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Vorbildes, sondern fand eine ganz eigenständige Lösung, in der es ihm vor allem um Einheit und Geschlos senheit des Zyklus ging. Er schrieb dazu: „Innere Zusammengehörig keit der Gesänge mit ihren Vor- und Zwischenspielen, die alle ein und denselben tiefernsten, leidenschaft lichen Grundton haben, muß bei richtiger Erfassung und Ausführung einwandfrei zur Geltung kommen. Im Vorspiel und im Gesang ist die Grundstimmung der ganzen Sinfo nie gegeben. Alle anderen Stücke, so sehr sie sich auch durch Cha rakter, Zeitmaß usw. voneinander unterscheiden, sind der Stimmung des ersten entsprechend abzutönen. So darf beispielsweise der zweite Gesang, der etwa die Stelle eines Scherzos einer Sinfonie einnimmt, durchaus nicht spielerisch flüchtig, unernst aufgefaßt werden; der drit te Gesang, das Adagio der Sinfo nie - keinesfalls als weichliches, schmachtendes Liebeslied. Namentlich bei diesem Lied ist der tiefernste, sehnsüchtige, doch un sinnliche Ton des ersten Gesanges festzuhalten. Durch Auslegung der sieben Gedichte, die erst von mir durch Anordnung und Vertonung in eine innere Zusammengehörigkeit gebracht wurden, sowie durch eine Art leitmotivischer Behandlung ei niger Themen ist die Einheitlichkeit des Werks ebenfalls deutlich betont und vom Dirigenten in diesem Sin ne wiederzugeben." Im Vorspiel entfaltet sich aus einem Paukenwirbel heraus eine tief emp fundene, farbige Klangparade zwi schen Emphase und Resignation, zwischen großer Orchestergeste und liedhaft schlichter Formulierung. Schon im ersten Gesang beein druckt die plastische Textaus deutung, im zweiten, dem „Scher zo" ist zunächst alles leicht, licht, ja kapriziös, erst am Ende erfolgt dramatische Zuspitzung. Die leitmotivischen Anfangsakkorde lei ten über zum dritten Lied, dem Gip fel der Leidenschaft in diesem Werk. Das Thema des jede Strophe ab schließenden Refrains „Du bis mein Eigen" übernahm Alban Berg in sei ne „Lyrische Suite". Der hitzigen Emphase des dritten Gesangs steht im vierten die zauberische Entrückt heit eines „Nachtstücks" gegen über, lyrisches Zentrum der Sinfo nie. In diese zeitweise Traumwelt bricht mit dem fünften Lied „freudig und kraftvoll" eine offenbar jede Fessel sprengende, glutvolle Musik herein. Der sechste Gesang stößt am weitesten in musikalisches Neu land vor. Zemlinsky verwendete hier Ausdrucksmittel, die denen des atonalen Expressionismus nicht nachstehen, um Resignation und Verlassenheit darzustellen. Mit der Wiederholung der Themen des er sten und dritten Liedes lichtet sich der Satz am Ende ins Dur. Nach einem Orchesterzwischenspiel von großer Steigerung erklingt der letz te Gesang, dessen Hauptmotiv Zemlinsky Mahlers „Einsamen im Herbst" entnahm. Es herrscht eine gelöst-melancholische Stimmung vor. Traumversunken endet das Werk.