zählen. Im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen Hugo Wolf schrieb Mahler weder Goethe- oder Mörike- Zyklen, noch vertonte er - wie an dere große Liederkomponisten von Schubert über Schumann und Brahms bis hin zu Strauss und Schönberg - bestimmte lyrische Meisterwerke. Er hat vor allem aus zwei literarischen Quellen ge schöpft: aus den Dichtungen des Romantikers Friedrich Rückert und - in noch stärkerem Maße - aus jener berühmten Volksliedersammlung, die Achim von Arnim und Clemens Brentano zusammengestellf und 1 805-1808 unter dem Namen „Des Knaben Wunderhorn" publiziert hatten. Diese Gedichte, die Mah ler in besonderem Maße anzogen, enthalten einen Reichtum an atmo sphärischen Farben, an menschli cher Empfindung und Lebens wahrheit - eine ganze Palette ro mantischen Fühlens einschließlich einer gewissen Ironie, die über al lem liegt. So wie Arnim und Bren tano beim Sammeln und Redigie ren dieser alten Volkslieder „von tausend neuen Anklängen der Poe sie berauscht" wurden, erging es Mahler-schon seit frühester Jugend übrigens. Er komponierte seine „Wunderhorn"-Lieder zwischen 1 888 und 1 890 in loser Folge zu nächst als Klavierlieder, die dann bis 1901 nach und nach orche striert wurden. Entsprechend der inhaltlichen Un terschiedlichkeit der Gedichte ist auch die Musik Mahlers, die den emotionalen Gehalt der Texte über ¬ höht, außerordentlich vielfältig in ihrem Charakter. Dem kecken, hu morvollen „Lob des hohen Verstan des" folgt in unserer Auswahl „Des Antonius von Padua Fischpredigt", deren parodistischer Charakter sich nicht allein in lautmalerischen Effek ten äußert, sondern deren textliche Schlußpointe zugleich (wie Mahler es empfand) eine „Satire auf das Menschenvolk" darstellt, dem der Künstler letztlich auch vergeblich predigt. Das traurig-schöne Lied „Wo die schönen Trompeten bla sen" berührt durch die Tiefe der Empfindung. Die makabre Welt des Krieges wird im „Tambourg'sell" be schworen - diese klanglich ungeheu er differenzierte Musik könnte un verändert in einer Mahlerschen Sin fonie stehen. Das „Lied des Verfolg ten im Turm", ein Dialog zwischen einem Gefangenen und einem Mädchen, ist textlich zwar als volks tümliche Weise überliefert, jedoch in Mahlers Version eine fast büh nenmäßig, dramatisch konzipierte Szene. Der leidenschaftliche Kämp fer auf der einen Seite, das naive Mädchen auf der anderen bleiben jeweils in ihrer Welt befangen und können, wie es im Märchen heißt, „zueinander nicht kommen". Spieldauer: ca. 25 Minuten