Sondern laßt uns angenehmere anstimmen und freudvollere!" Das geschieht dann mit einer Musik, die die Menschen der Zeit Beethovens begeistert hat und die seitdem immer wieder überzeugend von der Schönheit des Lebens, von dem aussichtsvollen Kampf für Frieden und Freude kündet und die Menschen begeistert, im Kampf für dieses humanistische Ideal nicht nachzulassen. Die vorausgegangenen Sätze haben dem Hörer gezeigt, daß es ohne solchen Kampf nicht abgeht, daß der Mensch den Frieden, die Freude, erringen muß. Das hat schon Richard Wagner, der große deutsche Komponist, erkannt, als er mit der Dresdner Aufführung der Neunten Sinfonie dem Werk den Weg in die Konzertsäle bahnte und dazu folgende Sätze über das Finale schrieb: ^,Dem milden Glück der Freude folgt nun ihr Jubel; so schließen wir die Welt an unsere Brust, Jauchzen und Frohlocken erfüllt die Luft wie Donner des Ge wölks, wie Brausen des Meeres, die in ewiger Bewegung und wohltätiger Er schütterung die Erde beleben und erhalten, zur Freude der Menschen,... um glücklich darauf zu sein." Das sind Worte, die den späteren Revolutionär Richard Wagner erkennen lassen, der im Maiaufstand 1849 in Dresden auf die Barrikaden ging und dann vor den Schergen der Konterrevolution fliehen mußte. Was Schiller, was Beethoven, was Wagner in künstlerischen Visionen vor sich sahen, ist in unserer Gegenwart Wirklichkeit geworden. Die Erde gehört uns