Bei Bruckner hören wir das Erhabene, das Gro ße und Großartige, das, was ihm den Ruf ein brachte, ein Musikant Gottes zu sein. Wir hö ren nichts heraus vom irdischen Jammertal eines völlig verunsi cherten Menschen. So erscheint uns der in seinem Wesen gehemmte und vor fremder Stärke zurück scheuende Bruckner als die seltsamste und widersprüchlichste Künstler-Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts, als einer, der sich beugte, wo andere sich strecken. Mancher Ratschlag wohlmeinender Freunde und die Neigung, sich einer übergeordneten Instanz oder einer hochgestellten Persönlichkeit, zu der er eine ganz unangemessene devote Haltung ein nahm, zu unterwerfen, wurde ihm geradezu zum Verhängnis, zur eigentlichen Tragödie seines Lebens. Bruckner korrigierte, änderte, ja überar beitete zeitlebens und ließ es zu, daß z. B. Diri genten, die seine Werke aufzuführen gedachten, eigenmächtige Eingriffe vornahmen, Kürzungen und Veränderungen im Notentext, Hinzufü gungen, Änderungen von Instrumentation, Phrasierung, Strichart und Dynamik. Kein ande rer Komponist war der Gefährdung sowohl durch Feindschaft als auch durch Freundschaft so preis gegeben wie Bruckner. Das heutige Dilemma für alle Aufführungen der Brucknerschen Sinfonien besteht eindeutig darin, sich beispielsweise für eine von (gelegentlich) mehreren Fassungen entscheiden zu müssen und einen möglichst au thentischen, von fremden Händen und fremdem Willen bereinigten Notentext zu benutzen (Gesamtausgabe). Deshalb bevorzugen Dirigen ten immer häufiger entweder die sogenannten Urfassungen - sofern sie zu ermitteln sind - oder bestenfalls eine autorisierte Überarbeitung durch den Komponisten selbst. Sogar hierbei sind Fachleute mitunter geteilter Meinung, inwiefern Bruckner seinem eigenen Willen, seinem uner hört hohen schöpferischen Impuls und seiner gottbegnadeten Phantasie wirklich gefolgt ist und sich nicht bei jedweder eigenen Veränderung schließlich doch auf Ratschläge anderer berufen hat. Um aber auch dies zu sagen: es schmälert in keiner Weise Bruckners Werk, es gehört vielmehr zum Verständnis für diesen zwiegespaltenen Menschen, den „irdisch“ hilflosen und den „schöpferisch“ begnadeten. So saß Bruckner zeitlebens in irgendeiner Form zwischen den Stühlen. Man hatte zwar schon während seines Lebens an seinen Werken gewis sen Anteil und sparte auch nicht mit Lob, auch