Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Musikkultur Ungarns ent schieden durch die Kunst der deutsch-österreichischen Romantik geprägt. Dies war die gehobene musikalische Umgebung des gebil deten Stadtbürgertums. Die eigent liche einheimische Tradition des Volkes, und dazu gehörte nicht nur die Musik, war während der langen Zeit einer Habsburgischen Herrschaft in die Dörfer gedrängt worden, fernab von aller Kunst entwicklung. Doch die Zeit einer zunehmenden nationalen Besin nung, wie in einigen anderen europäischen Ländern auch, brach in Ungarn an und entwickelte bei zwei jungen angehenden Kompo nisten, Bela Bartök (1881-1945) und Zoltän Kodäly, den Wunsch nach einer national geprägten Kunstmusik. Beide traten Anfang des Jahrhunderts mit Komposi tionen hervor, die vor allem aus volkstümlichen Quellen schöpften. Beide hatten den nationalen Ton in einem unerschöpflichen Quell alter Bauernlieder gefunden. Überra schenderweise aber stellten beide fest, daß dieses Volksgut wirklich nur noch in ländlichen Gegenden durch mündliche Überlieferung exi stierte, an der Budapester Musik akademie z. B. davon gar nichts bekannt war. Dort hingegen wurde die Musik der Zigeunerkapellen all gemein für ungarisch gehalten. Schon in den Jahren ab 1905 war Kodäly, zeitweise gemeinsam mit Bartök, durch die ungarischen Pro vinzen gereist und hatten begon ¬ nen, Volkslieder aufzuzeichnen. Schließlich sollten es mehrere Tau send werden. Es waren richtig gehende Entdeckungsreisen in eine überreiche, sich lebendig erhaltene Vergangenheit. Dies sollte schon bald zum eigentlichen stilistischen Ausgangspunkt für beide Komponi sten und ihre musikalischen Schöp fungen werden. Hatten sie auch ein gleiches Ziel, so gingen sie aber in ihrem eigenen künstleri schen Schaffen doch völlig andere Wege und kamen naturgemäß zu eigenständigen Ergebnissen. „Die Bauernmusik" - sagte Bartök - „er schließt für das musikalische Kunst werk die verschiedensten Möglich keiten, und ihre Zugrundelegung muß keineswegs zu identischen Ergebnissen führen ... Wir haben - Zoltan Kodäly zur Zeit seiner ersten großen Erfolge Ende der 20er Jahre Biographisches: •geb. 16.12.1882 in Kecskemet, gest. 6.3.1967 in Budapest • 1900-05 Komposi tionsstudium an der Budapester Musik akademie (Koessler) • 1906 Promotion „Über den Strophen bau des ungari schen Volksliedes" (Sammlung von 3500 ungarischen Volksliedern) • 1907 Lehrer für Theorie und Kompo sition an der Budapester Musikakademie • 1923 „Psalmus hungaricus"