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Ich bin friedlos, ich bin durstig nach fernen Dingen. Meine Seele schweift in Sehnsucht, den Saum der dunklen Weite zu berühren. O großes Jenseits, o ungestümes Rufen deiner Flöte. Ich vergesse, ich vergesse immer, daß ich keine Schwingen zum Fliegen habe, daß ich an dieses Stück Erde gefesselt bin für alle Zeit. Ich bin voll Verlangen und wachsam, ich bin ein Fremder im fremden Land - dein Odem kommt zu mir und raunt mir unmögliche Hoffnungen zu. Deine Sprache klingt meinem Herzen vertraut wie seine eig'ne. O Ziel in Fernen, o ungestümes Rufen deiner Flöte. Ich vergesse immer, ich vergesse, daß ich nicht den Weg weiß, daß ich das beschwingte Roß nicht habe. Ich bin ruhlos, ich bin ein Wanderer in meinem Herzen. Im sonnigen Nebel der zögernden Stunden, welch gewaltiges Gesicht von dir wird Gestalt in der Bläue des Himmels, fernstes Ende, o ungestümes Rufen deiner Flöte. Ich vergesse, ich vergesse immer, daß die Türen überall verschlossen sind in dem Hause, wo ich einsam wohne, o fernstes Ende, o ungestümes Rufen deiner Flöte. II Mutter, der junge Prinz muß an unsrer Türe vorbeikommen - wie kann ich diesen Morgen auf meine Arbeit achtgeben. Zeig mir, wie soll mein Haar ich flechten: zeig mir, was soll ich für Kleider anziehen? Warum schaust du mich so verwundert an, Mutter? Ich weiß wohl, er wird nicht ein einz'ges Mal zu meinem Fenster aufblicken. Ich weiß, im Nu wird er mir aus den Augen sein; nur das verhallende Flötenspiel wird seufzend zu mir dringen von weitem. Aber der junge Prinz wird bei uns vorüberkommen, und ich will mein Bestes anziehn für diesen Augenblick. Mutter, der junge Prinz ist an unsrer Türe vorbegekommen, und die Morgensonne blitzte an seinem Wagen. Ich strich den Schleier aus meinem Gesicht, riß die Rubinenkette von meinem Hals und warf sie ihm in den Weg. Warum schaust du mich so verwundert an, Mutter? Ich weiß wohl, daß er meine Kette nicht aufhob. Ich weiß, sie ward unter den Rädern zermalmt und ließ eine rote Spur im Staube zurück.