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786 war jedoch nicht die Absicht Ludwig Napoleon's; wenn er immer die Ar beiter dieser Norstadt auf die Probe stellen wollte, so hatte er eine andere Probe im Auge. Man hat ihm nämlich fortwährend gesagt, da- Volk erwarte mit Ungeduld, daß er sich zum Kaiser mache. Von dieser Unge duld wollte er sich nun mit eigenen Augen überzeugen, und zwar ohne alle Beihülfe einer berüchtigten Gesellschaft. Er fuhr daher so zu sagen im halben Inkognito auf Seitenwegen durch die Vorstadt St.-Antoine nach Vincennes. Er blieb auch in der That auf der Hinfahrt fast unbemerkt, ich sage fast, denn die wenigen Personen, die ihn bei der Barriire du Trane bemerkt hatten, waren gerade hinreichend, die Nachricht von seiner Anwesenheit in Vincennes im ganzen Faubourg zu verbreiten. Sofort ver ließen alle Handwerker ihre Werkstätten und die Hauptstraße des Faubourg wimmelte plötzlich von vielen Tausenden von Arbeitern und war bewegt, wie in den Tagen nach dem Februar 1848. Als wäre der Plan zu einer Kundgebung von ihnen seit lange gefaßt und durchdacht worden, führten sie ihn schnell aus. Etwa hundert Arbeiter bildeten eine Art Telegraphcn- linie von der Barriere du Trane bis nach Vincennes, um die Abfahrt und die Richtung, die der Wagen nehmen würde, in die Vorstadt melden zu kön nen. Als die Nachricht daselbst angekommen, daß der Präsident den ge raden Weg durch die Hauptstraße des Faubourg zurückfahren werde, stell ten sich die Arbeiter von der genannten Barriere bis zum Boulevard in zwei Reihen auf, durch welche der Präsident nolons volens fahren mußte. Ein gewaltiger, mehr drohender als begeisterter Zuruf: Es lebe die Republik! empfing und begleitete ihn ununterbrochen durch die lange, lange Gaffe bis zum Boulevard. Der Prinz-Präsident, welcher weder auf eine so gut or- ganisirte Kundgebung, noch überhaupt auf eine Kundgebung in diesem Sinne vorbereitet war, ward leichenblaß und fühlte sich erst dann wieder Herr sei ner selbst wie Herr des Volks, als er auf dem freien Boulevard in der Mitte jener Bourgeoisie sich befand, gegen welche sich auf die Massen zu stützen das Alpha und Omega seines Systems ist. Wiewol der Präsident vom Boulevard bis ins Elyse'e wieder freier athmcte, kam er doch sehr ver stimmt und beunruhigt nach Hause. Um nun den Eindruck, welchen er aus der Vorstadt St.-Antoine mitgcbracht, zu verwischen, sollten bei der gestrigen Revue Truppen und Volk den Kaiser hoch leben lassen. Diejeni gen von der Umgebung des Präsidenten, die noch mehr als er selbst die Wiederherstellung des Kaiserthums beschleunigen möchten, glaubten, die Kund gebung der Truppen werde die Kundgebung der Arbeiter verwischen. Al lein der Eindruck, den die letztere zurückgclassen, ist so tief, daß man jeden falls die Auferstehung des Kaiserthums als von neuem vertagt betrachten kann. Großbritannien. London, 24. April. In der gestrigen Sitzung des Unterhauses beantragte Lord D. Stuart die Vorlegung der diplomatischen Unterhandlungen mit der Pforte und andern fremden Mächten wegen der zu Kiutahia gefangen gewesene» magya rischen Flüchtlinge. Von gewissen Seiten, sagt der Antragsteller, ist behauptet worden, daß England kein Verdienst um die Freilassung Kossuth's habe, ja sogar, daß dieselbe ein Gnadenact Oesterreichs gewesen sei. Die Sendung des Mississippi nach den Dardanellen gereicht den Vereinigten Staaten gewiß zur Ehre, allein ohne die energische Vermittelung Englands wäre der Mississippi vergebens in den Dardanellen erschienen. Die Ver öffentlichung jener Documente sei ein nothwcndiger Act der Gerechtigkeit ge gen seinen edlen Freund, das Mitglied für Tiverton (Lord Palmerston). Mit peinlichem Befremden habe er gehört, daß der Schatzkanzler die Vor legung jener Actenstücke verweigern wolle. Es sei fern von ihm, dem Schaß- kanzler unedle Motive unterschieben zu wollen, und er bemerke blos, daß die verlangten Documente den guten Ruf der früher«, nicht der jetzigen Regierung afficiren können. Hr. Hume hielt die Veröffentlichung jener für die Nation höchst interessanten Actenstücke für eine Sache, die sich von selbst verstehe. Lord Palmerston hatte für seine Person nichts gegen die Motion einzuwcndcn. Er sei nicht da, um die österreichische Negierung wegen ihres Verhaltens in jener Frage zu tadeln. Andererseits hatte Oesterreich kein Recht, der Pforte vorzuschreiben, wie sie Flüchtlinge behandeln solle, die gegen die Pforte kein Vergehen begangen hatten. Bei ihrer relativen Schwäche hatte die Türkei «ine schwierige Aufgabe zu erfüllen, und es war wichtig, daß sie sich auf die drän genden Vorstellungen anderer Großmächte der österreichischen Negierung gegen über berufen konnte. In diesem Sinne habe die britische Regierung zu wirken gesucht. Ohne Zweifel habe auch die Regierung der Vereinigten Staaten in derselben Weise sich für die Verbannten von Kiutahia bemüht. Was Eng land gcthan habe, werde aus der Correspondenz deutlich hervorgehen. Der Schatzkanzler räumte ein, daß er einmal sich gegen die Veröffentlichung der ganzen Correspondenz ausgesprochen. Er hielt es für unweise, das Andenken an die glücklich beseitigten diplomatischen Reibungen zwischen England und Oester reich, und zwischen Oesterreich und der Pforte, wieder aufzufrischen. Nie sei es ihm in den Sinn gekommen, die Verdienste der frühem Negierung schmälern zu wollen, und da es scheine, daß die Vorcnthaltung der Acten stücke so ausgelcgt werden könnte, so werde er sich keinen Augenblick ihrer Vorlegung widersetzen. (Hört! hört!) Lord I. Russell freut sich, diese Er klärung zu vernehmen. Die Veröffentlichung sei nicht nur eine Pflicht der Gerechtigkeit gegen das Mitglied für Tiverton (Lord Palmerston), sondern auch gegen die öffentliche Meinung. Die Nation habe das Recht, zu fra gen, weshalb und in welcher Weise die Regierung sich in die Angelegen heiten fremder Staaten einmische. Daß England für jene Intervention gu ten und billigen Grund hatte, werde die Correspondenz beweisen. Die Hohe Pforte hegte den humanen Wunsch, die Flüchtlinge so lange gastfreundlich zu beherbergen, bis sie ein anderes Asyl gefunden hätten; und cs war bil ¬ lig und recht, daß England das ganze Gewicht seiner Macht in die Wag- schale legte, um dem Sultan die Erfüllung seine- humanen Wunsche- mög lich zu machen. Der Antrag wurde schließlich bewilligt. /^London, 21. April. Heute Mittag kam wieder, wie jeden Mitt woch, das große Schiff mit Ladung aus Süddeutschland in den Lon don Dock- an. Da- Schiff ward nicht in üblicher Weis« mit Flaschen- zügen, Krahnen und Karren gelöscht: es löschte sich selbst. Ein eigenes Pro duct Deutschlands mit immerwährend steigendem Export. Wie heißt es? Rücksichten dürfen uns nicht abhalten, cs richtig in seinem wahren Werthe in den Docks und auf englischen und andern Schiffen zu benennen; «S ist in Deutschland producirtcS lebendiges Menschenfleisch ü Stück 7V Fl. Wei ber und Kinder, Männer und Frauen, Bauern und Städter, feine, ver weinte und wüste, unrasirtr, freche Gesichter, verschämte, zitternde Armuth und breitspurige rohe Blasirthcit, Alles ward zusammen wie Eine Heerde vom Schiffe in ihren gemeinschaftlichen Stall getrieben, der sich in einem schmuzigcn Hofe hinter den London-Docks erhebt. Unten ein Saal wie eine Straße lang, schmuzig, dunkel, roh hölzern mit sehr kleinen Fenstern an beiden Endpunkten, oben rohe Breterverschläge mit drei Etagen Kojen über einander, in deren jeder acht bis zehn Menschen zusammen schlafen müssen, wenn die Fracht für das Schiff mit dem deutschen Ausfuhrartikel gerade besonders reichlich auöfiel. Sie werden hier „umsonst" verpflegt, bis das Schiff nach Neuysrk segelfertig ist, zwei bis drei Tage oder länger. So jede Woche mit steigender Blüte des Geschäfts. Ich will nicht schildern, was die deutschen Brüder und Schwestern für Eindrücke hervorriefen, die Thränen des Heimwehs und die Flüche der Verzweifelten, die Neue der weichen und das Frohlocken der Härtern Naturen finden wol keinen Naum in einer Zeitung. Die Exporte über London zu 70 Fl. sind noch glücklich. Jedes Schiff bleibt doch so ziemlich ein kleines vereinigtes Deutschland, ob gleich in der Regel auch jede Woche sechs bis zehn Dutzend officielle fran zösische Flüchtlinge „umsonst" mitgenommen werden, die dann in Neuyork sogar noch Jeder die Summe, die Jeder amtlich aufweisen muß, ausgezahlt bekommen, Prämien auf Menschcnausfuhr. Die Menschenexportgesellschaft in Liverpool bezahlt außerdem noch an ihre Agenten in allen Theilen Europas auf jede cingelieferte Seele eine halbe Krone Prämie. Dort kommt man für 15 — 30 Thlr. nach Neuyork, wiewol jetzt die Frachten wegen des bei spiellosen Zudranges steigen. Aber wie kommt man nach Neuyork? In den Sklavenschiffen soll bessere Verpackung Mode sein. Die großen Reser voirs für Deutsche in Liverpool (1500 logiren in einem einzigen Hause) sind zwar auf Requisition der betreffenden Behörden etwas besser in Raum, Be handlung und Pflege geworden, aber auf den Schiffen wird die Prokrustes theorie auf eine Weise prakticirt, die Schrecken erregt, wenn man Beschrei bungen „glücklich" Angekommener liest. In Liverpool besteht die Mehrzahl stets aus Irländern, deren fast jeder eine Legion kleiner lebendiger Wesen in seinen Kleidern mit hinüberschmuggelt. Monatlich wollen dort 20,000 und mehr mit jeder Woche hinübcrgeschafft sein, darunter stets wenigstens zwei Drittel Irländer mit ihren „Leibgarden". Die Deutschen werden dann im mer zwischen sie gepackt. Das Ganze läßt sich denken. In Irland wan dert Alles aus, was auf irgend eine Weise die paar Thaler dazu ermög lichen kann. Außerdem kann man dort das „große Loos" gewinnen, d. h. das Geld zur Auswanderung Jeden Sonnabend vereinigen sich Arbeiter zu einer Lotteriegesellschaft ü Loos 6 Pence. So viel Spielende, so viel Zettel in einem Hute. Nur ein Zettel ist mit „Amerika" beschrieben. Wer das Loos zieht, kriegt das Geld, tanzt vor Freude, packt die Nacht und geht Sonntag Morgen ab. Man hat den Umstand, daß vr. Cullen (wcl- cher die Gymnasien im Namen des Papstes verflucht und eine Broschüre geschrieben hat, worin er beweist, baß die Erde, wie vor Galilei, stillsteht und einen Preis von 1000 Pf. St. für Den auSsetztc, der ihm bewiest, daß sie sich bewege) geistliches (und weltliches) Oberhaupt Irlands gewor den und die Wahlen dirigirt, sehr schwarz auSgemalt, als könnten nun im künftigen Parlamente die irischen Vertreter den Protestantismus und die Hochkirche stürzen; aber Irland liegt bereits in Amerika, in welchem 4,500,000 Irländer sich täglich aus dem Mutterlande vermehren, sodaß vielleicht schon in Jahr und Tag hier die protestantische, englische Bevölkerung die celtisch- katholische überwiegt. Die Engländer bauen in Cork eine große irische In dustrieausstellung auf, womit sie Irland thatsächlich erobern werden, ohne sich weiter an vr. Cullen Und die Lstkolio-vefenoo-^sKooigtion zu kehren. Die Ausstellung wird von freiwilligen Beiträgen anglo-sächsischer Kaufleute in London rc. und durch freiwillige Lieferungen von Künstlern aller Art er baut und entsteht so auf dieselbe Weise, wie Alles, was bisher Großbri tannien Großes schuf. Irland wird erst jetzt von England erobert werden. Königreich Sachse«. X Dresden, 23. April. Nachdem in der heutigen Sitzung der I. Kam mer zunächst Hr. v. König die ständische Schrift über die Gesetze wegen des Unterthanenrechts und die damit in Verbindung stehenden Zusätze vor- getragen und durch deren Genehmigung zugleich ein noch bisher zwischen den Kammern bestandener Diffcrenzpunkt erledigt worden war, ging man zur Tagesordnung über, indem man sich von Hm. v. Metzsch über eine Petition des StadtratHS und der Stadtverordneten zu Thum wegen Errich tung eines königlichen Gerichts daselbst Bericht erstatten ließ. Die Depu tation rieth, das Gesuch, gleich der II. Kammer, auf sich beruhen zu lassen, außerdem aber dasselbe, „weil es doch wünschcnswcrth sei, daß die könig liche Staatsrcgierung wenigstens Kenntniß davon erlange, an dieselbe ab zugeben", welcher Zusatz von Hrn. v. Egidy als unnütz bekämpft, von Hrn. v. Weick dagegen vertheidigt wurde. Hieran knüpfte dieser die Prophe-