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nen Entspannung in der Einmaligkeit liegt. Darum nutzt er die Kraft der Tonalität - der einmündenden, alles beschließenden Tonika - nicht als letz ten Gipfel der Dramatik, sondern einfach als Punkt. Die überwältigende Klangschönheit dieses Klavierkonzerts erhebt es schließlich in die Reihe der schönsten Werke dieser Gattung. Sonja Gesse Igor Strawinsky: Feuervogel-Suite (1945) „Der Feuervogel“ (1910), Strawinskys erstes Ballett, war von Beginn an un- gemein erfolgreich: Die Popularität des Bühnenstücks legte den Grundstein zum Weltruhm des damals 28-jährigen Komponisten. Im Ballett-Libretto kombinierte Michail Fokins verschiedene Elemente aus der russischen Volksdichtung miteinander, die er unterschiedlichen Quellen entnahm: dem Märchen vom standhaften Zarewitsch und der schönen, verzauberten Zara- wena, der Erzählung vom wundertätigen Feuervogel und der Legende vom bösen Zauberer Katschej. Der Sieg der,guten Mächte“ (Zarewitsch) und der .Übermächte“ (Feuervogel) über die .Kräfte des Bösen“ (Katschej) macht den Kern der facettenreichen Tanzgeschichte aus. Strawinsky, der stets um die möglichst effiziente kommerzielle Auswertung seiner Partituren bemüht war, realisierte von seinen Balletten griffige Suiten- Fassungen; den Feuervogel bearbeitete er gleich dreimal für den Konzert saal: 1911 legte er eine Fassung vor, die fünf Musiknummern in der Original besetzung (über 100 Musiker) enthält; 1919 folgte eine zweite Konzertsuite, in der das Orchester - nicht zuletzt infolge der ökonomisch veränderten Nachkriegssituation - stark reduziert wurde. Auch die Auswahl und Anord nung der Nummern weicht etwas von der ersten Fassung ab. Die sparsa mere Orchestrierung näherte das „Feuervogel“-Kolorit zudem schon ein wenig dem kargen, neoklassizistischen Klangideal an. Die etwa 28-minütige Version von 1945 ist in derselben Besetzung wie die zweite Suite orche striert, jedoch um fünf nach der Introduktion eingeschobene Musiknum mern angereichert (Pas de deux und Scherzo, umrahmt von drei Pantomi men). Musikalisch basiert die „Feuervogel“-Musik auf den Gegenklangwel ten des rein Diatonischen (Prinz und Prinzessin) und des Chromatischen (Katschej), während der rätselhafte Feuervogel an beiden Klangsphären teilhat. An einigen Stellen webte Strawinsky Volksliedfragmente in die Parti tur ein, etwa im „Reigen der Prinzessinnen“ und im „Finale“. Im „Katschej- Tanz“, einer der zentralen und kühnsten Episoden der „Feuervogel“-Musik, hat Strawinsky die infernalische Rhythmik des „Sacre du Printemps“ (1913), seiner bedeutendsten Partitur überhaupt, vorweggenommen. Auch wenn die zuckenden Orchesterklänge und die scharfen Blechsynkopen noch ein gutes Stück von den irrsinnigen Taktwechseln und der stampfenden Moto rik des „Sacre“ entfernt sind, zeichnet sich hier ein deutlicher Bruch gegen über den übrigen Teilen der Partitur ab, die noch durchaus mit der spätro mantisch-impressionistischen Orchesterüppigkeit verträglich sind. Den noch tritt auch in diesen Sätzen die klangfarbliche .Bindemasse“ stark hinter dem dominierenden rhythmischen Element zurück: Im Gegensatz zu den Partituren eines Debussy oder Ravel regiert im „Feuervogel“ ein entschie den härterer Duktus. Matthias Kraus