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20 Strauss d* Hector Berlioz veröffent lichte 1843 eine viel beachtete Instrumenta tionslehre (»Grand traite d'instrumentation et d'or- chestration modernes«), die, von Strauss 1904 überarbeitet, durch neue Beispiele ergänzt und damit auf einen modernen Stand gebracht wurde. D er Klangsinn von Richard Strauss ist beinahe sprichwörtlich, seine Instrumentationskunst unbestritten und die hohe Kunst, seinen Werken blühende Farben zu verleihen, mit ihr zu spielen, daraus wahre Klangwunder zu gestalten, ist beina- j he beispiellos. Strauss schulte solchen Klangsinn an Richard Wagners Partituren ebenso wie an der Ber- liozschen Instrumentationskunst. Er selbst aber be hauptete von sich, er sei niemals als Instrumenta tor wirklich fertig geworden, habe immer neu hinzulernen müssen. Die gelegentlich ins Giganti sche gesteigerte Orchesterpalette diente Strauss zur I farblichen Differenzierung, nicht aber unbedingt zur Klangmassierung oder Gewinnung dynamischer Klangballungen. Nur selten verwendete er riesige Tuttiblöcke, in denen alle im jeweiligen Werk vor- | gesehenen Instrumente wirklich eingesetzt werden. Vielmehr bestand seine instrumentatorische Verfah rensweise in der subtilen Auswahl von Klangfarben | und in ungewohnt-neuartigen Kombinationen der Einzelstimmen. Die Feinheiten, mit denen Strauss z.B. ein Instrument aus dem Klangschatten des an deren herausführt und wieder durch ein zusätzli ches Instrument abzudecken vermag, sind noch heutzutage beispielgebend. Unübertroffen sind die unzähligen Feinheiten des Koppelns und Lösens, j des Auseinanderziehens, des Teilens und Umklam merns von Instrumentallinien. Gern werden die ton malerischen Effekte hervorgehoben, solche illus trativen Kabinettstückchen, die in den meisten I Partituren zu finden sind, wie das Blöken der Ham- melherde oder das Abtropfen des Wassers vom ge fallenen Helden in »Don Quixote«, die Lichttrans parenz und der Falkenruf in »Die Frau ohne Schatten« oder auch das Anzünden der Kerzen im »Rosenkavalier«. Doch das ist eher als Beiwerk zu se hen, steht jedenfalls nicht vordergründig für diese Kunstfertigkeit. Strauss verstand es, das Orchester als ein einheitliches, als ein homogenes Instrument zu begreifen, das er nach Bedarf registrierte. Das Klangempfinden ist organischer Bestandteil seines Kompositionsplanes und -prozesses: Die daraus ge wonnene Klangfarbe ist nicht darüber gesetzt und nachträglich hinzugefügt. Wichtiger als alle äußer lichen Tonillustrationen ist Strauss’ Fähigkeit, mit seinem Orchester das Stimmungshafte, das Klang symbolische adäquat zu erfassen. Er wusste, Wohl klang, dissonante Schärfe und geräuschhafte Bal- j lungen sinnvoll gegeneinander abzustufen und ökonomisch zu disponieren. Unendliche Möglich keiten galt es zu erproben und immer wieder neu zu bestimmen: wie verschiedenartigste Instrumen te in ihren klanglichen Unterschieden so zu mi schen seien, dass neue Klänge erst entstehen kön- . nen, Farben sich auftun, Musik beginnt, räumlich I zu wirken. Strauss suchte nicht nach schmücken- | dem Beiwerk, sondern nach Beleuchtung der jewei ligen Stimmung und nach Charakterisierung des Augenblicks. Mit solchen ursprünglich-handwerk lichen Mitteln versuchte er, seine - an Franz Liszt geschulten - außermusikalischen Inhalte tondich terisch umzusetzen. Seine Musik aber, seine Bilder, seine musikalischen Szenen brauchten den Anstoß von »außen«, ein Programm. Anfangs schrieb Strauss wirkliche Erläuterungstexte, später lehnte er dies Verfahren selbst meist ab. Die Musik selbst soll- | te malen, schildern, mit ihren Mitteln ausdeuten. Und nach diesen Mitteln suchte Strauss immerfort und erfand großartige fesselnde oder amüsante oder dramatische. Wie es ihm um Erweiterung der Grenzen des musikalischen Möglichen ging, zeigen seine Tondichtungen allesamt. Immer war es ein Kampf um die jeweilige Form, um die thematische Gestalt und deren Gestaltung, um ein Erproben sin- | fonischer Gebilde mit erkennbarer Aussage. Schließ lich entwickelte er in seinen Tondichtungen sein in- | strumentales Rüstzeug und gewann die ihm eigene [ Souveränität für die orchestrale Bühnensprache. Und gerade diese hielt ihn zeitlebens gefangen, also j nicht nur allein der thematische Einfall, die melo dische Linie, der Gesang, nein, die instrumentale | Umsetzung, die Farbigkeit des Orchesterklanges, die illustrative Erzählweise. Nach diesen großartigen Anfängen - immerhin sind fast alle wesentlichen sinfonischen Kompositionen im Jahrzehnt zwischen 1889 und 1899 entstanden | 21 DRESDNER PHILHARMONIE »Ich bin ganz und gar Musiker, für den alle >Programme< nur Anre gungen zu neuen Formen sind und nicht mehr«, sagte Strauss, »bloß eine Beschreibung gewisser Vorgänge des Lebens« wäre, meinte er später mal, »doch ganz gegen den Geist der Musik«. Und mehr als ein Anhalt solle auch für den Hörer ein solches Programm nicht sein. »Don Juan« (1888/89) »Macbeth« (1888/90) »Tod und Verklärung« (1889) »Till Eulenspiegels lustige Streiche« (1895) »Also sprach Zarathustra« (1896) »Don Quixote« (1897) »Ein Heldenleben« (1899)