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DRESDNER PHILHARMONIE Freitag, den 14. April 1972, 20.00 Uhr Sonnabend, den 15. April 1972, 20.00 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 8. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Lothar Seyfarth Solist: Viktor Jeresko, Sowjetunion, Klavier Max Butting geb. 1888 Stationen - Sieben Orchesterstücke op. 117 Allegro impetuoso Adagio Andante sostenuto Allegro agitato Allegro mosso Lento lugubre Pochettino allegro. Sereno Uraufführung Franz Liszt Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 Es-Dur 1811—1886 Allegro maestoso Quasi Adagio - Allegretto vivace — Allegro animato Allegro marziale animato PAUSE Peter Tschaikowski 1840-1893 Konzert für Klavier und Orchester b-Moll op. 23 Allegro non troppo e molto maestoso — Allegro con spirito Andantino simplice Allegro con fuoco VIKTOR JERESKO, Jahrgang 1942, gehört zur jüngsten Generation der sowjetischen Pianistenschule. Seine Studien absolvierte er an der Musikschule und am Konservatorium in Lwow sowie am Moskauer Konservatorium als Schüler von Jakow Eher und L. Wlassenko. Nach dem Ehrendiplom des Unionswettbewerbes von 1961 errang der zielstrebige junge Künstler 1963 mit dem 1. Preis des Marguerite-Longue-Jacques-Thibaud-Wettbewerbes in Paris die erste internationale Anerkennung seiner großen Begabung. Marguerite Longue sprach sich besonders anerkennend über seine brillante Technik aus. Konzertreisen führten Viktor Jeresko, der gegenwärtig als Aspirant am Moskauer Konservatorium bei L. Naumow sein Können vervollständigt, mehrfach nach Frankreich und in die DDR. In der SU konzertiert er regelmäßig in allen größeren Städten. Bei der Dresdner Philharmonie war er bereits 1968 und 1970 zu Gast. IllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllUIHim iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiHinniniimininininiinniiminninninniuinninnniin ZUR EINFÜHRUNG „Ich habe diese Orchesterstücke Stationen genannt, weil die Er innerung an bestimmte Situationen, in denen die Zeit still zu stehen schien und wir Menschen erstarrte oder erregte Zuschauer unseres eigenen Erlebens waren, Anlaß zur Komposition wurde. Die Stücke sind Zeitbilder." Max Butting betont stets das erzählende Moment in seiner Musik, wes wegen er gern literarische Genres als Vergleich heranzieht, den Roman etwa für die Sinfonie, die Novelle oder Legende für die sinfonische Dichtung, Por träts oder Skizzen für die Suite. Er verdeutlicht den Gegenstand seiner Werke nicht selten sogar durch bestimmte Leitbilder, Mottos oder Charakterbezeich nungen, die vom musikalischen Ausdruck bzw. Bildgehalt eine Brücke zum Zeit geschehen, zum tatsächlichen Erlebnisumkreis eines Werkes schlagen können. Seine 9. Sinfonie erzählt z. B. die Lebensgeschichte eines Themas; eine Konflikt spannung, die von der dramatischen 3. Sinfonie aus dem Jahre 1928 an über fast drei Jahrzehnte die Entwicklung eines Lebenswerkes bestimmte, (musikalisch als Versuch, die Sekundspannung überzeugend in einem dramaturgischen Ver lauf aufzulösen, programmatisch als Ziel, ein umfassendes Menschenbild, ein humanistisches Ideal darzustellen), erfährt hier eine erste Zusammenfassung und Überhöhung; die „Fünf ernsten Stücke" von 1955 orientieren auf Leitbilder (nach Dürer); das „Triptychon" von 1967, mit der Widmung an den roten Okto ber im ersten Satz — Hymnos —, der Totenehrung für alle Opfer der Kriege und Leidenszeiten dieses Jahrhunderts im zweiten Satz — Epitaph — und der Wid mung im dritten Satz — Evoe — zum zwanzigsten Jahrestag der DDR an die Lebenden, an die Jugend, verdichtet Leitbilder, Mottos und Charakterbezeich nungen in einem monumentalen Orchesterwerk. Diese Musik, so auch die „Stationen" von 1970, Sieben Orchesterstücke op. 117, ein Werk des zweiundachtzigjährigen Komponisten, teilt Erfahrungen und Ein drücke mit, erzählt anschaulich, gibt das Verhalten und Verhältnis des Kom ponisten in der Geschichte seines Lebens wieder. Die großen gesellschaftlichen Umwälzungen unseres Jahrhunderts bilden das Zentrum, den Konfliktstoff dieses Künstlerlebens, dessen Ansätze noch in die Zeit vor 1914 reichen, am Vorbilde Bachs, Mozarts, Regers, Schönbergs, Strawinskys geschult, dessen eigene Entwicklung und Reife unmittelbar nach der Novemberrevolution von 1919 be gann, nach der bedeutenden 3. Sinfonie von 1928 abbrach und eine neue Auf gabe, ein Ziel nach 1945 in der eigenen Aktivität und Mitarbeit im Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsordnung fand. Hier konnte sich ein Lebenswerk er füllen. Das betrifft auch die kulturpolitische Tätigkeit des Komponisten, seine maßgebliche Arbeit für das musikalische Urheberrecht und für die Musik im Rundfunk. „Stationen" nun, Buttings bisher letztes großes Orchesterwerk, keine Suite im eigentlichen Sinne, doch eine Folge von lose aufeinander bezogenen Charak terbildern, sind als Stationen des eigenen Lebens durchaus historisch zu ver stehen, wenn im ersten Satz bestimmte Eindrücke aus dem 1. Weltkrieg nach wirken (der Komponist erwähnt den Widerspruch zwischen vaterländischem Tingel-Tangel im Dienste der herrschenden Bourgeoisie, dem millionenfachen Tod in den Schützengräben und der notleidenden Bevölkerung), wenn im zwei ten Stück der Affekt der Trauer überwiegt (die verlorenen Ideale einer miß brauchten Jugend in der Erinnerung noch einmal deutlich werden), im dritten Stück sich Bilder der Hoffnung entfalten (in einem verhalten langsamen Walzer) und wenn die kraftvolle Fuge, das vierte Stück, dem Tatendrang, dem wieder erwachenden Schöpfertum, der Produktivkraft menschlicher Arbeit als kollektive Leistung huldigt und hier die einzig denkbare Alternative zu Krieg und Aus beutung erkennt. Sinnfällig schlägt der Komponist damit eine Brücke in unsere Zeit, wenn er im fünften Stück die Bewunderung für jene Jugend reflektiert, die heute unsere Gesellschaft trägt und unaufhörlich aus ihr hervorgeht, sie kräftigt, schützt und in ihr ihre Ideale findet. Der sechste Satz korrespondiert