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Donnerstag. Zweite Ausgabe. Abends 6 Uhr. 29. April L8S2 Di« Zeitung e«. scheint mit Aulnahm« de« Sonntag« täglich zwei mal und wird autgegrben in Leipzig Bermittag« 1l Uhr, Abend« « Uhr; in Lr«»de« Abend« 2 Uhr, Normittag« 8 Uhr. V»«i« für da« Vierteljahr l V.THlr.; jede einzelne Num. mer l Ngr. —- Nr. WS. Deutsche Mgemcinc Zeitung. Zu beziehen durch alle Post ämter de« In- und Au«lan- d«i, sowie durch die Srp«di- ttonen in Leipzig <Ou«r- ftraße Nr. 8) und »rezdeer (bei E. Höckner, Neustadt, An der Brücke, Nr. I.) «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz I» Insertlou-gebühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Deut schlau». /X Berlin, 28. April. Die Berichte über die heute stattgehabten Sitzun gen beider Kammern bringen Ihnen die Nachricht, in welches neue Sta- dium die Pairiefrage getreten ist. (Nr. 198.) Die neue Proposition, welche jetzt den Kammern unterbreitet worden, gibt dem Könige die unbe- schränktest« Vollmacht zur Zusammensetzung der I. Kammer. Die Frage verdient, daß wir etwas ausführlicher darauf eingehen. Zuvor aber Einiges über das vorgestrige Votum. Wie Sie sich erinnern, ist der Antrag der 1. Kammer, über welchen vorgestern die II. Kammer zu berathen hatte, das Resultat eines CompromisseS zwischen der Partei Bethmann-Hollweg und einem Theile der Linken der I. Kammer. Die äußerste Rechte und die äu ßerste Linke stimmten dagegen. Dieselbe Parteistellung trat nun auch bei der II. Kammer ein. Die ganze Rechte, die sogenannte Junkerpartei, be kämpfte den Antrag, weil die korporativen Verbände der Ritter dabei igno- rirt waren, weil der Regierung freie Hand blieb, sich die Elemente für ihre Paine beliebig zu wählen. Dieser Partei verschlug es wenig, daß die Krone selbst — man erinnere sich des Handbillets, welches Graf Fürstenberg an die l. Kammer brachte — den Ministern aufgetragen hatte, jenen Antrag an- zunehmcn, so sehr aufgctragcn hatte, daß die Minister in der I. Kam- mer als Abgeordnete für Das stimmten, was sie als Minister bekämpft hatten. So weit reicht der Royalismus der Junker nicht. Sie stützen das Königthum nur so lange, als sie es zur Erhaltung ihrer eige nen Privilegien brauchen. Die hochherzige Aufopferung der alten engli schen Barone ist diesen Leuten fremd. Hatte die ganze Frage auch weiter gar kein Interesse und führte sie zu gar keinem andern. Resultate, so müßte man den HH. Hefftcr und Koppe für die Stellung des Antrages schon allein deswegen dankbar sein, daß sie mittelbar dazu beigetragen haben, der Krone die Augen zu öffnen über Diejenigen, welche ihren Royalismus bis her immer auf den Lippen trugen. Die Coterie der Kreuzzeitung ist vor der Zeit entlarvt worden. Anders stellte sich die Sache bei der Linken. Der französisch-rheinische ConstitutionaliSmus, der innerhalb der Linken der I. Kammer zahlreiche Vertretung findet und sich von den Illusionen einer Pairie nach englischem Vorbilde fortrcißen ließ, befindet sich bei der Linken der II. Kammer in der Minorität. Indessen war diese Minorität beträchtlich genug, um das Re sultat der Abstimmung zu Gunsten der Bethmann-Hollwegianer ausfallen zu lassen. Die drei Fractionssihungcn der Linken am 23., 24. und 25. April Abend stellten die Unmöglichkeit heraus, daß die Partei, wie sich wol ge bührte, als eine geschlossene Phalanx auftrat. Die Schlußabstimmung am 25. April Abend ergab etwa 50 gegen 20 für die Pairie. Noch einmal wurde der Versuch gemacht, ein einheitliches Vorgehen zu erreichen. Auf Grund des Parteistatuts wurde von einem der Führer der Antrag gestellt, die Frage zu einer Fractionsfrage zu machen, sodaß sich also die Minder- Helt der Mehrheit würde haben unterwerfen müssen. Allein dieser Antrag erregte einen Ungeheuern Sturm, einzelne Mitglieder drohten, aus der Frak tion auszuscheiden, sodaß der Antragsteller endlich seinen Antrag znrückzog. Hieraus ist ersichtlich, daß die Positionen am 26. April vor der Sitzung scharf gezeichnet waren. Fast mit arithmetischer Genauigkeit ließ sich das Resultat der Abstimmung voraussagen: etwa 10 Stimmen zu Gunsten des Antrags der I. Kammer. Die Ultramontanen hatten sich ebenfalls gcspal- ten, ursprünglich wollten sie gegen den Antrag stimmen, am 26. April er zählte man die Motive, welche einige dieser Herren für den Antrag umge stimmt haben sollen. Ebenso zweifelhaft waren die Polen. Dieser Stand der Dinge währte fast den größten Theil der Sitzung hindurch, bis der Ministerpräsident v. Manteuffel durch seine Erklärung zu Stande brachte, was der Partcidisciplin nicht gelungen war. Hr. v. Manteuffel, ohne Zwei- sel um sich zu rechtfertigen, daß er als Abgeordneter für den Antrag stim- men wollte, gegen den er sich namens der Regierung in der I. Kammer erklärt, gab nämlich der Rechten den Trost, daß auch nach Annahme des Antrags, trotz der „Ernennung auf Lebenszeit" die Regierung sich nicht behindert sehen würde, die Elemente zur Pairie beliebig zu wählen, gab also damit zu verstehen, daß auch die ritterschaftlichen Verbände gehörig be rücksichtigt werden sollten. Man hat sich wol über das Apropos dieser Erklärung den Kopf zerbrochen. Während einerseits behauptet wird, die Regierung habe damit ihre geringen Sympathien für den Antrag an den Tag legen wollen, selbst auf die Gefahr hin, daß derselbe fiele, wollen An- dere nicht glauben, daß der Ministerpräsident ohne weiteres sich mit den Intentionen der Krone habe in Widerspruch setzen wollen und lassen des halb eher einen Mangel an staatsmännischer Klugheit zu. Wie dem auch sein mag, gewiß ist, daß die ministerielle Erklärung dem größten Theile der Minorität der Linken die Augen öffnete. In ihrem Namen, es waren nicht weniger als 17, erklärte Abg. Urlichs, daß sie nunmehr gegen den Antrag stimmen würden. Auch die Polen beschlossen jetzt, ihr Votum da- gegen abzugeben. So fiel der Antrag — wir wiederholen, daß dies sich arith metisch nachweisen läßt — lediglich infolge der Erklärung des Hrn. v. Man teuffel. Die Hofpartei soll nicht wenig erstaunt gewesen sein, als sie hörte, welchen Ursachen sie den Verlust des parlamentarischen Kampfes zuzuschrei- den hatte. In dem Gesagten liegt zugleich der Kommentar zur heutigen Botschaft. Die ganz allgemein gehaltene Bestimmung, wonach die Bildung der I. Kam mer durch königliche Anordnung erfolgen soll, läßt bei der Ausführung den allerweitesten Spielraum. Ihre Vertheidigcr werden nunmehr zu den Jun kern sagen können: stimmt dafür und eine Anzahl von PairSstellen soll auf euern Vorschlag, eure Wahl erfolgen. Zu den Centrumsmännern wird man sagen: stimmt dafür, die Krone ist jetzt durch nichts beengt und wird die Prätensionen der Junker nicht beachten. Auf diese Weise dürfte es wol ge lingen, eine Majorität dafür zu erhalten. Geht der Vorschlag durch, so wird die l. Kammer Preußens eine Art Napoleon'scher Senat, oder eine Art re- fvrmirter Staatsrath, eine Idee, für die Hr; v. Manteuffel besonders schwär men soll, vorstellen. Zu Art. 85 der Verfassung paßt der Vorschlag nicht eben besonders. In diesem Artikel heißt es nämlich: „Die Mitglieder bei der Kammern sind Vertreter des ganzen Volks." Wie von der Negierung ernannte Pairs Vertreter des Volks sein sollen, leuchtet nicht ein. Darauf kommt es aber auch nicht an. Ein anderes Bedenken hingegen, welches vielleicht auch als Präjudicialeinwand aufgestellt werden dürfte, ist folgen des. Art. 64 der Verfassungsurkunde sagt: „Gesetzesvorschläge, welche durch eine der Kammern oder den König verworfen worden sind, können in derselben Sitzungsperiode nicht wieder vorgebracht werden." Der Antrag der I. Kammer ist jedoch von der ll. Kammer verworfen worden. Die königliche Botschaft nun, welche heute eingebracht wurde, ist aber in der Sache derselbe Gesetzvorschlag wie der verworfene. Zwar lautet sie nicht wört lich so, zwar enthält sie nicht die detaillirten Vorschriften über die Zusam mensetzung der I. Kammer. Allein sie stimmt mit dem Anträge doch darin überein, daß sie ebenfalls die Streichung der Art. 65 — 68 der Verfassung verlangt und daß sie die Neubildung der I. Kammer durch königliche Verord nung vorschlägt. Dem Geiste des Art. 64 »ach unterliegt die verfas sungsmäßige Zulässigkeit der heutigen Regierungsvorlage jedenfalls sehr be gründeten Zweifeln. Zum Schluffe mache ich Sie noch auf die ungeheuere Majorität aufmerksam, mit der heute in der II. Kammer die Anträge der I. Kammer behuss Schmälerung der Finanzbefugnisse der Kammern ver worfen worden sind. Die königliche Botschaft ist sicherlich von Einfluß auf diese Abstimmung gewesen. * Ansbach, 26. April. Unter den vielen zur Erweckung und Belebung des „echten Patriotismus" neuerdings bei uns erlassenen Negierungs- rescripten zeichnet sich ein vom 3. April datirteS durch die Originalität seiner Anschauung aus. Ich theile Ihnen den Hauptinhalt davon mit. Es beginnt: „Die Erhaltung der verschiedenen, in den einzelnen Theilen des Kö nigreichs herkömmlichen Trachten, sowol der städtischen, wie insbesondere der ländlichen Bevölkerung, ist nach Rescript des königlichen Staatsministe riums des Innern vom 27. v. M. Sr. Maj. dem Könige namentlich in Berücksichtigung ihrer Zweckdienlichkeit zur Festigung des Nationalgefühls als sehr wünschenswerth bezeichnet worden ". Es führt diese Idee nun weiter aus und befiehlt dann allen Polizeibehörde«, an die es gerichtet ist, Gut achten darüber abzugeben, auf welche Weise diese im AuSsterben begriffenen alten Trachten wieder eingcführt werden könnten. Es empfiehlt namentlich zwei Mittel: 1) Austheilung von passenden Prämien an solche Gemeinden, wo die alten Trachten erhalten oder wieder eingeführt worden; 2) Aufhängung von Abbildungen dieser Trachten in der Schulgemeinde und andern öffent lichen Localen. Zu dem letzter« Zwecke verlangt es schließlich von den Po lizeibehörden die Einsendung solcher Abbildungen. ^Kassel, 27. April. Wir müssen unsere am 21. April gemachte Mittheilung über den Denuncianten Richter in einem Punkte berichtigen. Sein Aufenthalt im Provinzialgcfängniffe ist ein vorübergehender gewesen, der lediglich den Zweck gehabt zu haben scheint, Hrn. Richter für ein Ver- hör zur Verfügung zu stellen. Die gegen den Genannten anhängig ge machte Klage der Unterschlagung anvertrauten Geldes wird nämlich vom Criminalgerichte erledigt, während die Untersuchungen, ein angebliches Com- plot zu Kellner's Befreiung betreffend, welche Hr. Richter durch seine An gaben veranlaßt hat, vom permanenten Kriegsgerichte geführt werden. Nach beiden Seiten hin sind die Gerichte bemüht, die Sachen bald zu Ende zu führen. Es folgen deshalb die Vorladungen und Verhöre sich rasch, die von Seiten beö Kriegsgerichts sogar sehr unerwartet und plötzlich für die Betreffenden, sodaß zu einer vorbereitenden Ucbcrlegung nicht Zeit bleibt.