Volltext Seite (XML)
DRESDNER PHILHARMONIE ZUR EINFÜHRUNG Sonnabend, den 6. Mai 1972, 20.00 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 9. AUSSERORDENTLICHES KONZERT * Dirigent: Kurt Sanderling, Berlin Solist: Andrej Korsakow, Sowjetunion, Violine KURT SANDERLING, Jahrgang 1912, stammt aus Arys. Nach Studien als Pianist und Dirigent im ehe maligen Königsberg und in Berlin war er zunächst an der Städtischen Oper Berlin tätig. 1935 emigrierte er über die Schweiz in die Sowjet union, wo er seit 1936 als Dirigent beim Moskauer Rundfunk, sodann von 1942 bis 1959 bei der Lenin grader Philharmonie wirkte. Hier wurde er als Verdienter Künstler der RSFSR ausgezeichnet. Seit 1960 leitet Prof. Kurt Sonderling das Berliner Sinfonieorchester. Von 1964 bis 1967 war er außerdem General musikdirektor der Staatstheater Dresden. Zahlreiche Gastspiele führten den 1962 mit dem National preis ausgezeichneten Künstler, der auch viele Schallplatten-Aufnahmen produzierte, in alle Musikzentren Europas. Bei der Dresdner Philhar monie war er bereits 1963 zu Gast. Modest Mussorgski 1839-1881 Vorspiel zu „Chowanstschina" Peter Tschaikowski 1840-1893 Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35 Allegro moderato Canzonetta (Andante) Finale (Allegro vivacissimo) PAUSE Franz Schubert 1797-1828 Sinfonie C-Dur op. posth. Andante — Allegro ma non troppo Andante con moto Scherzo (Allegro vivace) Allegro vivace llllllllllllillliililililillllilllllllllllllllllllllllllllllllillliliiiiiiiiiiiiiiiililllllllliiiiiiillilllllllllllllllliiiililiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiniiilllil ANDREJ KORSAKOW hat in den letzten Jahren erfolgreich an inter nationalen Wettbewerben teilge nommen: er errang den 2. Preis des Paganini-Wettbewerbes in Genua, wurde mit dem 4. Preis im Geiger wettbewerb in Montreal und im Tschaikowski-Wettbewerb in Moskau für seine hervorragenden Leistun gen belohnt und zählt ebenfalls zu den Preisträgern (5. Platz) im schwierigen Marguerite-Long- Jacques-Thibaud-Wettbewerb. Der junge Künstler entstammt einer Musikerfamilie und erhielt schon von frühester Kindheit an Musikunter richt, zunächst an der Zentralen Musikschule des Moskauer Konser vatoriums, später am Konservato rium selbst. Gegenwärtig vervoll kommnet er seine Studien als Aspirant bei Professor Leonid Kogan, der seinen begabten Schü ler folgendermaßen charakterisier te: „Korsakow ist ein ungewöhn liches Geigertalent, ein souveräner Instrumentalist." Andrej Korsakow konzertierte bisher in vielen Groß städten der Sowjetunion und unter nahm Auslandstourneen in die Syrische Arabische Republik, in den Libanon, nach Zypern und Nor wegen. Modest Mussorgskis kompositorisches Schaffen vollzog sich in enger Beziehung zum Wort, genauer gesagt, zur russischen Sprache, der Sprache seines Volkes. Leben, Leid und Aufbegehren des Volkes im zaristischen Rußland trachtete er mit eindringlicher Realistik, mit für seine Zeit ungewöhnlichen und scheinbar traditionslosen musikalischen Ausdrucksmitteln zu gestalten. Wie wohl kein zweiter russischer Komponist des 19. Jahrhunderts hatte er das Wesen der russischen Volksmusik begriffen und in sich aufgenommen. Und mit schier nachtwandlerischer Sicherheit entwickelte der Autodidakt Mussorgski, der niemals methodischen Kompositionsunterricht genossen hatte, aus der russischen Folk lore seine kühne, zukunftsweisende Harmonik (die auf spätere Komponisten — Debussy z. B. - bedeutenden Einfluß ausübte) und die realistische, der Sprach melodik nachspürende Deklamation seiner Lied- und Opernwerke. Diese Wesenszüge seines Stils bestimmen auch den Charakter der wenigen Instru mentalkompositionen, die er hinterlassen hat - wenn man von einigen Ver suchen aus der Jugendzeit absieht. Das kurze Orchestervorspiel, das den ersten Akt des musikalischen Volksdramas „Chowanstschina" einleitet, schildert mit großer Aus drucksintensität eine Morgendämmerung bei Sonnenaufgang über dem Moskwa fluß. Verhalten beginnend, wird das Thema, das einem russischen Volkslied nachgebildet ist, in freier Variationsform zu hymnischen Glanz gesteigert. Man erlebt die in dunstigem Morgendämmer schlafende Stadt Moskau, das all mähliche Aufstrahlen des Lichtes und das Morgenläuten der Kathedralen. Es war Mussorgski nicht vergönnt gewesen, seine Oper „Chowanstschina" zu vollenden, konnte er, der seinen Lebensunterhalt als untergeordneter Beamter verdienen mußte, doch nur die Stunden der Freizeit dem musikalischen Schaffen widmen. Zwar hatte er 1880 die Beamtentätigkeit aufgegeben und sich damit bitterster materieller Not ausgesetzt, aber jahrelange zermürbende Arbeit und elende Lebensverhältnisse, vor denen er zuweilen Zuflucht im Alkohol suchte, hatten seine Gesundheit frühzeitig untergraben. Als er am 28. März 1881, zwei undvierzig Jahre alt, in einem Militärhospital einem Herzschlag erlag, hinter ließ er nur den nahezu abgeschlossenen Klavierauszug. Ein halbes Jahr zuvor noch hatte er — in seinem letzten Brief — an Wladimir Stassow geschrieben: „. . . .Chowanstschina' ist so gut wie vollendet. Aber die Instrumentation — o Götter! nur Zeit!“ Er kam nicht mehr dazu. Der Freund und Mitstreiter Rims- ki-Korsakow unterzog sich ein Jahr nach dem Tode des Komponisten der schwierigen Aufgabe, den teilweise nur skizzenhaften Auszug zu vervollständigen und zu instrumentieren. Doch auch er verkannte die Bedeutung der eigenwilligen musikalischen Kühnheiten Mussorgskis. Sie erschienen ihm als handwerkliche Mängel und Unfertigkeiten, die er in bester Absicht zu glätten und zu korri gieren trachtete — ähnlich wie in seiner instrumentalen Neufassung des „Boris Godunow". Vor einigen Jahren nun hat uns Dmitri Schostakowitsch die origi nale Gestalt der Musik Mussorgskis durch eine textgetreue Neuinstrumentation zugänglich gemacht. In dieser gültigen Fassung erklingt heute das Vorspiel. Peter Tschaikowski, der große russische Meister, schrieb wie Beet hoven und Brahms lediglich ein Violinkonzert, das allerdings wie deren Werke gleichfalls zu den Glanzstücken der internationalen Konzertliteratur gehört. Das in Ausdruck und Stil charakteristische, eigenwüchsige Werk, in D-Dur stehend, wurde als op. 35 Anfang März 1878 in Clärens am Genfer See begonnen und Ende April desselben Jahres endgültig fertiggestellt. Tschaikowski widmete das ausgesprochene Virtuosenstück ursprünglich dem Geiger Leopold von Auer, der es aber zunächst als unspielbar zurückwies und sich erst viel später für das Werk einsetzte. Die Uraufführung wagte schließlich Alexander